| 14 | 𝓤𝓷𝓮𝓻𝔀𝓪𝓻𝓽𝓮𝓽𝓮𝓻 𝓑𝓮𝓼𝓾𝓬𝓱

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Madeleine LaSalle öffnete die Haustür und fand sich einem gut aussehenden, sehr großen jungen Mann gegenüber. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Ihr fiel sofort auf, dass er ziemlich außergewöhnliche blaue Augen hatte. Allerdings sahen sie traurig aus.

»Mrs LaSalle?«, fragte er mit einer angenehm tiefen Stimme.

Madeleine stemmte die Hände in die Hüften. »Das bin ich.«

»Mein Name ist ...«

»Ich weiß, wer Sie sind, Mister Calvert«, fiel sie ihm ins Wort.

Für eine Sekunde schien er tatsächlich vor den Kopf gestoßen, doch er fasste sich sofort wieder. Dachte er wirklich, niemand würde ihn kennen? Den Erben einer der reichsten Familien von New Orleans? Madeleine hätte am liebsten laut gelacht.

»Sind Sie wegen Kat hier?«, fragte sie und gab ihrer Stimme einen frostigen Unterton. Wenn er zu Kreuze kriechen wollte, musste er erst an ihr vorbei. Und sie würde es ihm ganz sicher nicht leicht machen. »Sie ist nicht hier.« Madeleine verschränkte die Arme vor der Brust.

»Kat?«, wunderte er sich, dann schien er sich zu erinnern, dass sie ihre Enkelin war. »Nein, ich bin nicht wegen ihr hier. Ich wollte gern mit Ihnen sprechen.«

Wenn sie es nicht besser wüsste, dann würde sie glauben, dass ihm dieser Besuch unangenehm war. Er spielte nervös mit dem Autoschlüssel in der Hand und sein Blick flog unruhig die Straße hinauf und hinunter. Fast tat er ihr leid.

»Mit mir?« Sie ließ ihn noch ein wenig zappeln. Wie er mit Kat umgegangen war, war nicht nett gewesen.

»Ja, genau. Ich war bei Ihrem Verein ... der Historic Society. Ich habe mit einem Mister Jones gesprochen, aber er meinte, er wäre nicht der Richtige. Ich solle mich an Sie wenden. Er hat mir Ihre Adresse gegeben. Wenn ich ungelegen komme, dann ...«

Madeleine schüttelte den Kopf und trat zur Seite. »Keineswegs. Kommen Sie doch bitte herein.«

Sie konnte erkennen, wie er erleichtert aufatmete. »Vielen Dank.« Er trat über die Schwelle. Plötzlich war der enge Flur ausgefüllt mit seiner Größe und seiner Aura. Oliver Calvert wusste, wie man einen Raum einnahm. Seine Ausstrahlung war beeindruckend. Und es schien ihm keineswegs bewusst zu sein. Madeleine verstand, warum er einen solchen Eindruck bei ihrer Enkelin hinterlassen hatte. Sie war förmlich geblendet gewesen. Dieser junge Mann war etwas Besonderes. Nicht nur weil er so gut aussah. Das waren nur Äußerlichkeiten, die vergänglich waren. Aber in seinen Augen erkannte sie eine verletzte Seele, womöglich für immer zerbrochen. Kat musste es auch gesehen haben, sonst wäre sie nicht so getroffen gewesen, als er sie zurückgewiesen hatte. Was Kat an diesem Abend nicht hatte ahnen können, war, dass sie es irgendwie geschafft hatte, seinen dicken Panzer aus Kälte und Gefühllosigkeit zu durchbrechen. Es musste ihm panische Angst gemacht haben, dass ein junges Mädchen so mühelos in seine Seele geblickt hatte. Deshalb hatte er sich derart heftig gewehrt. Madeleine spürte den Riss in seinem Schutzwall noch immer. Vielleicht würde er nie wieder zulassen, dass jemand die Mauer einriss. Oder vielleicht würde jemand eines Tages sein Herz retten. Madeleine konnte nicht sagen, wofür er sich entscheiden würde.

»Ihre Frau«, sagte sie. »Es tut mir so furchtbar leid, was mit ihr passiert ist. Grauenhaft, was Sie durchmachen mussten.«

»Ah«, sagte er. »Ja. Für sie war es noch weitaus grauenhafter als für mich.«

»Nein«, entgegnete sie. »Das glaube ich nicht.«

»Wirklich nicht? Ich würde sagen, es gibt kaum etwas Grauenhafteres, als durch eine Explosion zu sterben. Vor allem wenn der Tod nicht sofort eintritt. Das musste ich nicht durchmachen. Claire schon. Gerade steht sie noch da und versucht, sich von Monet inspirieren zu lassen, und im nächsten Moment fliegt das Museum in die Luft. Ziemlich erschreckend, denken Sie nicht?« Er klang bitter, und er schaute sie nicht an, während er sprach. Aber er hatte sie missverstanden, und das wollte sie aufklären.

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