045 BUCH SIEBEN - Cieran

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"Komm!", schrie ich also und rannte durch das Wirrwarr der Kämpfenden hindurch. Ich hatte überhaupt keinen Überblick mehr darüber, wer zu wem gehörte, also versuchte ich, anderen aus dem Weg zu gehen, schnell auf dem Weg zu der Stelle hinter dem Hügel. Vielleicht würde es sich nicht vermeiden lassen, dass jemand Ladon beim Verwandeln beobachtete - aber ich musste es zumindest versuchen.

Ladon folgte mir, kurz darauf hatten wir die Stelle erreicht, an der ich ihn am Vortag noch geküsst hatte. Ich schüttelte den Kopf. Nein, darüber konnte ich jetzt nicht nachdenken.

"Gib' mir dein Schwert. Wir können nicht riskieren, dass du es verlierst", forderte ich Ladon auf, der folgte meiner Anweisung und nahm sich den Gürtel mit der Scheide ab, an der das kunstvoll gefertigte Elfenschwert hing. Ich zog mir mein eigenes aus und ließ es auf den Boden fallen - sollte es gestohlen werden, wäre es ersetzbar. Ich schloss also Ladons Gürtel um meine Hüfte und wunderte mich erneut darüber, wie leicht die Klinge war.

Ladon griff nach meinen Händen und legte sie sich auf die Wangen. Ich schloss die Augen und öffnete die Welt meiner Emotionen, versuchte, der Zunder für das Feuer in Ladons Blut zu sein.

Und auch diesmal funktionierte es, ich schauderte, die Hitze in meinem Inneren entzündete Ladons Blut. Binnen Sekundenbruchteilen verwandelte er sich, als ich die Augen wieder öffnete, sah ich den Drachenkopf in meinen Händen.

Schnell ließ ich ihn los und kletterte auf seinen Rücken.

"Lass uns loslegen."

Ladon nickte leicht und hob rasend schnell ab, aber ich hatte mich an die enormen Kräfte gewohnt, die auf mich wirkten, wenn ich auf Ladons Rücken saß.

Es dauerte nur Sekundenbruchteile, bis wir den Tumult wieder erreicht hatten.

"Du musst landen, sonst können wir Freund nicht von Feind unterscheiden."

Wie ein Blitz fuhren wir hinunter auf den Erdboden, mitten zwischen das Getümmel, das sich mit der Ankunft des Drachen ohnehin rasend schnell zerstreute.

"JA! Jetzt sterbt ihr, hinterlistige Fotzenlecker!", schrie jemand, unverkennbar Gunborg. Ich sah zu ihr, während Ladon noch versuchte, Freund von Feind zu unterscheiden. Sie trug einen Bogen samt Köcher.

"Bogen!", schrie ich ihr zu, ich brauchte eine Waffe. Absteigen wollte ich nicht, und die Reichweite des Elfenschwerts war nicht groß genug, um auf Ladons Rücken effektiv zu sein. Gunborg stimmte johlend zu und warf mir mit rasendem Tempo zuerst den Bogen zu, dann den mit einem Lederriemen geschlossen gehalteten Köcher hinterher.

Ich fing beides nacheinander, Hitze wallte durch mich hindurch, während Ladon begann, vereinzelt Soldaten der Deviniaths in Stücke zu reißen. Verdammt, ich war nicht wirklich gut im Bogenschießen.

Atarah war gut darin, sie hatte es schon als kleines Mädchen jeden Tag geübt. Atarah. Hoffentlich ging es ihr gut.

Ich legte einen Pfeil an die Sehne, spannte sie an und zielte auf einen der Soldaten der Deviniaths, verfehlte den Kopf als Ziel und traf stattdessen seine Schulter. Hauptsache ein Soldat weniger. Es war aber auch verdammt schwer, auf einem sich ruckartig hin und her bewegenden Drachen zu zielen.

Dann fühlte ich mich, als würde ich zum Teil eines Theaterstücks werden. Von weit außerhalb sah ich mich fast selbst eine Rolle spielend auf Ladons Rücken sitzend, Pfeile abschießend, Blut, das den Boden benetzte.

Ich verlor die Kontrolle über mein Tun, musste nicht mehr darüber nachdenken, was ich tat, wie ich es tat. Ich handelte instinktiv. Tötete, tötete, tötete.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich das Geschehen wieder wie zuvor wahrnahm. Es könnten ein paar Minuten gewesen sein, vielleicht auch ein paar Stunden? Der Morgen dämmerte heran, das hatte er zu Beginn des Angriffs noch nicht getan. Oder?

Ladon schien ebenso aus einem Blutrausch zu fallen wie ich, auch er hielt inne, um sich auf der Ebene umzusehen.

Zerstörte Zelte überall, Leichen und Verletzte am blutdurchtränkten Boden, viele vereinzelte Soldaten, die ihre Waffen fallen ließen und sich der überlegenen Streitmacht der Derwens und Firvens ergaben.

Meine Finger waren wund von der rauen Sehne des Bogens, meine Pfeile aufgebraucht. Aber es waren mehrere Dutzend im Köcher gewesen, da war ich mir sicher.

Ladon knurrte, ich streichelte etwas desorientiert seinen Hals.

"Cieran Blayd, wieder einmal hast du auf dem Rücken eines Drachen das Schlachtgeschehen zum Guten gewandt!", grölte Gunborg triumphierend, freute sich zweifelsohne schon auf das Fass Bier, das sie anzapfen würde, um den Sieg zu feiern. Aus einer frischen Schnittwunde quoll ihr Blut über die Wange, es würde aber nur eine Narbe mehr unter vielen sein, es schien ihr nichts auszumachen.

Leander sah ich nicht, war er gefallen? Ich fühlte mich fast schlecht dafür, dass ich es hoffte. Mit Atarah als Anführerin wäre alles so viel einfacher. Wo war Atarah? In der Masse aus Männern und Frauen und ihren in verschiedensten Farben funkelnden Auren fiel es mir schwer, einzelne auszumachen. Und ohnehin musste ich einen Weg finden, Ladon wieder zum Menschen zurückzuverwandeln. Verdammt, wir hatten keine Wechselkleidung für ihn bereitgelegt. Ein junger Lord und sein nackter Leibwächter, unmittelbar nach einer Schlacht? Völlig unmöglich. Aber ohne mich fiel es Ladon noch schwer, sich selbst zu verwandeln. Er brauchte mich, ich war wie sein Katalysator.

"Flieg", forderte ich ihn also auf und stieg von seinem Rücken. "Ich finde dich."

Ladon drehte zögerlich den Kopf zu mir, aber dann gehorchte er, hob ab und war binnen kurzer Zeit zwischen niedrigen Wolken verschwunden. Und ich war allein, musste einen Weg finden, die Verehrer abzuwimmeln, die mich bereits jetzt umringten, um Kleider zu besorgen und Ladon dabei zu helfen, sich zurückzuverwandeln. Das kam mir schwerer vor als die Schlacht, in der ich mich eben noch befunden hatte.

Legenden von Patria - Der Baum der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt