41: Entscheidungen und Offenbarung

17 4 0
                                    

Jin stand unschlüssig vor dem Schreibtisch in Namjoons Arbeitszimmer, betrachtete den kleinen, totenkopfförmigen Schlüssel.

Er wusste, dass seinem Ehemann diese Schlüssel sehr wichtig waren und er nicht riskieren konnte, sie zu verlieren - auch, wenn Jin nur diesen einen benötigte.

Er hatte tagelang über sein Vorhaben nachgedacht und war letztlich zu dem Entschluss gekommen, dass er dieses  Zauberbuch unbedingt finden und Shin - La von den Toten erwecken musste.

Wenn die Sanduhr seine verlorene Liebe allein für 48 Stunden ins Leben zurück geholt hatte, würde der Knochengral sie für immer auf der Erde halten...doch zu welchem fatalen Preis war Jin noch gänzlich unbekannt.

Dennoch, er konnte Shin - La nicht vergessen, einfach so tun, als wäre ihr Tod für ihn unbedeutend.

Jin hatte die Trauer in Soobins Augen gesehen, den blutüberströmten Körper seiner Mutter.

Damals hatte er sich sehnlichst gewünscht, dass er es irgendwie rückgängig machen könnte - ganz so, als wäre nie etwas passiert.

Dass sie noch am Leben wäre und mit ihm lachen würde, dass er ihre weichen Lippen auf seinen wieder spüren konnte.

Und genau jetzt, nach all den Jahren voller Verzweiflung und Trauer, bot sich ihm die einmalige Gelegenheit dazu.

Was sollte schon passieren?

Jin holte tief Luft und nahm den Schlüssel vom Tisch, verfasste eine kurze Nachricht an seine Familie, bevor er ihn einmal durch ein unsichtbares Loch in der Luft drehte.

Zuerst geschah nichts, dann jedoch flackerte das gedämpfte Licht im Raum und die leuchtenden Umrisse des Portals in den Schlund wurden sichtbar.

Gerade wollte Jin hindurch treten, als er plötzlich die Haustür zu schlagen und kurz darauf Namjoons fröhliche Stimme hörte.

"Jinnie, wir sind wieder da. Diese Dämonen hatten richtig Angst vor uns, wie Hoseok ihnen mit seinem Feuer eingeheizt hat...du verstehst, was ich meine!"

Jungkook kicherte und fügte hinzu:

"Ja, die sind jetzt Ragout!"

Als Jin nicht reagierte, wurde der Kleine unruhig.

"Hey, Dad. Willst du nicht herunter kommen? Hallo?"

Hoseok und er polterten die Treppe hinauf, um nachzusehen, wo denn ihr Vater abgeblieben war.

Jin spürte Tränen in sich aufsteigen, während er sich dem Portal zu wandte und schließlich hindurch verschwand, den Schlüssel dabei fest umklammert hielt.

Mit einem letzten, wehleidigen Blick zurück murmelte er:

"Es tut mir so leid, Kinder..."

Frau Osaka wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.

Noch weniger wusste sie, wie sie mit der Tatsache umgehen sollte, dass Yumi diese Geschichten über Hexen doch nicht erfunden und ihre Mutter ihrer Tochter kein einziges Wort davon geglaubt hatte.

Sie fühlte sich plötzlich ganz elend, eine richtige Mutter würde ihren Kindern zuhören und ihnen die Dinge, die sie erzählten, wenigstens etwas abkaufen.

Doch sie hatte genau das Gegenteil getan und Yumi nicht zugehört, sie jedes Mal auf ihr Zimmer geschickt und obendrein ihre wertvollen Fantasybücher weg gesperrt.

Frau Osaka hatte geglaubt, dass Yumi mal zum Psychologen gehen musste, hatte ihre eigene Tochter für verrückt erklärt.

Und nun standen zwei junge Hexen vor der blassen Frau und behaupteten, ihre Tochter zu kennen...träumte sie das alles etwa nur?

Probehalber kniff Frau Osaka sich in den Arm, der darauffolgende Schmerz verriet, dass sie vollkommen wach war.

Jimin lächelte Yumis Mutter wohlwollend an und schnippte mit den Fingern, woraufhin eine dampfende Tasse Kakao in ihrer Hand erschien.

"Keine Sorge, er ist nicht vergiftet!", rief die junge Hexe, Frau Osaka führte das Heißgetränk vorsichtig zum Mund und trank einen großen Schluck.

Pure Wärme breitete sich in ihrem Körper aus, ließ sie jegliche Sorgen vergessen.

"Ich kann verstehen, dass Sie uns nicht vertrauen!", fuhr Suga fort.

"Aber wir sind genauso wie Sie und Ihre Familie, nur eben mit magischen Fähigkeiten. Sie brauchen keine Angst vor Hexen oder dergleichen zu haben, wir würden nie irgendjemandem schaden wollen...da gibt es genug andere, die das tun!"

Jimin stimmte ihm zu:

"Sie können sich wahrscheinlich nicht mehr erinnern, aber vor zwei Jahren habe ich Ihre Familie vor dem Ertrinken gerettet. Ihr Wagen ist von der Autobahn abgekommen und beinahe in den Han River gestürzt, wäre ich nicht da gewesen...ich war auf meinem Besen gerade über Seoul unterwegs und habe mit ein bisschen Hexerei ihr Fahrzeug zurück auf die Straße gesetzt...Yumi ist mir bis heute unendlich dankbar."

"Und das sollten Sie auch sein, Frau Osaka - denn egal, was Sie über Hexen denken oder zu wissen glauben, nicht alle von ihnen sind böse!"

Taehyung, der bisher kein einziges Wort gesagt hatte, schaltete sich nun ein und beugte sich zu Yumi und Toshiro hinunter, sodass der junge Alchemist mit den beiden auf Augenhöhe war.

"Solltet ihr erneut in Not sein, habe ich hier etwas für euch!"

Er griff in seinen Kimono und zog eine kleine Vogelpfeife hervor, die ganz aus Holz geschnitzt war.

"Diese Pfeife nennt man auch den Hexenrufer!", murmelte Taehyung und reichte das Instrument Toshiro, der es in seine Hosentasche steckte.

"Als ich so alt war wie ihr beide, da bin ich oft allein los gezogen und habe meiner Mutter nicht gesagt, wo ich denn immer hin wollte...deshalb hat sie mir diese Pfeife geschnitzt. Sie hat sie mit einem Zauber belegt und mir um den Hals gehängt. Und immer, wenn ich in Gefahr war und Hilfe benötigte, musste ich nur in die Pfeife blasen und schon ist meine Mutter gekommen."

"Ich brauche sie nun nicht mehr, deshalb möchte ich, dass ihr zwei sie bekommen solltet - und hey. Lasst euch eure Fantasie niemals nehmen, egal wer gegen euch ist und euch das Träumen verbieten will. Habt ihr mich verstanden?"

Yumi und Toshiro nickten gleichzeitig:

"Klar und deutlich!"

Taehyung grinste, im selben Moment stieß Jimin einen entsetzten Schrei aus.

"Hyung, wie spät ist es eigentlich?", rief er und wies auf den eben noch stockfinsteren Nachthimmel, über den nun die ersten Sonnenstrahlen fluteten.

"Wir müssen pünktlich mit den anderen zur Orakelgrotte, sonst findet die Hexenprüfung ohne uns statt...komm, Mochi!"

Jimin stieg auf Mochi und erhob sich in die Luft, Frau Osaka machte große Augen.

Suga und Taehyung nahmen nun ebenfalls auf Kuroi Platz und flogen Jimin hinterher, die Drei winkten den Geschwistern und ihrer Mutter zum Abschied zu.

Kaum waren die Hexen davon geschwebt, hielt ein Krankenwagen vor dem Haus und zwei Sanitäter halfen Tanaka Osaka auf den kiesbedeckten Weg.

Sein verletztes Bein war in einen dicken Gips gewickelt worden und er hinkte noch etwas, doch das Gift des Kaninchendämons hatte sich vollends aus seiner Blutbahn verflüchtigt.

"Himija!", rief er strahlend und schloss seine Ehefrau in die Arme, Yumi und Toshiro mussten ebenfalls seinen eisernen Griff spüren.

"Du kannst dir nicht vorstellen, wie schnell mein Bein wieder gesund geworden ist - das ist beinahe wie Hexerei!"

Yumi und ihr Bruder lächelten verschwörerisch, Himija gluckste:

"Wenn du nur wüsstest..."

Witch Hunt - Die Prüfung ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt