Ich vermisste Cieran. Ich vermisste ihn so sehr, wollte ihn bei mir haben, in meinen Armen halten und küssen.
Aber ich war alleine. Alleine auf dem Weg nach Süden, immer am Fluss entlang, um die Flotte aus Erain nicht zu verpassen.
Ich lief ungewohnt langsam, wollte nicht allzu schnell eine große Distanz zwischen Cieran und mich bringen.
Wir sprachen oft in Gedanken miteinander, meist abends, bevor wir einschliefen. Eigentlich schlief ich nicht viel, aus Angst, die Flotte genau dann zu verpassen. Doch Cierans Stimme und seine Worte wirkten beruhigend, sodass ich meist ein wenig döste, wenn er schon lange eingeschlafen war.
Vor ein paar Tagen war es aber anders gewesen. Cieran hatte mich geweckt, indem er das Band zum Zittern gebracht hatte. Anschließend hatte er mir von einem Traum berichtet, indem ihm die rothaarige Elfe begegnet war, die ihn zweimal in den Kerkern von Illea besucht hatte.
Ich dachte auch heute darüber nach, während ich meinen Weg flussabwärts fortsetzte.
Cieran hatte mir gesagt, dass diese Elfe auch gleichzeitig eine Reiterin war und dass sie es war, die im Hintergrund die Fäden zog.
Sie hatte Dynion zerstört. Sie war Schuld am Tod der Waisenkinder.
Ich schüttelte den Kopf, als dieser Gedanke sich zum wiederholten Mal in den Vordergrund zu drängen versuchte. Wut konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen, der nahende Neumond machte mir schon genug zu schaffen.
"Hast du schon etwas entdeckt?"
Cierans Stimme in meinem Kopf riss mich aus meinen Gedanken.
"Nein, bisher kein einziges Schiff auf dem Fluss."
"Vielleicht bleiben sie ja doch in Brynn."
Danach herrschte einen Moment lang Stille, doch ich spürte, dass Cieran sich nicht völlig von unserem Band zurückgezogen hatte, weshalb ich es auch nicht tat. Vielleicht suchte er nach den richtigen Worten oder er brauchte einen ruhigeren Ort, um mit mir zu sprechen.
"Die Mutter von dem kleinen Mädchen, dem kleinen Drachen, ist vorhin zu mir gekommen und hat sich nach dir erkundigt. Sie hatte den Tumult um dich nicht richtig mitbekommen."
Ich musste lächeln, als ich an den nur wenige Tage alten Drache dachte. Die Kleine war wirklich zuckersüß und hatte vom ersten Moment an mein Herz berührt.
"Hast du es ihr erzählt?"
"Etwas anderes ist mir nicht übrig geblieben, es hat mich ehrlich gesagt gewundert, dass sie kaum etwas davon wusste. Also habe ich ihr erzählt, was vorgefallen ist. So neutral wie möglich, versteht sich."
"Wie hat sie reagiert?"
Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn ich zurück nach Dynion kam und die Kleine nicht mehr sehen, nicht mehr an meiner Brust wärmen konnte, nur weil ihre Mutter nicht verstand, dass ich Cieran liebte.
"Erstaunlich offen. Sie meinte zwar, dass sie es durchaus etwas gewöhnungsbedürftig findet, aber auch, dass sie bemerkt hat, wie gekränkt du warst, als wir uns gestritten hatten. So würde nur jemand reagieren, der verliebt ist, hat sie gesagt und außerdem fand sie es rührend, wie du dich um ihre Tochter gekümmert hast."
"Die Kleine ist nunmal wie ich und außerdem wirklich süß."
"Das bist du auch, wenn du dich um sie kümmerst."
Ich lächelte und sah Cierans verlegenes Lächeln beinahe vor mir, spürte es als angenehme Wärme über unser Band.
Dann verschwand mein Lächeln jedoch schlagartig, als ich an den Horizont sah.
Etwas bewegte sich flussaufwärts auf mich zu. Zuerst war es nur ein dunkler Punkt, der jedoch erschreckend schnell größer wurde, sich immer wieder zu teilen schien.
Schiffe, hunderte Schiffe. So viele, dass die Anzahl der Handelsschiffe in Zafra mir jetzt völlig lächerlich vorkam.
Cierans Onkel wollte sichergehen, dass ihn die Rebellen nicht noch einmal überraschen konnten. Oder überhaupt irgendetwas tun konnten. Auf jeden einzelnen Rebellen wartete ein furchtbarer Tod. Und nicht nur das, meine scharfen Drachenaugen entdeckten Katapulte auf einigen der vorderen Schiffe.
Dynion sollte zerstört werden. Ein für alle mal.
Auf den dunkelblauen Segeln der Schiffe prangte das Möwenwappen der Morwyrs, zeigte von weitem, mit wem man es zu tun hatte. Lord Morwyr von Erain schien keine Kosten und Mühen gescheut zu haben, um seinen neuen Verbündeten zur Seite zu stehen.
"Ladon?"
Cieran musste meine Anspannung gespürt haben. Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fassen. Tief saß der Schock meiner Erkenntnis.
"Das ist keine Flotte. Das ist eine Armada!"
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Legenden von Patria - Der Baum der Götter
FantasyDIESES BUCH IST DER ZWEITE TEIL IN DER "Legenden von Patria"-REIHE. Die erste Schlacht wurde geschlagen und der erste Sieg gefeiert. Doch damit ist der aufkommende Krieg nicht beendet. Obwohl Levian vernichtend geschlagen wurde, fährt er mit seinen...