Verlorene Seelen | Episode 6 | Teil 3

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Nachdenklich legt Cho das Handy ab und blickt durch die Glasscheibe auf Megan, die mit einem beinahe verbissenen Gesichtsausdruck auf ihren Monitor starrt. Das Angebot Abbotts Büro zu beziehen hatte er danken abgelehnt. Er wollte in der Nähe seines Teams bleiben, nicht um die Mitglieder zu überwachen, sondern um sich nicht so verloren zu fühlen. Im Grunde seines Herzens war er immer noch ein Gangmitglied, nur dass er irgendwann die Seiten gewechselt hat. Im Normalfall stand seine Tür immer offen, es sei denn er konnte oder wollte sein Wissen nicht teilen. So wie heute.

Megan Silver ist seit etwa einem Dreivierteljahr Teil des Teams. Anfänglich konnte er mit der jungen Frau gar nichts anfangen. Allein ihr provokantes Äußeres ließ ihn auf Abstand gehen. Doch mit der Zeit lernte er ihren wachen Verstand und die präzisen, analytischen Fähigkeiten zu würdigen. Sie zeigte sich als verlässlich und verhielt sich bislang regelkonform, was die Zusammenarbeit in vielen Bereichen reibungslos gestaltete. Doch insgeheim muss er sich eingestehen, dass er sie nicht einzuschätzen kann. Ihm ist schon ein paar mal aufgefallen, wie sie ihm Wissen vorenthielt und Entscheidungen auf eigene Faust traf.

Seine Erfahrung und sein Instinkt flüstern ihm immer wieder zu, sie im Blick zu behalten. Es fühlte sich an, als würde eine nicht fassbare Gefahr von ihr ausgehen. Scheinbar ging es nicht nur ihm so, Wylie wechselte kaum ein Wort mit Megan. Aus diesem Grund hatte Cho ihn heute um seine Einschätzung gebeten. Ehrlich wie er war, begann er mit „Gemessen an Vega?". „Natürlich nicht, Wylie", hatte Cho geantwortet.

„Gemessen an mir?"

„Ich verstehe worauf Sie hinauswollen. Silver soll weder ein Ersatz für Vega noch ein Ersatz für Sie sein. Mir wurde sie von höchster Instanz her empfohlen. So einer Empfehlung widerspricht man nicht. Und seien wir ehrlich, Wylie, seitdem Teresa gegangen ist und Jane mit ihr, dürfen wir uns nur noch mit Cyberkriminalität befassen. Das mag vielleicht spannend für Sie sein, aber mir fehlt die Herausforderung. Ich bin kein Schreibtischhengst."

„Also gut ... Sie ist seltsam", zögerlich sieht Wylie seinen Vorgesetzten an, unsicher ob er seine Gedanken aussprechen soll. Ein kaum merkliches Nicken signalisiert ihm fortzufahren: „Ich verstehe nicht wieso sie hier ist, die passt nicht zu uns. Sie hält sich nicht an die Etikette", sprudelt es daraufhin aus Wylie heraus.

„Wegen der Tattoos und der Klamotten?"

„Warum wird das toleriert?"

„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber eins ist sicher: Ohne Sie hätten wir den Esperanza-Fall nicht."

„Und das hängt wie mit ihr zusammen?"

„Fragen Sie sie, ich rede nur mit Teammitgliedern, wenn sie im Raum sind. Das dürften Sie inzwischen wissen, Wylie."

Wylie errötet, natürlich weiß er das, nur war es schwierig mit Silver ins Gespräch zu kommen. Sie ist nie unfreundlich zu ihm, trotzdem hat sie eine einschüchternde Wirkung auf den unbeholfenen Analysten. Und irgendwie hat Cho Recht, die Arbeit ist inzwischen beinahe wie in seiner ersten Abteilung. Zu Abbotts Zeiten war alles aufregend und neu. Aber nach Vegas Tod hatte er sich zurückgezogen. Wenn er nicht im FBI war, zockte er Online-Games oder besuchte seine Familie in Indiana. Sonst hatte er keine große Lust etwas zu unternehmen. Das hat sich bis heute nicht großartig geändert. Seine Mutter liegt ihm ständig in den Ohren, dass er mit seinen Freunden um die Häuser ziehen soll, neue Leute kennenlernen und versuchen loszulassen. Das ist einfacher gesagt als getan, er kann Michelle nicht vergessen. Er träumt oft von ihr, wie es wohl gewesen wäre sie besser kennenzulernen. Vielleicht wären sie ein Paar geworden. Wylie war zwar schon einige Male verknallt gewesen, aber Michelle war anderes. Diese Frau hat ihn umgehauen, einmal hat er sogar davon geträumt sie zu heiraten.

Ein neues Kapitel - The Mentalist - Staffel 8Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt