"Hier können wir nicht bleiben. Wir strecken der Elfengöre praktisch den Hintern zum Aufspießen hin", knurrte Gunborg missmutig.
Am Morgen war ich aufgewacht, erinnerte mich kaum noch an die vorherige Nacht, nur verschwommen daran, was ich zu Ladon gesagt hatte. Aber er war nicht da. Mir war kalt, ich fühlte mich wie allein in der weiten Welt. Aus der Stadt hatte uns die Nachricht erreicht, dass die Deviniaths tot seien - ein Emporkömmling aus dem Kreis der Berater der Familie hatte die Führung übernommen. Leska, ohne jeden Zweifel. Wie hatte ich mich nur so in ihr täuschen können.
Wieder hatte ich mich mit Leander und Gunborg getroffen, um unser weiteres Vorgehen zu beraten. Ohne Atarahs kühlen Kopf, ohne ihr Feingefühl. Denn Atarah war tot.
"Dann sollten wir nach Soria zurückkehren", schlug Leander vor, die Blässe, die seit der Nachricht vom Tod seiner Schwester in seinem Gesicht gestanden hatte, war noch immer deutlich zu sehen. "Dort haben wir Mauern, können uns befestigen. Abwarten."
"Abwarten - und dann? Wir sollten jetzt noch einen Angriff wagen, lieber im Kampf sterben als den Schwanz einzuziehen!", polterte Gunborg sofort dagegen.
Ich hatte einfach keine Geduld mehr für die beiden ewigen Streithähne und schlug mit beiden Fäusten auf den schwankenden Tisch zwischen uns. "Reißt euch zusammen!"
Beide schienen merklich von meinem Ausbruch überrascht, war ich doch sonst eher der Besonnene gewesen, stets beim Versuch, die Wogen zwischen den schon so lange verfeindeten Derwens und Firvens zu glätten.
Aber mir reichte es. "Leander hat Recht. Es macht keinen Sinn, jetzt Asarion anzugreifen - beim Versuch zu sterben, macht es nicht sinnvoll."
Leander kniff die Augen zusammen, war sich offensichtlich nicht ganz sicher, ob ich mich gerade wirklich auf seine Seite gestellt hatte.
Gunborg hingegen schien umso enttäuschter von mir, verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine verächtliche Grimasse.
"Wir können uns dort aber auch nicht einfach verschanzen und warten. Wir brauchen mehr Männer, mehr Verbündete", setzte ich fort, um auch die Nordländerin zufriedenzustellen.
"Auf die Morwyrs können wir uns nicht verlassen, ebenso wenig auf die giarischen Holzfäller. Die Feiglinge rennen immer der Krone hinterher, völlig egal, von welchem Kopf sie getragen wird", gab Leander zu bedenken.
"Dann bleibt uns nur Gorian", erkannte ich.
"In Gorian tobt eine Rebellion, die Männer Eures Onkels kämpfen gegen die Rebellen dieses Straßenmädchens", widersprach Leander. "Ich verstehe nicht, inwieweit uns eine verstreute Rebellengruppe eine Hilfe sein soll."
"Das sind sie nicht. Aber Gorians Soldaten sind es. Ich werde nach Gorian reisen und meinen Onkel umbringen."
Nun huschte ein stolzes Grinsen über Gunborgs Lippen. "Das ist mein Junge."
"Du willst uns also wieder verlassen", erwiderte Leander hingegen spöttisch.
"Es ist wahrscheinlich ohnehin besser, wenn ich mich eine Weile zurückziehe - bis die Gemüter sich beruhigt haben."
"Wie kommst du nach Gorian, Junge? Wir könnten dir von Soria aus ein Boot organisieren...", schlug Gunborg vor, der Landweg, durch ewig weites Feindesland, war keine Option.
"Ich werde fliegen", antwortete ich überzeugt. Dabei war ich mir da nicht so sicher. Würde Ladon wiederkommen? Wieder drehte der Schmerz meine Eingeweide durch den Fleischwolf, den ich eine Weile so erfolgreich verdrängt hatte. So viel Wut. Immer mehr war ich davon überzeugt, dass eigentlich ich derjenige mit dem lodernden Drachenblut in den Adern war.
"Eure Bestie lasst ihr am Besten oben im Norden", schlug Leander gehässig vor, ich ging nicht weiter darauf ein.
"Gebt euren Hauptmännern Bescheid, eure Truppen sollen sich aufbruchbereit machen. Am Besten brecht ihr morgen nach Soria auf - je eher ihr euch hinter befestigten Mauern befindet, desto besser."
"Und du bist dir sicher, dass du kein Boot nehmen willst?", fragte Gunborg noch einmal nach.
Ich nickte. Wenn Ladon nicht wiederkam, würde ich eben über den Landweg nach Gorian finden. Das würde ich schaffen. Ich würde mich selbst darum kümmern. Auf Ladon konnte ich mich vielleicht nicht mehr so verlassen, wie ich es einst dachte.
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Legenden von Patria - Der Baum der Götter
FantastikDIESES BUCH IST DER ZWEITE TEIL IN DER "Legenden von Patria"-REIHE. Die erste Schlacht wurde geschlagen und der erste Sieg gefeiert. Doch damit ist der aufkommende Krieg nicht beendet. Obwohl Levian vernichtend geschlagen wurde, fährt er mit seinen...