55: Falsches Spiel I

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Es waren noch ungefähr 30 Minuten bis zu seiner Prüfung und Jimin wurde, je mehr die Sonne hinter den Gipfeln der umliegenden Berge versank, immer unruhiger.

Obwohl er die letzten Stunden eifrig über vier ganze Jahre an Hexsprüchen geübt und sie sich, so gut es ging, eingeprägt hatte, hatte er panische Angst, dass er gleich kein einziges Wort heraus bekommen würde.

Jimin hatte bereits eine große Portion Mahlfix geschluckt und sich kurz darauf mehrmals übergeben müssen, war beinahe der Ohnmacht nah gewesen.

Er glaubte zu wissen, dass es bei den Menschen dafür einen Begriff gab - Blackout oder so ähnlich.

Er wusste nicht, ob es daran lag, dass ein Dämon kurz davor war, seinen Körper einzunehmen.

Er wusste nicht, ob er schlicht und einfach eine Panikattacke hatte.

Er wusste nur, dass er in diesem Zustand die Prüfung wahrscheinlich nicht überleben würde.

Und doch führte kein Weg daran vorbei -

Jimin zuckte zusammen, als Madam Hokusai neben ihm auftauchte und ihn wohlwollend von der Seite an lächelte:

"Sind Sie bereit? Ich weiß, Sie schaffen das..."

Jimin wollte den Mund öffnen, seiner Lehrerin sagen, dass er rein gar nicht bereit war und er die Prüfung am liebsten abbrechen wollte.

Doch seine Kehle war wie zugeschnürt.

"Sie haben Angst, nicht?", fragte Madam Hokusai und legte ihrem Schüler eine Hand auf die Schulter, blickte Jimin tief in die Augen.

"Wissen Sie, ich war auch einst in Ihrem Alter und kurz vor meiner Prüfung habe ich glatt den ganzen Höhlenboden mit Erbrechen voll geschmiert, da ich so große Angst hatte. Nun bin ich Lehrerin und merke, wenn sich meine Schüler schwer tun, ihnen glatt die Knie zu schlottern anfangen. Denn sie spiegeln genau die Person wieder, die ich damals gewesen bin - und einmal mehr sage ich ihnen, dass sie einfach ihre Angst überwinden und sich das Publikum einfach nackt vorstellen müssen...es hilft, glauben Sie mir!"

Sie gluckste, ihr Blick wurde im selben Moment wieder ernst und Madam Hokusai deutete in die schwach erleuchtete Haupthöhle.

"Sie gehen da jetzt raus und zeigen dem Großen Orakel, wer Sie sind - nämlich eine wahre Superhexe!", rief Jimins Lehrerin und reckte triumphierend den Daumen nach oben, in Jimin keimte Hoffnung auf.

Es war ein großes Glück, zu wissen, dass auch seine oft so erfolgsbedachten Lehrer an seine innere Stärke glaubten.

Das Große Orakel saß auf Ihrem Podest, trug heute eine lilane Robe mit hochgestelltem Kragen und die funkelnde Krone wie üblich auf Ihrem fast weißlich schimmernden Haar.

Ein bläulicher, kalter Flammenring bildete eine kleine Bühne, auf der gerade der letzte Schüler seine Prüfung in Musikmagie beendet hatte und seine Laute noch einmal erklingen ließ, bevor er endlich Platz für Jimin machte.

Vor der Bühne hatten sich bereits die anderen Hexenschüler eingefunden, unter ihnen auch Ji Lee und Dogu, die verächtlich die Nase rümpften und eine Darbietung wie jede andere erwarteten, die sie in den letzten Stunden gesehen hatten.

Einige vertraute Gesichter entdeckte Jimin ebenfalls in der Menge, Yu Shi und Tapu grinsten und winkten ihm zu.

Selbst Toku und seine Schwester waren gekommen, schwenkten ein bunt bemaltes Schild mit der Aufschrift PARK JIMIN - UNSERE NUMMER #1!

Der Einzige, der nicht zu sehen war, war Taehyung.

Jimin spürte, wie ihm abermals die Tränen kamen, schluckte sie jedoch herunter und holte tief Luft.

"Großes und Mächtiges Orakel!", begann er, wandte dem Publikum den Rücken zu und sprach mit fester, klarer Stimme.

"Seit jenem Tag, als Ihr mich das erste Mal zu Euch gerufen habt, sind mir Eure weisen Worte nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Es ist mir eine große Ehre, an diesem besonderen Tag meine Fähigkeiten erneut zur Schau stellen zu dürfen und Aufschluss über meinen weiteren Lebensweg zu erhalten, wie alle anderen bereits vor mir."

Jimin machte eine tiefe Verbeugung, das Große Orakel erhob sich vom Thron und sagte mit engelsgleicher Stimme:

"Es ist mir ebenfalls eine große Ehre, Park Jimin. Lass mich dir unsere Prüfer vorstellen, die deine Fähigkeiten akribisch beobachten und entsprechend bewerten werden."

Auf ein Klatschen Ihrer blassen Hände hin erschien ein grob aus Kalkstein gehauenes Pult, an dem vier grünhäutige Gestalten saßen und Jimin scharfäugig musterten.

Bei den Prüfern handelte es sich um Waldnymphen, zwei Männer und zwei Frauen, die so überirdisch schön waren, dass Jimins Herz plötzlich noch schneller pochte als gewöhnlich.

Die beiden Frauen trugen anstatt Kleidung nadelspitze Rosendornen um den entblößten Leib, ihre wallend kastanienbraunen Haare fielen in dichten Locken über ihre makellosen Gesichter.

Man musste nicht zweimal hin gucken, um zu sehen, dass sie unbedingt auffallen wollten.

Die Männer hielten sich mit dem Aufbrezeln eher zurück, sie trugen verwaschene Togas und einen Reif aus funkelnden Diamanten in den sandfarbenen Haaren - beim genaueren Hinsehen konnte man jedoch die schon lange zersetzten Skelette kleiner Elfen erkennen, aus denen der Kopfschmuck angefertigt worden war.

Waldnymphen waren ein sehr gewaltfreudiges Volk, besaßen jedoch ein hervorragendes Gespür für Betrügereien - kein Wunder, dass sie hier als Beobachter fungierten und absolut jeden dran kriegten, der bei der Prüfung schummeln sollte.

"Du darfst nun beginnen, kleine Manyeo!", murmelte eine der weiblichen Nymphen und lächelte, entblößte zwei Reihen strahlend weißer, nadelspitzer Zähne.

Jimin verbeugte sich abermals und trat in die Mitte der Bühne, plötzlich wurde ihm ganz schwindlig.

Die ganze Höhle schien sich zu drehen, das angespannte Publikum verschwamm zu einem einzigen Fleck.

Die junge Hexe konnte gerade so verhindern, dass er doch noch zusammen klappte und rief, so laut er konnte:

Umo Ki - Li,
Umo Ki - Ki.

Durch die Lüfte, vogelfrei,
Los, mein Mochi, komm herbei!

Zur selben Zeit hob der vermummte Orakelwächter seine Arme, in Zukos Gesicht breitete sich ein hämisches Grinsen aus.

Park Jimin würde sein blaues Wunder erleben, wenn er bemerkte, dass absolut nichts so laufen würde, wie er sich die letzten Tage vorbereitet hatte...

Die Blutsschwester lachte schallend, während sie mit sardonisch funkelnden Augen jenen Spruch rezitierte, der Taehyung einst vom Himmel geholt hatte - aber diesmal würde er eine komplett andere Wirkung erzielen.

Siju Ko - Li,
Siju Lo - Ji.

Sollst nun sein ein wildes Tier,
Besenstiel, gehorche mir!









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