| 20 | 𝓒𝓱𝓪𝓸𝓼

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Kaum war er verschwunden, entspannte sich Kat sichtlich. Die Abneigung bestand gegenseitig, so viel war sicher. Für ihn war sie nicht mehr als ein Staubkorn an seinem Ärmel. Und sie durchschaute seine falsche Freundlichkeit sofort.

»Ihr Freund Ben, nehme ich an?«, fragte ihre Großmutter.

»Ja, genau. Kommen Sie, gehen wir rein.« Oliver schien den Unmut der LaSalle Frauen ebenfalls zu spüren, aber er entschuldigte sich trotzdem nicht für das Verhalten seines Freundes. Kat schluckte die Enttäuschung nur mit Mühe hinunter.

Oliver ging voraus. Kat nahm die Tasche und sie folgten ihm. Als ihre Großmutter die Schwelle übertreten hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Kat wandte sich zu ihr um. »Granny?«

Oliver war bereits im Salon verschwunden. Sie konnte ihn am anderen Ende fluchen hören.

»Dieses Haus ...«, murmelte Madeleine. »Ich spüre jede Menge Energie. Es leuchtet so hell wie der Christbaum am Jackson Square. Aber da ist noch etwas .... Schmerz ... Wut ... Angst.« Ihr Blick flog durch den Korridor, die Wände entlang und die Treppe hinauf. »Ich spüre eine deutliche Präsenz.«

»Claire?« Kat sah sich ebenfalls um, aber sie konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.

»Das kann ich noch nicht sagen. Aber das ganze Haus ist der reinste Magnet. Er verstärkt sämtliche Schwingungen. Kein Wunder, dass du ihre Stimme hier am klarsten gehört hast.«

»Claire? Sind Sie hier? Können Sie mich hören?«, rief Kat leise. Vor zwei Wochen hatte sie das letzte Mal mit dem Geist gesprochen. Sie hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt noch hier war. Oder mit ihr sprechen wollte.

Ihre Großmutter sah sie fragend an. Kat schüttelte den Kopf. Im Haus blieb es still.

»Claire, wenn Sie hier sind, bitte reden Sie mit mir.«

Doch sie bekam keine Antwort.

»Die Energie ist zwar stark, aber es gibt auch sehr viele Störungen. Vielleicht wegen dem Einbruch. Geister mögen keine Unordnung. Wir sollten zunächst herausfinden, was die Einbrecher gesucht haben. Und was fehlt.«

»Du meinst, ob sie das Objekt gestohlen haben, an das Claire gebunden war?« Dann hätten sie ein Problem. Ein großes Problem. Wenn Claire verschwunden war, würde Oliver ihnen nie glauben. Und das zarte Vertrauen, das sie sich mühsam erkämpft hatten, wäre für immer zerstört.

»Möglich. Lass uns zuerst mit Oliver reden. Wenn jemand weiß, was gestohlen wurde, dann er.«

Ihre Großmutter hatte recht. Es war sinnlos, in Panik auszubrechen, solange sie nicht wussten, was passiert war. Und wenn jemand wusste, was zu tun war, dann ganz sicher Madeleine LaSalle. Auf der Suche nach Oliver betraten sie zusammen den Salon. Kat stieß einen erschrockenen Schrei aus. Der elegante und einst so ordentliche Raum war völlig verwüstet. Gläser und Porzellanfiguren lagen in tausend Stücke zerbrochen auf dem Boden. Die Bezüge des Sofas und der Sessel waren aufgeschlitzt worden. Watte und Füllmaterial quollen heraus und hatten sich überall verteilt. Die Vorhänge waren heruntergerissen worden. Schubladen waren herausgezogen und der Inhalt achtlos herausgekippt worden. Der Servierwagen mit den Glasflaschen lag umgestoßen in der Ecke. Die Flaschen waren zersprungen und die Flüssigkeiten hatten sich zu einem dunkelbraunen See vermischt, der in den Teppich und das Parkett gesickert war. Es roch schlimmer als im Hinterhof der übelsten Spelunke. Oliver war gerade dabei, eine der Flaschen, der nur der Hals abgebrochen war, hochzuheben und einen kräftigen Schluck daraus zu trinken.

