2. Teil

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Am nächsten morgen weckte mich Kaan. Er spielte mit meinen Haaren. Ich lächelte ihn an und küsste seine weichen Backen.

,,Wieso haben eigentlich Jungs keine langen Haare?''

Ich lachte kurz auf und sah in seine meeresblauen, klaren Augen. Dadurch legte sich die Sehnsucht nach meiner Mutter stets etwas. Ich hatte dagegen die Augen von meinem Vater vererbt. Stink normale Grün-Braune Augen.

,,Weil das so ist. Jungs haben kurze Haare, Mädchen längere.''

,,Ich weiß wieso!'', entgegnete Kaan hastig und richtete sich auf.

,,Wieso?'', fragte ich neugierig und fuhr durch sein dunkles Haar.

,,Na Jungs würden die langen Haare stören, wenn sie Fußball spielen.''

Ich musste schmunzeln. Er war der einzige Mensch, bei dem ich hin und wieder ehrlich lächelte.

,,Hast du Hunger?'' Er nickte mehrmals. Ich stand auf und nahm ihn an der Hand.
,,Komm, wir gehen mal schauen, was es gibt.''

Im Wohnzimmer war keiner zu sehen. Zum Glück. Ich konnte gerade gar nicht die Gesichter meines Vaters oder von seiner Tussi anhaben. Kaan nahm sich eine rote Schüssel aus dem Küchen-Schrank und einen kleinen Löffel.
Ich schüttete ihm Müsli und etwas Milch ein. Solange er aß, saß ich ihm gegenüber und blätterte ohne Plan in einem Magazin herum.

Plötzlich hörte man grobe und laute Schritte, die auf Buluts hinwiesen. Sein Gesichtsausdruck verriet mir seine prächtige Laune.

,,Was hast du gestern für eine scheiße abgezogen?''

Ich sah ihn nicht an. Diesen Jungen hasste ich genauso wie Ceylan. Man merkte sofort, dass sie aus dem gleichen Holz geschnitzt waren. Ich sah weiter ins Magazin. Auf einmal riss er mir es aus der Hand und zerriss es aggressiv in grobe Schnipsel.

,,Was soll das?'', entgegnete ich verständnislos. Kaan sah verängstigt zu Bulut hoch. Unser Halbbruder stellte sich vor mich und hielt seinen langen Zeigefinger vor meine Nase.

,,Du wirst dich bei meiner Mutter entschuldigen, verstanden?''

Er sah mich mit seinen dunklen Augen bedrohlich an, doch diese Masche zog bei mir nicht mehr.

,,Vergiss es!'', fauchte ich entschlossen zurück. Er zog mich von meinem Stuhl aggressiv hoch und schien mich mit seinen Augen verschlucken zu wollen.

,,Du wirst!", brüllte er sehr laut und verstärkte seinen Handgriff. Plötzlich zog Kaan an Buluts Arm.

,,Lass Defne los!''

Er schubste Kaan grob zur Seite. In diesem Moment verwandelte ich mich in eine Flamme um. In mir brodelte es. Keiner durfte meinen Bruder so anfassen, schon gar nicht dieses Anabolika-Tier. Ich klatschte seine Hand weg, die er schon gegen mich machtvoll erhoben hatte.

,,Du hast kein Recht mir was zu befehlen, verstanden?''

In dem Moment kamen mein Vater und seine Frau, Ceylan, ins Wohnzimmer.

,,Da schau Salih, unseren Sohn will sie auch verscheuchen!'', rief dieses Weib gespielt und versuchte irgendwelche falschen  Tränen zu erzeugen.

,,Was redest du wieder? Hör endlich auf mich so darzustellen. Bulut droht mir immer wieder. Er hat Kaan geschubst, keiner fasst meinen Bruder so an!''

Plötzlich stellte sich mein Vater vor mich und schenkte mir kühle Blicke. Ich hasste seine Blicke. Ich konnte seine verachtende Kälte bis in  mein tiefes Inneres spüren.

,,Bulut ist euer großer Bruder, habe Respekt Defne!''

Ich schnappte wütend nach Luft.

,,Er wird nie mein Bruder sein! Ich habe einen Bruder und der heißt Kaan. Welchen meine wundervolle Mutter zur Welt gebracht hat. Du könntest noch 100 Kinder mit dieser Frau zeugen, nicht eins würde ich als Geschwisterteil ansehen!''

SchicksalsschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt