047 BUCH SIEBEN - Cieran

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"Was ist wirklich mit Leander geschehen, Cieran?!", fuhr Atarah mich an, nachdem sie Leanders Wachen samt Ladon hinausgescheucht hatte.

"Habe ich doch gesagt, wir haben ihn so gefunden! Er muss bei der Schlacht verletzt worden sein!"

"Ich glaube dir kein Wort", erwiderte Atarah, tauchte ein Stofftuch in die Schale mit Wasser neben Leanders Feldbett und tupfte ihm besorgt die Stirn ab.

Ich haderte mit mir selbst. Sollte ich es ihr nun erzählen? Sie würde es wahrscheinlich ohnehin erfahren, sobald Leander wieder zu sich kam. Dann sollte ich jetzt wohl den Vorteil nutzen, ihr zuerst meine Version der Geschichte zu erzählen.

Da mir kein Weg einfiel, es ihr schonender beizubringen, sagte ich geradeheraus: "Ladon ist der Drache."

Atarah lachte heiser und tupfte weiter Leanders Stirn ab. "Hör auf, mich anzulügen!" Dann wandte sie sich zu mir und ihr Gesicht verfinsterte sich, als sie meine ernste Miene musterte. "Du lügst nicht."

Ich schüttelte den Kopf.

Atarah fuhr sich nun mit der Hand an die Stirn, fast schon fürchtete ich, gleich noch ein Feldbett neben Leanders stellen lassen zu müssen. Doch sie behielt die Fassung. Das wunderte mich nicht, sie war ohne Zweifel die Stärkste unter den Firven-Geschwistern.

"Das war es, was ihr geheim gehalten habt. Es ging gar nicht um eure Beziehung", erkannte sie und seufzte.

"Naja, um die ging es schon auch...", wollte ich erklären, doch sie ließ mich kaum zu Wort kommen.

"Hat er es gesehen? Wie Ladon sich verwandelt hat, meine ich? Götter, ich weiß überhaupt nichts über Drachen!"

"Er hat es gesehen", bestätigte ich ihr.

"Verdammt. Weißt du Cieran, nimm mir das nicht übel. Es ist nur - solange die Soldaten einen Drachen sehen, der kommt, wenn man ihn braucht, und uns zum Sieg führt, wann immer wir in Schwierigkeiten sind, sind sie zufrieden und bejubeln ihn. Aber wenn er plötzlich unter ihnen wandelt, wird er schnell zu einem Monster, einer unberechenbaren Gefahr mitten in ihren Reihen. Das sollte nicht publik werden."

"Ich stimme dir zu. Kannst du ihn davon überzeugen, es für sich zu behalten?", fragte ich Atarah Hilfe ersuchend.

"Ich versuche es, Cieran. Aber... ich habe so viele Fragen!"

Also blieb ich bei ihr, tat mein Bestes, ihre Fragen zu beantworten.

Dann, am Nachmittag, trat ich hinaus und betrachtete noch einmal das Lager, das in der Nacht zum Schlachtfeld geworden war. Gunborg trieb gerade eine Wache vor sich her zu einem Hackblock, wo sie ihm zweifellos die Hände dafür abhacken würde, dass er in seiner Schicht geschlafen hatte. Illoyalität duldete sie nicht und ich versuchte nicht, sie davon abzuhalten. Aber ich sah auch nicht hin, als die lauten Schreie erklangen.

Die Leichen waren bereits zusammengekarrt worden und brannten nun auf hohen Haufen, die in den Himmel steigenden Rauchschwaden eine Warnung an die Deviniaths. Deren Hauptstadt wir noch immer würden erobern müssen.

Natürlich konnten wir die Stadt einfach belagern, auf den ersten Blick war die Zeit auf unserer Seite, irgendwann würden sie sich ergeben müssen oder verhungern. Auf den zweiten Blick war dem allerdings nicht so. Je länger dieses Heer aus Firvens und Derwens untätig auf dem Feld stand, desto mehr Konflikte würden unweigerlich auftauchen. Dieses Bündnis war brüchig, und eine lange Belagerung barg das Risiko, es zum Reißen zu bringen.

Wir mussten die Stadt also so schnell wie möglich zu Fall bringen. So schnell wie möglich? Nein. Das würde bedeuten, dass ich die Mauern mit Ladons Hilfe zu Fall bringen musste. Asarion würde brennen - brennen wie Dynion. Das konnte ich nicht tun.

Legenden von Patria - Der Baum der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt