Wir mussten für alles bereit sein. Auch dafür, von einer Armee auf den Wällen Asarions empfangen zu werden. Dementsprechend angespannt war ich, als wir auf die Stadt zumarschierten. Leise, das Tragen schwerer Rüstungen war verboten worden, um den Lärm so weit wie möglich zu reduzieren.
Wir marschierten nicht in voller Stärke auf - etwa ein Drittel der Streitkraft war im Lager zurückgeblieben, um gegebenenfalls helfen zu können. Wir wollten nicht alle Karten auf diese Truppe setzen. Aber in dieser Truppe war ich, ebenso wie Ladon, Atarah, Leander und Gunborg.
Und auf den Mauern erwartete uns keine Armee. Das Tor stand weit offen, weit und breit war niemand zu sehen. Gunborg pfiff leise und schickte mit einer Handbewegung drei ihrer Männer voraus, durchs Tor und auf die Mauern, um sicherzustellen, dass uns keine Falle erwartete.
Angespannt wartete der ganze Zug auf weite Reihen von Bogenschützen, die sich hinter den Mauern erheben würden. Doch die kamen nicht. Stattdessen hob sich der Kopf von einem von Gunborgs Männern über die Mauer und rief leise hinunter: "Mehrere Leichen hier, die Torbesatzung wurde getötet."
Eine dunkle Silhouette trat aus dem Schatten des Tors, hochgewachsen, dunkler Kapuzenumhang. Leska. "Dafür bin ich verantwortlich. Es war der einfachste Weg, die Wachen loszuwerden."
"Du gefällst mir, Kindchen!", grölte Gunborg bedrohlich laut und verfiel beinahe in eins ihrer polternden Gelächter, ehe sie sich wieder der Situation zu besinnen schien und schwieg.
Leichtfüßig wandte Leska sich um, der Bogen in ihrer Hand glitzerte im Licht des Mondes. "Folgt mir, ich zeige euch den Weg, den ich bereits... freigeräumt habe."
Bittere Galle stieg in meiner Kehle hoch, als ich darüber nachdachte, wie viele sie wohl hatte töten müssen, um uns einen Weg durch die Stadt bis hoch zum Palast der Deviniaths zu schaffen. Aber das war immer noch besser, als die Stadt niederzubrennen.
"Auf geht's", zischte Leander und machte damit den Anfang, der Zug setzte sich wieder in Bewegung, mehrere hundert Männer und Frauen drangen durch das Tor hindurch in die Stadt. Ich behielt unser Umfeld genau im Auge, vereinzelt sah ich ängstliche Gesichter, die auf uns hinuntersahen, zweifellos Einwohner der Stadt. Immerhin die hatte Leska nicht getötet. Und wir würden sie auch nicht töten.
Es war eine reiche Stadt, die Häuser hoch und zumeist in den Grundmauern aus Stein. Zumindest war sie reich für die Privilegierten. Es war unheimlich still. In Dynion war es bei Nacht auch still gewesen, aber nicht so. Es war, als würde nicht ein Lüftchen wehen. Keine Schreie von Betrunkenen, kein Rüstungsklirren patrouillierender Stadtwachen. Nichts.
"Ich traue dem hier nicht", sagte Ladon mir, ich neigte leicht den Kopf.
"Ich auch nicht."
Aber eine Wahl hatten wir nicht. Jetzt waren wir im Inneren der Stadt, jetzt würden wir uns allem stellen müssen, was uns hier erwartete.
"Du darfst dich hier nur verwandeln, wenn es unbedingt sein muss", warnte ich Ladon noch einmal. "In diesen engen Straßen wirst du dich kaum bewegen können, ohne Häuser einzureißen."
"Dann hoffen wir, dass es nicht sein muss", erwiderte er, das angespannte Band zwischen uns verriet mir, dass wir beide gleichsam misstrauisch waren.
Dann war Leska, die eben noch vor uns hergelaufen war, auf einmal verschwunden. Ich hatte nur einen kurzen Moment nicht hingesehen, als ich mit Ladon gesprochen hatte, doch anderen schien es ebenso zu gehen wie mir.
"Wo ist sie hin?", zischte Gunborg, ihre beiden Streitäxte fest umgriffen.
Kurz darauf stand Atarah neben mir, der Zug kam zum Halt. "Wir sollten umkehren. Ich vertraue dieser Elfe nicht", gab sie zu bedenken.
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Legenden von Patria - Der Baum der Götter
FantasiaDIESES BUCH IST DER ZWEITE TEIL IN DER "Legenden von Patria"-REIHE. Die erste Schlacht wurde geschlagen und der erste Sieg gefeiert. Doch damit ist der aufkommende Krieg nicht beendet. Obwohl Levian vernichtend geschlagen wurde, fährt er mit seinen...