Je näher wir Soria kamen, desto finsterer wurde meine Miene.
Soria bedeutete, dass es zwischen Ladon und mir wieder anders werden würde, werden musste. Sir Fyreborn, mein Leibwächter, und ich, Lord Blayd.
Ich würde zuerst zu den Firvens gehen müssen, zu Atarah. Und ihrem Bruder Leander, der jetzt Lord war. Atarah hatte ihren Vater verloren und ich wusste, dass er ihr viel bedeutet hatte. Und ich war nicht da gewesen. Die Allianz, die die Firvens mit den Derwens und Morwyrs geschlossen hatten, war nur dank mir zustande gekommen. Ich war das Bindeglied dieses Krieges, ein Bindeglied, das bereits nach der ersten Schlacht vom Erdboden verschwunden war.
Ich hätte ihr schreiben sollen, aber ich hatte es nicht getan. Zu sehr war ich zuerst damit beschäftigt gewesen, Ladon zu finden, dann damit, ihn bei mir zu haben. Ich war egoistisch gewesen und hatte damit viel aufs Spiel gesetzt. Ob ich diese Allianz nun noch retten konnte? Die Morwyrs hatten sich bereits verflüchtigt, kein Wunder eigentlich.
"Triefende Schleimbeutel, die sich niemandem verpflichtet fühlen!", hatte mein Vater immer gesagt, wenn wir einen der Morwyrs getroffen hatten.
Waren die Derwens und die Firvens gemeinsam stark genug, es mit Levian aufzunehmen? Wie stark war Levian überhaupt? Oder lenkte eigentlich die mysteriöse Frau mit der Goldmaske das Kriegsgeschehen? Götter, ich wusste nichts.
Kaum hatten wir den See überquert - dieses Mal erschienen keine Gestalten aus dem Wasser, doch ich meinte immer wieder, schemenhaft Körperkonturen im Wasser treiben zu sehen - beschlossen wir, zu fliegen. Es würde viel schneller gehen, und wenn wir uns an der Küste hielten, würde uns hoffentlich niemand sehen. Oder sich selbst für verrückt erklären. Ich war mir nicht sicher, ob ich den Drachenreitertrumpf bei meiner Rückkehr schon ausspielen sollte. Nein, ich wollte Ladon bei mir haben. Als Mensch. Ohne dass jemand erfuhr, dass er der Drache war.
-
Am Morgen des nächsten Tages erreichten wir Soria. Vor den Toren der reichen Stadt empfingen uns keine Wachen, nur einige Menschen hasteten hinaus. Innerhalb der Mauern herrschte das pure Chaos. Vom Reichtum der Stadt kundeten nur noch die voll beladenen Kutschen der Händler, die auf dem schnellsten Wege die Stadt verließen.
"Wohin wollt ihr?!", rief ich schließlich einem hinterher.
"Weg, bevor der Kampf beginnt!", schrie er zu mir zurück, bevor er mit seinem Wagen verschwand.
"Sieht aus, als kämen wir gerade noch rechtzeitig", bekannte Ladon, als wir das Händlerviertel erreichten.
Mir fiel auf, dass ich nicht im Geringsten wie ein Lord aussah. Hoffentlich fand ich Atarah oder wurde von Soldaten der Firvens erkannt, sonst würde mir niemand glauben, dass ich Cieran Blayd war.
Bereits das laute Gebrüll vom anderen Ende der Straße, auf der wir uns befanden, machte mir klar, dass ich zuerst jemand anderen treffen würde.
"Ihr räudigen Schleimscheißer, kommt raus, damit ich euch allen mit meiner Axt die fetten Bäuche aufschlitzen kann!"
Eine laute, polternde Stimme, die einer Frau.
"Sollten wir wirklich direkt darauf zugehen?", gab Ladon zu Bedenken, aber ich nickte. "Das ist Lady Derwen. Sie wird uns nichts tun. Naja, mir jedenfalls nicht."
Ladon zog die Augenbrauen hoch, aber da hatten wir bereits eine ganze Reihe Soldaten im dunklen Grün der Derwens erreicht, die mit dem Rücken zu uns stand.
"Versuch doch, an unsere Bäuche ranzukommen, altes Miststück!", schrie jemand zurück. Leander.
Götter, vielleicht war ich wirklich im letzten Moment gekommen. Ich drängte mich zwischen den Reihen der Soldaten hindurch, Ladon dicht auf meinen Fersen.
