| 2 | 𝓓𝓲𝓮 𝓥𝓲𝓵𝓵𝓪 𝓲𝓷 𝓭𝓮𝓻 𝓟𝓻𝔂𝓽𝓪𝓷𝓲𝓪 𝓢𝓽𝓻𝓮𝓮𝓽

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Heute

Zwanzig Minuten später bog Kat in die Prytania Street ein. Kein Wunder, dass sie die Stimme hierher gelotst hatte. Schließlich war der Lafayette Friedhof nur ein paar Querstraßen entfernt. Für ihre Großmutter, die schon immer an Geister und alles Übernatürliche geglaubt hatte, wäre dieser Ausflug vermutlich so normal wie ein Besuch im Supermarkt. Stattdessen würde sie sich beklagen, dass es viel zu lange gedauert hatte, bis Kat ihren ersten Geist gehört hatte.

»Hier ist es«, unterbrach die Stimme ihre Gedanken.

Kat hielt vor einer Villa im Südstaaten-Stil, wie es so viele hier im Garden District gab. Verborgen hinter Platanen und Magnolienbäumen strahlte die weiße Fassade im frühen Sonnenlicht. Das Haus hatte auf allen drei Stockwerken Balkone mit den typischen Verzierungen aus Gusseisen zwischen runden Säulen, eine ausladende Veranda um das gesamte Erdgeschoss, und einen Wintergarten an der Ostseite. An der Südseite kletterte ein prachtvoller Blauregen in voller Blüte die Hauswand hinauf bis unters Dach, wucherte über Balkongitter und an den Säulen hinauf. Wer auch immer hier wohnte, hatte genug Geld, um die Restaurierungen, die ein derartiges Herrschaftshaus unwillkürlich nach sich zog, bezahlen zu können, denn es war in einem viel besseren Zustand als die umliegenden Villen.

»Bitte beeilen Sie sich. Er hat nicht mehr viel Zeit.«

Wer auch immer er ist, dachte Kat und lehnte ihr Fahrrad an den Zaun aus Schmiedeeisen. Dann öffnete sie das Gartentor, das erstaunlicherweise nicht verschlossen war – oder hatte ihr Geist seine Finger im Spiel? Obwohl sie in New Orleans geboren war und schon immer hier lebte, hatte sie ein Haus wie dieses noch nie betreten. Normale Menschen wie sie konnten sich ein derartiges Luxusobjekt niemals leisten. Tatsächlich klopfte ihr Herz ein wenig schneller, als sie die Veranda betrat. Sie wollte gerade ihre Hand nach der Türklingel ausstrecken, da schwang die Haustür wie von Geisterhand auf. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Hier ging es wirklich nicht mit rechten Dingen zu. Niemand, der eine Überwachungskamera über dem Eingang und eine ultramoderne Alarmanlage mit Fingerabdruckscanner besaß, ließ seine Haustür so einfach offen stehen.

»Kommen Sie schon!«, drängte sie die Geisterfrau.

»Was ist mit der Alarmanlage?« Kat deutete auf das kleine Kästchen neben der Tür.

»Er hat sie ausgeschaltet.«

Das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend verstärkte sich noch, als sie der Stimme über die Schwelle ins Innere der Villa folgte. Es war nicht richtig, einfach so ein fremdes Haus zu betreten. Vor ihr erstreckte sich ein dunkler schmaler Korridor mit einer steilen Treppe auf der linken Seite.

»Hallo? Ist hier jemand?«, rief Kat in die Dunkelheit.

»Sie müssen nach oben. Es ist das erste Zimmer auf der rechten Seite.«

»Entschuldigung? Die Tür war offen. Hallo?« Wenigstens konnte man ihr so keinen Einbruch zur Last legen, wenn man sie später fragen sollte, warum sie ungefragt dieses Haus betreten hatte.

»Sie vergeuden kostbare Zeit. Er kann Sie nicht hören. Nicht mehr.« Jetzt kam die Stimme von oberhalb der Treppe. Kat zuckte mit den Schultern. Wo sie schon mal hier war, konnte sie es auch zu Ende bringen. Offensichtlich war niemand hier. Bis auf sie ... Also niemand, der nicht schon lange tot war oder gar nicht existierte. Demnach niemand, der sie anzeigen konnte.

Ohne länger nachzudenken, stieg sie die Treppe hinauf. Alles war in einem erstklassigen Zustand. Das Geländer war sauber gestrichen, die Treppenstufen gebohnert. Diese Villa war definitiv bewohnt. Von Menschen mit viel Geld.

Am Ende der Treppe erwartete sie eine Galerie. Zu beiden Seiten gingen Türen zu weiteren Zimmern ab. Kat vermied es, sich allzu genau umzusehen, sondern konzentrierte sich auf das erste Zimmer auf der rechten Seite. Sie hatte kein Recht, hier zu sein, eine Sightseeing-Tour stand ihr nicht zu. Nur ein paar Schritte und sie stand vor der richtigen Tür, die einen Spalt offen stand.

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