»Gütiger Himmel«, hörte sie ihre Großmutter hinter sich keuchen. Der Salon war komplett zerstört. Nur der Flügel schien noch intakt zu sein. Es würde ein Vermögen kosten, alles zu ersetzen und wieder herzurichten. Kat wollte gar nicht wissen, wie die anderen Räume aussahen. Wer tat so etwas? Was musste das für ein Mensch sein, der eine derartige Rücksichtslosigkeit gegenüber anderer Leute Eigentum besaß?

Oliver sank auf den Klavierhocker und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche in seiner Hand. Er wirkte bis auf sein Innerstes erschüttert. Kat kam zu ihm und nahm ihm die Flasche aus der Hand, bevor er sie komplett austrinken konnte. »Lassen Sie das«, ermahnte sie ihn streng. »Das hilft jetzt auch nicht weiter.«

Er schnitt ihr eine Grimasse. »Das ist ein fünfzig Jahre alter Bourbon. Natürlich hilft der.«

»Oliver, wir brauchen Ihren klaren Kopf. Sie nützen uns nichts, wenn Sie betrunken sind«, stimmte ihre Großmutter zu. »Auch wenn es Ihnen schwer fällt, bitte sehen Sie sich genau um. Wir müssen herausfinden, was die Einbrecher gesucht haben. Und ob sie es gefunden haben. Sie kennen dieses Haus am besten. Im Moment sind Sie der Einzige, der feststellen kann, ob etwas fehlt.«

Kat setzte sich zu ihm auf den Klavierhocker. Er sah so verloren aus, dass sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. »Es ist wichtig, Oliver«, sagte sie. »Ich kann Claire nicht erreichen. Sie ist verschwunden. Wir denken, dass es einen Zusammenhang mit dem Einbruch gibt.«

Oliver hob den Kopf. Seine Miene war ausdruckslos. »Oder vielleicht war sie nie hier«, sagte er mit eisigem Blick. »Vielleicht haben Sie mir nur irgendwelche Märchen erzählt, die ich hören wollte. Und jetzt, wo Sie mir die Wahrheit beweisen sollen, ist sie plötzlich verschwunden. Wie passend.« Er sprang vom Hocker auf und schleuderte die Flasche mit einer zornigen Handbewegung vom Flügel. Sie flog gegen die Wand, zerschellte und bernsteinfarbige Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen.

»Nein, so ist das nicht.« Kat wich entsetzt ein Stück zurück. »Bitte glauben Sie mir.«

»Lassen Sie Ihre Wut nicht an uns aus«, sagte ihre Großmutter mit strenger Miene. »Wir wollen Ihnen nur helfen.«

Er fuhr herum. »Ach ja? Seit ich Sie kenne, wurde ich angeschossen, in mein Haus wurde eingebrochen und das Hotel, in dem ich übernachten wollte, ist in die Luft geflogen! Erkennen Sie das Muster?« Er tigerte aufgebracht durch den Raum, stieß Bücher und Scherben mit dem Fuß zur Seite und schlug mit der Faust auf die Lehne eines Sessels. »Sie ist Schuld!« Er deutete mit dem Zeigefinger auf Kat. »Wenn Sie mich in Ruhe gelassen hätte, dann wäre das alles nicht passiert!«

Kat starrte ihn fassungslos an. »Also hätte ich Sie sterben lassen sollen?!«

Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, als er schrie: »Ja, verdammt! Das hätten Sie tun sollen!«

»Wie können Sie so etwas sagen?« Kat spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie biss sich fest auf die Unterlippe, damit sie nicht zu weinen anfing. Ein heftiger Schmerz breitete sich in ihrer Brust aus.

»Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten und lassen Sie mich endlich in Ruhe!«

»Das reicht jetzt!«, rief ihre Großmutter und marschierte mit großen Schritten durch den Raum. Dann packte sie ihre Enkelin am Ellenbogen und zog sie mit sich. »Komm, Schätzchen, wir gehen.«

»Aber ...« Kat stemmte die Absätze in den Teppich.

Granny blieb stehen und sah sie mit durchdringendem Blick an. »Kat, lass es gut sein«, mahnte sie ruhig. »Das bringt jetzt nichts.« Die beiden würden sich nur an die Kehle gehen und weiter Dinge sagen, die sie später bereuten. Der Raum war so mit Energie aufgeladen, dass elektrische Funken durch die Luft sprühten. Ohne weitere Diskussion zerrte sie ihre Enkelin zur Haustür. Oliver blieb im Wohnzimmer zurück. Er hatte nicht die Absicht, sie aufzuhalten. Kat war tief enttäuscht.

Mondscheinsonate ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt