"Du bist unglaublich, weißt du das?"
"Auf die gute oder die schlechte Art?", hakte Ladon nach. Das Lager hatten wir bereits eine ganze Weile hinter uns gelassen, hätten längst fliegend Richtung Gorian aufbrechen können. Aber das wollten wir nicht, zu kostbar war die Zeit, die wir nur zu zweit verbringen konnten. Geredet hatten wir zunächst nicht, aber ich wusste, dass auch er es genoss, wieder an meiner Seite zu sein.
Meine Lippen blieben zu ernsten Linien gezogen, doch meine Augenbrauen zuckten amüsiert. "Beides."
"Es tut mir leid, dass ich dich einfach allein gelassen habe", sagte er schließlich und versuchte, Blickkontakt mit mir aufzunehmen, ich spürte seine Blicke praktisch an meiner Seite kitzeln, während wir weiter Richtung Norden auf die Küste zuliefen.
Ich sah ihn nicht an. "Ich war... Wütend. Und ich habe mich betrunken. Ich weiß nicht, ob du etwas davon bemerkt hast... ich habe böse Dinge gesagt. Und DAS tut MIR leid."
Wieder schwiegen wir eine Weile. Dann ließ ich meine Hand an der Seite herunterhängen und Ladon erkannte die Einladung, nahm sie in seine eigene. Endlich wieder seine Wärme an meiner Haut spüren. Ich konnte einfach nicht anders, als zu lächeln.
Er drückte meine Hand und stieß mir mit der freien Faust gegen die Schulter: "Und wenn das alles vorbei ist, gehen wir beide uns mal richtig betrinken. Ohne Streit und vor allem ohne Entführungen."
"Vor allem ohne Entführungen", stimmte ich zu. "Das machen wir. Ich liebe dich, Ladon Fyreborn. Lass mich nie wieder allein."
Ladon blieb stehen und zog mich an meiner Hand auf die Seite, sodass ich ihm direkt gegenüberstand.
Er nahm auch meine zweite Hand, unsere Finger verflochten sich ineinander, ebenso wie unsere Blicke sich gegenseitig in den Augen des anderen verloren.
"Ich will es dir nicht noch einmal versprechen. Ich habe so ein Versprechen schon einmal gebrochen."
"Ich werde mich auf dein Wort verlassen", versicherte ich. Dann hoben sich meine Mundwinkel zu einem leichten Grinsen. "Unter einer Bedingung."
Ladon kniff die Augen zusammen. "Die wäre?"
"Küss mich."
Und er küsste mich.
Dann hielt er inne, ließ von mir ab und schlug sich gegen die Stirn. "Verdammt."
"Was ist?", erwiderte ich verwirrt.
Ladon zog eine wunderschöne Kette hervor, die er um den Hals trug und nahm sie ab. Bittere Galle stieg in mir auf, als ich erkannte, von wem sie war. "Das war Atarahs. Woher hast du sie?"
"Ihre Leiche wurde in Nar-Sciath angespült. Ich habe sie begraben, aber die hier wollte ich Leander geben."
"Dazu ist es jetzt wohl zu spät", entgegnete ich.
"Nimm du sie. Bis wir Leander wiedersehen", sagte er, drückte mir die Kette in die Hand und schloss sie mit seinen warmen Fingern zur Faust.
Dann küsste er mich noch einmal.
-
Kurz nachdem er mir seine neue Kleidung gegeben hatte, die er mit Dyana zusammengenäht hatte, flogen wir über die Meerenge hinweg, die zwischen Deas und Gorian lag.
"Wohin sollen wir gehen? Zurück nach Dynion?", fragte Ladon schließlich. So anders war das Gefühl, jetzt auf ihm zu fliegen. Die Wärme seines Körpers schützte mich vor den kalten Temperaturen der Höhe, die Wärme seines Geistes ließ kaum Platz für die Erinnerung an die züngelnden Flammen, die seinen Geist noch wenige Tage zuvor vernebelt hatten.
"Ich wüsste nicht, wohin sonst", bestätigte ich.
"Dann also nach Dynion, Mylord", antwortete der Drache belustigt.
Ehe ich antworten konnte, senkte er sich im Sturzflug hinab auf die Wassermassen unter uns zu, breitete kurz davor die Flügel aus, der Ruck drückte mich fest gegen seinen Rücken.
Dann verschnellerte er seine Geschwindigkeit wieder, immer wieder durchbrach er die obersten Spitzen von Wellen, Gischttropfen hatten mich binnen kurzer Zeit durchnässt, aber auf seinem Wärme ausstrahlenden Rücken machte mir das nichts aus.
Ein guter Weg, um die Reise zu meiner Heimat anzutreten. Nein, zu unserer Heimat.
-
Wir landeten nahe dem kleinen Steinhäuschen, über das ich zum ersten Mal hinunter in die Katakomben der Rebellen geführt worden war. Ein Drache war offensichtlich zu groß für die unterirdischen Gänge, also half ich Ladon dabei, sich zurückzuverwandeln und anschließend in seinen improvisierten Adelsklamotten anzukleiden.
Ich fand den Stein, der die Tür ins Innere des kleinen Gebäudes öffnete, auch die Leiter war noch da. Doch dieses Mal sah ich am unteren Ende kein Licht. Das kam mir bereits verdächtig vor, wir machten also bereits an der Oberfläche ein Feuer und entzündeten eine Fackel daran, um dort unten nicht im Dunkeln zu stehen.
Denn dunkel war es tatsächlich. Dunkel und verlassen, offenbar schon eine ganze Weile. Hatte man die Rebellen etwa niedergemetzelt? Wenn, dann nicht hier - Spuren eines Kampfes gab es nicht, kein Blut, keine Leichen, keine Waffen. Auch die provisorische Waffenkammer war völlig leergeräumt, vereinzelt standen noch ein paar der Feldbetten herum.
"Wo sind sie hin?", sprach Ladon die offensichtliche Frage aus.
"Ich habe keine Ahnung. Lass uns wieder an die Oberfläche gehen."
Oben angekommen waren wir unschlüssig, wie unsere nächsten Schritte aussehen sollten. Wenn die Rebellen ein neues Versteck gefunden hatten, würden wir es sicher nicht einfach finden - wir wären darauf angewiesen, dass die Rebellen uns finden. Dazu hatten wir aber nicht die Zeit.
"Dann gehen wir nach Dynion. Dort habe ich das letzte Mal Kontakt zu den Rebellen hergestellt", schlug ich vor.
"Und damit deinem Onkel direkt vor die Füße?", hakte Ladon skeptisch nach.
"Wir haben keine Wahl. Und sollte er mir vor die Augen kommen, töte ich ihn eben sofort."
Ja, ich wollte die Rache immer noch. Als ich nach Nar-Sciath gegangen war, hatte ich dieses Bedürfnis nur aufgeschoben. Vorübergehend andere Prioritäten gesetzt. Doch jetzt war es wirklich an der Zeit, der Herrschaft meines Onkels ein Ende zu setzen.
Wir machten uns also auf den Weg zur Ruinenhauptstadt Gorians.
Es war noch immer kalt, aber es lag kein Schnee mehr, die Sonne schien, die peitschenden Winterwinde verjagt von ihrem Licht.
Mir fielen die Knospen auf, die allmählich zu blühen begannen. Trotz des wenigen Waldes in Gorian war die Vegetation unglaublich vielfältig, Wildblumen und Moose rangen an jedem Felsen um die Plätze, die der Sonne am nächsten kamen.
Gorian blühte wieder - der Frühling hatte Einzug gehalten.
Und mit ihm die Zeit des Umbruchs.
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Legenden von Patria - Der Baum der Götter
FantasyDIESES BUCH IST DER ZWEITE TEIL IN DER "Legenden von Patria"-REIHE. Die erste Schlacht wurde geschlagen und der erste Sieg gefeiert. Doch damit ist der aufkommende Krieg nicht beendet. Obwohl Levian vernichtend geschlagen wurde, fährt er mit seinen...