| 59 | 𝓐𝓲𝓶𝓮𝓻

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Seine Schultern sackten herab, und er machte einen Schritt rückwärts, so als wollte er gehen, aber dann ganz plötzlich, griff er nach ihrer Hand. Ihr Mund öffnete sich, sie schnappte nach Luft – Hilfe, was wird das, warum akzeptiere ich das, warum will ich das so sehr –, und er sah sie an, blaue Augen, warm und impulsiv, ehe seine Finger sich lockerten. Er wollte loslassen. Er wollte gehen.

Und plötzlich war sie diejenige, die überreagierte, irgendeine Sicherung brannte durch, ganz sicher, denn sie drückte zu, umfasste seine Finger, so fest, dass seine Hand in ihrer blieb.

Warum tust du das, Kat? Warum? Bist du jetzt komplett verrückt geworden?

Oliver starrte sie an, die Augen geweitet, die Lippen geöffnet, und dann ging alles ganz schnell: Er zog sie mit sich, nur ein paar Schritte, sieben, um genau zu sein, und plötzlich standen sie in der Bibliothek. Allein.

Ihr Rücken drückte sich gegen das Bücherregal und vor ihr stand Oliver, schwer atmend, hartes Holz hinter ihr, glühende Hitze vor ihr.

Zwei Atemzüge vergingen, und Oliver kam näher. Seine Hand landete links neben ihrem Kopf am Regal, und da war sein Gesicht direkt über ihr. Sie erkannte die Schatten seines Wimpernkranzes auf der gebräunten Haut, sie erkannte Sehnsucht in seinen Augen, sie erkannte so viel, was sie alles gar nicht wollte.

Seine Lippen waren Millimeter von ihren entfernt. Er raubte ihr den Atem, buchstäblich, und sie konnte nicht fassen, dass das gerade passierte, dass sie es zuließ, seine Nähe, einfach alles, aber sie konnte nicht anders, sie konnte einfach nicht.

Oliver gab einen erstickten Laut von sich, der ihr jegliche Willenskraft nahm. Ihre Knie wurden weich, und sie glaubte, jede Sekunde brach der Boden unter ihren Füßen ein und sie würde fallen, einfach fallen, denn sie befand sich gerade mitten in einem Höhenflug, der unmöglich länger anhalten durfte. Sie musste das hier unterbrechen. Sofort.

Die Wörter lagen schon auf ihren Lippen, als sie sie öffnete, und sie war kurz davor, sie auszusprechen, zu sagen, dass er aufhören musste, dass das hier nicht ging, aber dann hob er die andere Hand. Langsam, so langsam, als würde ihm die Bewegung Schmerzen bereiten, streiften seine Finger die Außenkante ihres Kiefers, hinab bis zu ihrem Kinn, und das Einzige, was es jetzt noch über ihre Lippen schaffte, war ein schwaches Wimmern.

Die Berührung war hauchzart, kaum wahrnehmbar, und dennoch alles und noch mehr. Ihr Körper stand in Flammen. Sie brannte. Schauer durchliefen ihren Körper und sie war kaum in der Lage, richtig Luft zu holen.

Sie sahen sich an, ein Blick, heißes Blut in den Adern, elektrisierende Nerven, rasender Puls in zwei Körpern. Und dann küsste Oliver sie. Er küsste sie, einfach so, hier und jetzt, und alles, was sie tun sollte, war, das zu unterbinden, sofort. Aber alles, was sie tatsächlich tat, war, ihre Handinnenfläche von den Haarspitzen in seinem Nacken reizen zu lassen und ihn weiter zu sich herunterzuziehen, weil sie ihn brauchte, verdammt, sie brauchte Oliver Calvert.

Zwischen zwei Berührungen entfuhr ihm ein seufzender Laut, als wäre dieser Moment gerade das Schönste und zeitgleich Schmerzhafteste und als könnte er es kaum ertragen, weil beide Emotionen ins Extreme gingen, viel zu heftig, für sie beide, denn ihr ging es genauso.

Das hier war nicht wie im Kino. Das hier war hart und leidenschaftlich und impulsiv, und es fühlte sich an wie Atmen, nachdem man zu lange unter Wasser war, es fühlte sich aber auch an wie Ertrinken, wie der letzte erste Augenblick, den man nur ein einziges Mal erleben durfte, und deshalb wollte man ihn auskosten, alles in sich aufnehmen und nicht mehr aufhören.

Sein ganzes Gewicht drückte sich gegen ihren Körper, und dennoch war es nicht genug. Kat spürte seine Erregung an genau der richtigen Stelle, und wäre der Stoff nicht, dann wären jetzt Haut an Haut, glühende Hitze, ein entfachtes Inferno, Oliver und sie.

Mondscheinsonate ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt