Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, auf Dynion zuzulaufen. Überhaupt daran zu denken, wieder nach Dynion zu gehen.
Als ich mit Khrysor zu den Rebellen gegangen war, hatte ich Dynion nur aus der Ferne gesehen, Ruinen am Horizont. Aber jetzt liefen Cieran und ich direkt darauf zu, kamen den Ruinen immer näher.
Unsere Gesichter hatten wir beide unter den Kapuzen unserer Umhänge notdürftig versteckt, schließlich wollten wir nicht, dass Cieran erkannt wurde.
Je näher wir Dynion kamen, desto nervöser wurde Cieran. Ich spürte es nicht nur über das Band, ich sah es ihm auch an. Immer wieder spielte er mit seinem Umhang oder legte die Hand an das Schwert an seinem Gürtel. Es war noch immer Lyrs Schwert, das er trug. Nach dem Angriff auf das Feldlager hatte er es behalten und ich mir ein neues gesucht.
Schließlich nahm ich seine Hand in meine, konnte es nicht länger mitansehen. Beruhigend strich ich mit meinem Daumen über seinen Handrücken, weshalb er den Blick vom Horizont zu mir wandte.
"Alles in Ordnung?", fragte er.
"Das sollte ich lieber dich fragen", entgegnete ich, jedoch ohne Vorwurf in meiner Stimme.
Ich verstand seine Nervosität, schließlich wusste niemand, was uns in Dynion erwartete.
Cieran seufzte und blieb stehen, ich mit ihm.
"Glaubst du, ich schaffe es?"
Ich sah ihn verwirrt an, verstand nicht, wovon er sprach.
"Glaubst du, ich kann meinen Onkel töten?"
"Ich weiß es nicht, das kommt auf dich an. Ich helfe dir dabei, wenn du es willst, aber den Todesstoß...solltest du setzen."
"Und wenn ich dir sage, du sollst ihn verbrennen?"
"Dann wird er brennen. Aber überlege es dir gut, denn sein Tod ist dein Aufstieg."
Cieran nickte, schien aber nicht überzeugt. Sein Blick schweifte wieder an den östlichen Horizont auf die Ruinen von Dynion.
"Er ist ein Verräter, aber trotzdem die einzige Familie, die ich noch habe", meinte er dann.
"Familie lässt sich nicht nur über das Blut definieren, Cieran", sagte ich, nahm sein Gesicht in meine Hände, "Familie ist ein Gefühl."
Sein Blick hielt mich für einen Moment gefangen, ich versank in den grünen Tiefen seiner Augen. Sie erinnerten mich an den Frühling, der überall um uns herum langsam die Natur weckte.
"Jetzt lass uns nach Hause gehen", sagte ich dann, nahm seine Hand und ging weiter den Weg nach Dynion entlang.
Nach Hause. Wie merkwürdig sich das anhörte. Aber es stimmte, Dynion war mein Zuhause. Ebenso Cierans Zuhause. Zwar ein zerstörtes Zuhause, aber hatte Cieran es erst einmal wieder zurück, würden wir es wieder aufbauen. Da war ich mir sicher.
Doch wollte Cieran das überhaupt? Natürlich hatte er vor, seinen Onkel zu töten, als Rache für seinen Verrat an Cieran und an der Krone. Aber wollte er überhaupt Lord von Gorian sein? Bisher hatte es eher weniger den Eindruck gemacht.
Aber wenn ich so darüber nachdachte, hatte Cieran kaum eine andere Wahl. Außer ihm gab es keine weiteren Nachkommen der Blayds. Tötete er seinen Onkel, war er der letzte seines Clans. Das bedeutete, niemand anderes hatte Anspruch darauf, Lord von Gorian zu werden. Cieran musste den Titel annehmen.
Doch was geschah dann mit mir? Mit uns?
Ein Lord, der einen Waisenjungen liebte. Sicher kein gern gesehenes Bild in der höfischen Gesellschaft. Ganz zu schweigen davon, dass ich ein Drache war und er mein Reiter.
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Legenden von Patria - Der Baum der Götter
FantasyDIESES BUCH IST DER ZWEITE TEIL IN DER "Legenden von Patria"-REIHE. Die erste Schlacht wurde geschlagen und der erste Sieg gefeiert. Doch damit ist der aufkommende Krieg nicht beendet. Obwohl Levian vernichtend geschlagen wurde, fährt er mit seinen...