Ich war nicht weit geflogen, hatte mich hinter einem Hügel niedergelassen und sah der Sonne dabei zu, wie sie langsam am Himmel emporstieg, die Wolken am Himmel zuerst feuerrot und dann golden färbte.
So wartete ich auf Cieran, hoffte, dass mich niemand sonst fand. Ich döste ein wenig, versuchte anfangs auch den Geschmack des Blutes, der mir noch immer zwischen den Zähnen hing, loszuwerden. Leider klappte das nicht so gut wie ich gehofft hatte, weshalb ich es bald sein ließ.
Gegen Mittag spürte ich, dass Cieran nach dem Band zwischen uns tastete, wohl versuchte, herauszufinden wo ich war.
"Ich bin nicht weit weg. Hinter dem Hügel mit dem rötlichen Felsen darauf", sagte ich in Gedanken zu ihm.
"Danke. Wir müssen wohl noch etwas daran arbeiten, uns zu finden. Ich bin gleich bei dir."
Es dauerte wirklich nicht mehr lange, bis ich Schritte auf der anderen Seite des Hügels hörte. Langsam richtete ich mich auf, spürte die Magie des Bandes vibrieren und kurz darauf trat Cieran zwischen den rötlichen Felsen auf der Kuppe hindurch. In seiner Hand hielt er neue Klamotten für mich.
"Es hat eine Weile gedauert, bis ich Gunborg und die ganzen Soldaten abschütteln konnte, die mich mit Fragen und Bewunderung fast schon erschlagen haben", meinte er entschuldigend, während er den Hang zu mir hinunter lief. Auf halbem Weg war er in Reichweite meines Kopfes, offenbar war ich wieder ein Stück gewachsen, seit wir Nar-Sciath verlassen hatten.
Etwas übermütig stupste ich ihn an, wurde auf einmal von Glücksgefühlen überschwemmt. Wir lebten noch, hatten den Angriff unbeschadet überstanden. Fast kam ich mir dabei vor wie ein übergroßer Hund, der sich unheimlich an etwas erfreute, wie diese Tiere es nun manchmal taten. Cieran lag inzwischen auf dem grasbewachsenen Hügel, die Wucht meines sanften Stoßes war wohl doch größer gewesen, als ich gedacht hatte.
Ein klein wenig besorgt beugte ich meinen Kopf zu ihm.
"Vorsichtig, schließlich bin ich immer noch ein Mensch. Und du scheinst bei fast jeder Verwandlung zu wachsen", sagte Cieran, während er sich aufsetzte, lächelte dabei aber.
"Ich werde dich schon nicht fressen", neckte ich ihn, senkte dann meinen großen Kopf zu ihm herab, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein und sah ihn schelmisch an. "Auch wenn ich dich zum Fressen gern habe."
Ehe Cieran sich versah, war ich mit meiner Zunge quer über sein Gesicht gefahren und hätte mich, wäre ich in meiner menschlichen Gestalt gewesen, danach vor Lachen gekringelt. Mit einer Mischung aus Ekel und Belustigung starrte Cieran mich an.
"Ladon, war das wirklich nötig?", meinte er dann, versuchte mit dem Ärmel meine Spucke aus seinem Gesicht zu wischen. Ich gab nur ein belustigtes Brummen von mir und stupste ihn noch einmal spielerisch an. Diesmal jedoch bedachter und sanfter.
"Ja ja, lach du nur. Du hast ja auch keine klebrige Drachenspucke im Gesicht", beschwerte sich Cieran, noch immer damit beschäftigt, sich mit dem Ärmel über das Gesicht zu wischen. "Wenn du so weiter machst, kannst du selbst sehen, wo du Klamotten herbekommst."
Dann lachte Cieran auch, laut und herzlich, einfach glücklich. Mein Herz ging auf, als ich ihn betrachtete, seinem Lachen lauschte. Wie sehr ich diesen Jungen doch liebte.
"Jetzt aber wieder zum ernsten Teil", setzte Cieran an, als er sich wieder beruhigt hatte und sah mir in die Augen.
Ich nickte und zog mich zurück, gab ihm die Möglichkeit, den übrigen Hang hinunterzulaufen, bis er direkt vor mir stand. Die Klamotten legte Cieran neben sich ab, dann berührte er meine große, schuppige Schulter. Ich spürte die Magie pulsieren, zwischen uns und in meinem Blut. Ein Ziehen fuhr durch meinen Körper, unangenehm, aber bei weitem nicht so schmerzhaft wie an Neumond. Ich hörte meine Knochen knacken, spürte meinen Körper schrumpfen und schloss die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, war Cierans Gesicht direkt vor mir. Müde sah ich ihn an, die Verwandlung kostete mich trotz seiner Hilfe noch immer viel Energie. Ich fröstelte vom kalten Wind, der zwischen den Hügeln hindurchwehte.
"Soll ich dir helfen?", fragte Cieran, als er mir die Klamotten reichte.
"Es geht schon", murmelte ich, zog mir so schnell es ging die Klamotten an, um nicht mehr allzu stark zu frieren. Dennoch zitterte ich danach immer noch ein wenig vor Kälte. Cieran schloss mich fest in seine Arme, spendete mir Wärme und Geborgenheit.
So standen wir einen Moment da, hielten uns fest in den Armen und genossen die Nähe und Wärme des anderen. Cieran gab mir auch magische Wärme, so wie er es gestern getan hatte, kurz bevor ich eingeschlafen war, wärmte mich dadurch auch von innen heraus.
Gerade als ich ihm zuflüstern wollte, wie dankbar ich war, ihn an meiner Seite zu haben, hörte ich ein Geräusch, das wohl von den Felsen kam. Mein Gehör war nach der Verwandlung immer etwas eingeschränkter, sonst hätte ich die Person schon längst bemerkt, die dort oben zwischen den Felsen stand und uns, besser gesagt mich, geschockt anstarrte.
"Leander...", setzte ich an, doch da ging er schon rückwärts, wich leicht stolpernd zurück und rannte schließlich die andere Seite des Hügels hinunter. Er hatte Angst. Angst vor mir.
"Leander!", rief jetzt auch Cieran, rannte den Hügel hinauf, ich hinterher.
Leander war langsam, da er sich immer wieder nach uns umsah. Auf nicht einmal halber Strecke zum Lager hatten wir ihn eingeholt und hielten ihn fast zeitgleich an den Armen fest. Vor allem meinem Griff versuchte er, zu entkommen, schaffte es jedoch nicht. Meine Kraft kehrte langsam wieder zurück.
"Jetzt beruhig dich doch", versuchte Cieran, ihn zu besänftigen, doch Leander hatte nur Augen für mich, voller Furcht sah er mich an.
"Was bist du?", brachte er schließlich hervor, "Ein...ein Dämon? Ein schwarzer Magier?"
Verwirrt wechselten Cieran und ich einen Blick. War das Wissen über Drachen etwa wirklich so sehr verloren gegangen, dass sich kaum jemand daran erinnerte, dass Drachen auch menschliche Gestalten hatten?
"Du hast gesehen, was ich bin", antwortete ich ruhig.
Leander schüttelte den Kopf, ungläubig und noch immer verängstigt. Den stolzen Krieger so zu sehen war eigenartig, zeigte er doch sonst nicht das geringste Anzeichen von Angst.
"Das kann nicht sein. Nein, es kann nicht sein. Drachen sind...Drachen. Und nicht das...", stammelte Leander nach einem kurzen Moment, deutete bei seinem letzten Satz auf mich.
"Drachen sind, was ich bin. Jeder einzelne von uns, glaub mir", entgegnete ich. Inzwischen hatte ich seinen Arm wieder losgelassen, wollte ihm nicht noch mehr Angst machen. Cieran hielt ihn jedoch noch immer fest, schließlich wussten wir noch nicht genau, was wir jetzt tun sollten. Jetzt da Leander wusste, dass ich Cierans Drache war.
Leander wandte sich an Cieran. "Und was bist du?"
Kurz wechselten Cieran und ich einen Blick bevor er antwortete. "Sein Reiter und der einzige, der ihn unter Kontrolle halten kann."
Leander starrte ihn für einen Moment an, dann sah er wieder zu mir und wieder zu Cieran, bevor er einfach umfiel und sich nicht mehr rührte.
"Ich schätze, das war zu viel für ihn", meinte ich ein klein wenig belustigt, konnte mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Dass Leander wegen soetwas in Ohnmacht fallen würde, hätte ich nie gedacht.
Cieran stieß mich leicht in die Seite. "Das ist nicht witzig. Jetzt müssen wir allen erklären, wieso wir einen ohnmächtigen Fürsten bei uns haben", zischte er, doch ich sah, dass auch er sich ein Schmunzeln verkneifen musste.
"Wir sagen, er hat beim Angriff einen Schlag auf den Kopf bekommen?", schlug ich schulterzuckend vor und Cieran seufzte. "Etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig, schließlich sollten wir nicht allzu lange weg bleiben."
Ich hob den ohnmächtigen Leander also über meine Schulter und wir machten uns auf den Weg zurück ins Lager, wo wir alle Blicke auf uns ziehen würden. Der Drachenreiter Cieran Blayd ohne seinen Drache, sein Leibwächter, der beim Angriff verschwunden war und der bewusstlose Fürst aus Tofania. Ein sicherlich höchst eigenartiges Bild.
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Legenden von Patria - Der Baum der Götter
FantasyDIESES BUCH IST DER ZWEITE TEIL IN DER "Legenden von Patria"-REIHE. Die erste Schlacht wurde geschlagen und der erste Sieg gefeiert. Doch damit ist der aufkommende Krieg nicht beendet. Obwohl Levian vernichtend geschlagen wurde, fährt er mit seinen...