Sie hatten einen breiten Halbkreis um ein Gittertor errichtet, hinter dem einige Stufen hinauf zur Villa des Stadthalters führten, breit und ausschwänglich, typisch für Erdeas. Jetzt nutzten die Firvens das Gebäude als Festung, die Derwens standen offensichtlich kurz vor dem Sturm.
"Du kannst nicht zielen, Bürschchen, warum versuchst du es überhaupt? Meine Titten sind härter als der Stahl, den deine schlammfressenden Schmiede in Tofania auf deine Pfeile hauen!"
Ja, das war definitiv Lady Derwen.
Niemand hatte uns aufgehalten, auch wenn einige der Soldaten es versucht hatten, aber nicht schnell genug gewesen waren. So erreichte ich nun die vorderste Reihe von Lady Derwens Männern - und Frauen, denn Lady Derwen hatte stets dafür gesorgt, dass auch Frauen in ihren Kriegen kämpften - und bekam einen besseren Überblick auf die Situation vor mir.
Lady Derwen stand einige Meter vor ihren Truppen, isoliert, hervorstechend, herausfordernd, ihre zwei Streitäxte tanzten kampfeslustig im Kreis um ihre Hände herum.
Ein Stück vor ihr befand sich das Gittertor, Lanzen von Soldaten der Firvens ragten daraus hervor, bereit, jeden zu erstechen, der den Versuch wagte, das Gitter zu überwinden.
Weiter hinter den Männern, einige Stufen über uns, stand Leander, einen Bogen in seiner Hand, der Pfeil, der vor Lady Derwen im Boden steckte, eine offensichtliche Warnung. Doch jetzt erblickte er mich und riss die Augen auf.
"Du hast wohl Angst, Hurensohn!", lachte Lady Derwen, dann musste sie seinen Blick gedeutet haben, denn sie drehte sich ruckartig um, offensichtlich in Erwartung einer neuen Bedrohung.
Ihr von Narben überzogenes Gesicht entspannte sich, als sie mich sah. "Cieran, kleiner Lord! Du kommst genau zum richtigen Zeitpunkt! Wir schicken diese dämonischen Jungfrauen in den Tod!"
"Das wird nicht nötig sein!", hob ich die Stimme.
"Und wie das nötig ist. Wir werden die Köpfe dieser verräterischen Schlangen so tief in ihre eigenen Ärsche stecken, dass sie ihre eigene Scheiße fressen können!"
"Nicht wir haben Euch verraten, Ihr habt Euch nicht an unsere Vereinbarung gehalten!", widersprach Leander wütend. Ob er wegen Lady Derwens Aussage wütend war oder wegen mir, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Es war im Moment wohl auch egal. Atarah konnte ich nirgendwo entdecken. Was hatte das zu bedeuten? Kalte Finger umgriffen mein Herz, als die Befürchtung in mir aufkam, ihr könnte etwas zugestoßen sein.
"Lady Derwen, wir sollten...", begann ich und hob beruhigend die Arme.
"Wenn du mich noch einmal Lady nennst, schneide ich dir die Zunge raus und verfüttere sie an diese Hunde da hinten", meinte sie und zeigte mit ihrem Mittelfinger auf die Firvens hinter ihr, dann verfiel sie in polterndes Gelächter, bevor sie zu mir kam und mich so fest umarmte, dass mir die Luft wegblieb.
Ich folgte ihrer Drohung und hob erneut die Stimme, nachdem sie wieder von mir abgelassen hatte: "Gunborg. Wir sollten reden - anschließend können wir uns immer noch gegenseitig umbringen."
Gunborg presste die Lippen aufeinander bis sie kaum noch zu sehen waren, sah kurz zu Leander, der ihren Blick nur grimmig erwiderte, dann wieder zu mir. "Aber danach töten wir sie."
Der erste Schritt war getan, ein Gemetzel verhindert. Doch jetzt begann erst der wirklich schwere Teil. Wie bei den Dämonen sollte ich diese beiden stolzen Krieger dazu bringen, sich miteinander zu versöhnen?
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Legenden von Patria - Der Baum der Götter
FantasíaDIESES BUCH IST DER ZWEITE TEIL IN DER "Legenden von Patria"-REIHE. Die erste Schlacht wurde geschlagen und der erste Sieg gefeiert. Doch damit ist der aufkommende Krieg nicht beendet. Obwohl Levian vernichtend geschlagen wurde, fährt er mit seinen...