064 BUCH ACHT - Cieran

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Sollte ich es ihm sagen? Die Aura des Neugeborenen hatte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, noch ehe ich überhaupt bemerkte, dass auch Asena sich im Raum befand.

"Alles in Ordnung?", fragte Ladon, inzwischen wieder aufrecht auf seinem Bett sitzend, das Kleine wieder ruhig an seiner Brust.

Ich spürte beinahe, wie mein Herz bei diesem Anblick schmolz. Wie von allein formten meine Lippen ein Grinsen. "Mir geht's gut."

Gut ging es mir. Auch wenn es mir überhaupt nicht gefallen hatte, wie Asena Ladon ansah. Wie sie ihn berührt hatte. Aber ich wollte die Stimmung nicht mit meinen Anwandlungen von Eifersucht verderben, also behielt ich meine Empfindungen einfach für mich.

Ich setzte mich neben Ladon, strich langsam und sanft über den Kopf der Kleinen, die immer wieder mit ihren winzig kleinen Fingern in die Luft griff. Schließlich hielt ich ihr meinen Zeigefinger hin, den sie umschloss.

"Sie lässt mich nicht mehr los", erkannte ich nach wenigen Augenblicken etwas hilflos, wollte meinen Finger nicht einfach wegziehen.

"Dann wirst du jetzt wohl für immer hier bleiben müssen", erwiderte Ladon mit einem Grinsen auf den Lippen, in seinen Augen sah ich diesen... Mutterinstinkt, den er Kindern gegenüber immer zeigte.

"Das fände ich nur umso besser, wenn ich meine Hand benutzen könnte", antwortete ich und zog meinen Finger ganz leicht zurück, in der Hoffnung, ihn aus dem Griff des Babys befreien zu können. Tatsächlich gelang mein Versuch, das Kind ließ los, schmatzte und bewegte weiter ihre kleinen Ärmchen in der Luft herum, als würde sie die ganze Welt ertasten wollen. Ihre Augen waren geschlossen, sie war offensichtlich trotz ihrer Agilität müde.

Vorsichtig lehnte Ladon sich zurück, das Kind mit dem Bauch nach unten immer noch auf seiner Brust. Ich legte mich neben ihn, streichelte den Kopf des Mädchens, dann drückte ich Ladon einen Kuss auf die Schulter. Es war mir egal, dass uns jemand erwischen konnte. Ich hatte es so satt, uns immer verstecken zu müssen - dabei sollte unser Leben genau so sein. Nur er und ich, vielleicht ein oder zwei Kinder - auch wenn die uns nie vergönnt sein würden.

Wieder musterte ich die Aura des Neugeborenen. Sie waren schwach, viel unscheinbarer und kleiner als bei Ladon, dennoch waren die Flammen klar erkennbar.

"Du denkst über etwas nach. Sag mir, worüber", verlangte Ladon liebevoll, eine Hand auf dem Rücken des Mädchens, um sie sicher auf seinem Körper zu halten, die andere fuhr durch meine Haare.

"Das Mädchen...", begann ich, hatte mich spontan entschieden, lieber über das Kind zu sprechen, als über meine hoffnungslosen Zukunftsträume.

"Was ist mit ihr?", fragte Ladon besorgt, musterte das Kind, als hätte es eine tödliche Krankheit, die er bisher übersehen hatte.

"Ihre Aura steht in Flammen."

Ladon sah zwischen mir und dem Kind hin und her, ehe er antwortete: "Bedeutet das..."

Ich nickte. "Sie ist ein Drache."

-

Ladon sah so betrübt aus, als er das Mädchen am nächsten Morgen wieder seiner dankbaren Mutter in die Arme gab. Die Tatsache, dass er sich über die Nacht um einen kleinen Drachen gekümmert hatte, hatte ihn nur noch mehr mit dem Kind verbunden.

Wir hatten uns vorerst dagegen entschieden, der Mutter etwas über ihr Kind zu verraten - ihrer Aura zufolge war sie selbst weder Drache noch Reiter. Ein Vater war nicht greifbar. Ob er wohl ein Drache war?

Der Ausdruck tiefer Traurigkeit stand Ladon immer noch ins Gesicht geschrieben, als wir eine halbe Stunde später gemeinsam zur Schmiede gingen, um mit Asena und Khrysor das weitere Vorgehen zu besprechen.

"Ladon... ihr wird es gut gehen!", versuchte ich, ihn zu überzeugen. Er sah mich an, war offensichtlich weit davon entfernt, von meinen Worten überzeugt zu sein.

"Vielleicht wird es das. Falls wir diesen Krieg alle überleben. Und selbst dann - sie ist ein Drache! Wie soll sie da ein gutes Leben haben?"

Ich öffnete den Mund, um zu antworten und schloss ihn wieder, als mir die Tiefgründigkeit seiner Worte bewusst wurde.

Wir blieben vor der Schmiede stehen, ich dachte noch darüber nach, was ich darauf entgegnen sollte.

"Denkst du, dein Leben ist kein gutes?", fragte ich schließlich, ernst und besorgt zugleich.

"Es ist nicht so, als wäre ich nicht dankbar für das, was wir haben. Es ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist", versicherte Ladon. "Aber ich hätte einfach gerne eine... normale Kindheit gehabt. Ohne eine verschwundene Mutter, einen sterbenden Vater, ein Aufwachsen in einer fremden Stadt, nur um dann auch noch herausfinden zu müssen, dass ich mich bei Neumond in ein Feuer spuckendes Monster verwandle."

"Dann lass uns dafür sorgen, dass ihr nicht dasselbe passiert. Lass uns meinen Onkel töten, lass uns Levian besiegen, damit wir Nar-Sciath wiederaufbauen können."

"Nar-Sciath?", fragte Ladon irritiert.

Ich nickte überzeugt. "Nar-Sciath war einst die Stadt für Drachen und ihre Reiter. Das kann sie wieder sein. Dort können wir alle in Sicherheit bringen, die Drachenblut in ihren Adern haben, ihnen helfen, ihre Reiter zu finden. Dyana könnte sie unterrichten. Sicherheit und ein Leben mit Zukunft - das könnten wir dem Mädchen bieten, wenn sie etwas älter ist."

Ladon lächelte. "Der Gedanke gefällt mir."

"Dann haben wir ein Ziel", bestätigte ich, ehe ich mit Ladon die Schmiede betrat.

-

"Brynn also", wiederholte ich, nachdem Khrysor uns auf den aktuellsten Stand in Gorian gebracht hatte. Mein Onkel - er war nach Brynn geflüchtet, nachdem die Rebellen in einer Nacht und Nebel Aktion Dynion angegriffen und übernommen hatten. Dort war er jedoch kaum greifbar - Brynn lag auf einer schmalen Landzunge, umgeben von Ozean, zur Landseite hin geschützt von starken, hohen Mauern. Auch auf dem Seeweg war kaum ein Herankommen möglich, zu allem übel hatten die Morwyrs ihre Flotte entgegen meiner Erwartungen nicht nach Illea, sondern nach Brynn geschickt, um meinen Onkel dabei zu unterstützen, die Kontrolle über Gorian zurückzuerlangen.

Tatsächlich stellte die Flotte der Morwyrs eine unmittelbare Bedrohung für uns dar - der große Fluss, der im Norden Gorians aus mehreren Quellen im Gebirge zusammenlief und an Dynion vorbeifloss, folgte der Ebene bis nach Brynn, wo er ins Meer mündete. Theoretisch könnte ihre Flotte sich also bereits auf dem Weg hierher befinden. Schnell würden sie nicht vorankommen, die Strömung des Flusses war stark, Rudern könnten sie nur langsam, der Wind würde ihnen nicht immer gewogen genug sein, um gegen den Strom Segeln zu können.

Doch sie würden kommen, daran bestand kein Zweifel. Und gegen die Flotte der Morwyrs würde der verstreute Rebellenhaufen das zerstörte Dynion nicht halten können.

Mein Onkel musste also sterben, bevor die Morwyrs, die verfluchten Verräter, Dynion erreichen konnten.

Legenden von Patria - Der Baum der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt