21. Teil

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Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich sah meinen kleinen Bruder. Kaan. Eine jüngere Frau lief neben ihm und hatte ihre Hand auf seiner Schulter abgelegt. Wer war sie? Was sollten die ganzen Männer, schwarz gekleidet, um beide herum?

Schwer atmend hielt ich  mich an meinem Sitz fest.  Reflexartig fand sich meine Hand an der Autotür und war dabei diese zu öffnen, bis Caner mich zurück zog und davon abhielt. Fragend sah ich zu ihm.

,,Lass meinen Arm los, ich muss zu meinem Bruder!''

Zwecklos probierte ich Caners Hände von mir abzurütteln.

,,Schau noch mal hin. Zu dem Wagen.''

Verwirrt befolgte ich seine Anweisung. Eine weitere Person war aus dem Wagen gestiegen. Eine Person, welche mich an etwas schreckliches erinnerte. Eine Person, die mir anscheinend noch viele Probleme bereiten würde. Eine Person - namens Davut.

,,Er wird dich nicht verschonen, Defne. Davut ist unberechenbar. Ein Möchtegern Typ, welcher durch seine Macht vieles in der Hand hat. Zu viel.''

Caners Wörter waren wie ein Echo, welches sich in meinen Gedanken oftmals wiederholte, von mal zu mal leiser und gedämpfter.

Kaan war bei Davut, bei seiner Schwester. Seine Männer hatten in Istanbul nicht gelogen. Es stimmte. Doch was tat er da? Sollte Kaan, laut meinem Vater, nicht bei einer Familie in der Türkei sein? Wieso war nun bei diesem stadtbekannten Verbrecher? Was wollte diese dreckige Familie von meinem kleinen Bruder? Ich fühlte einerseits eine beruhigende Erleichterung, doch anderseits nur noch einen größeren Wall von Wut. Es war schrecklich zu sehen, wie hinter dem eigenen Rücken Sachen passierten, welche man in keinster Weise nachvollziehen konnte. Nicht zu wissen wer Täter und wer Opfer darstellte. In meinem Kopf ratterte es wie in einer Maschine. Doch letztendlich kam ich in keinster Weise auf ein Ergebnis.

,,Defne.''

Er. Er war hier. Woher wusste er von Kaan? Woher konnte er das alles wissen? Wodurch?

,,Woher wusstest-''

Sein Handbewegung brach meinen angefangenen Satz ab.

,,Ich wusste es eben. Mehr ist nicht wichtig.''

Meine Augen wanderten erneut zu dem weißen Haus. Ein Gebäude aus zwei Baukörpern. Einem  zentralen Quader und einem angebauten Zylinder, welcher samt aus milchigen Fenstern bestand. Ein teures Gebäudekomplex. Und da wohnte Kaan? Wie kam mein Bruder mit all der Situation klar, was erzählte man ihm? Wie waren diese Menschen zu ihm? Wenn sich Davut auch nur ansatzweise ihm gegenüber verhielt, wie zu mir in Istanbul, dann war ich im Stande zu töten. Meine Zähne bissen in meine schon lang aufgeplatzten Lippen. Erneut kam in mir Wut auf. Ich konnte Kaan dort nicht lassen. Ich hatte meiner Mutter geschworen auf ihn aufzupassen. Ihn wie eine zerbrechliche Perle zu bewahren. Ich war dazu verpflichtet. Für die Erinnerung an meine geliebte Mutter. Aus dem Respekt zu mir selbst.

Hektisch öffnete ich die Autotür und richtete meine Schritte auf das Gebäude zu. Tränen aus Wut hatten sich in meinen Augen angesammelt. Doch im nächsten Moment packten mich starke Hände und zogen mich zurück.

,,Lass mich los, Caner!'', befahl ich ihm und versuchte mich von ihm zu befreien.

,,Ich habe dir doch vor zwei Minuten erklärt, wieso du nicht dorthin kannst. Nicht jetzt, Defne!''

,,Hör auf hier den Besserwisser zu spielen. Was weißt du schon?''

Eindringlich sah ich ihm in die Augen. Er schwieg.

,,Du weißt nichts. Du hast keine Ahnung. Du kennst nicht die Emotionen, die in mir grad hochkommen.''

Ich blickte noch einmal zu dem weißen Haus. Zwei Männer in schwarzen Anzügen standen vor dem Eingangstor und sprachen miteinander. Ich wurde noch ein Stück zur Seite gezogen, bis das Blickfeld schwand.


SchicksalsschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt