| 53 | 𝓓𝓪𝓼 𝓚𝓸𝓷𝔃𝓮𝓻𝓽

62 18 38
                                    

Oliver war ohne sie nach New York geflogen, um mit der Sicherheitsfirma des Museums und der zuständigen Polizeibehörde zu sprechen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, irgendwie an die Aufzeichnungen der Videokameras zu kommen, um sie nach einem bekannten Gesicht zu durchforsten. Soweit Kat wusste, war ein Großteil der Kameras im Gebäude und an den nahe gelegenen Straßenkreuzungen ein Opfer der Flammen geworden und die Aufnahmen für immer verloren. Sie war der Meinung, Oliver machte sich zu große Hoffnungen, denn der Attentäter hätte schon ein gutes Stück früher im Museum ankommen müssen und hätte die Kameras nicht meiden dürfen. In ihren Augen war das ziemlich unwahrscheinlich und die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Behörden bereit waren, diese Beweismittel an eine Privatperson herauszugeben, auch wenn Oliver vermutlich mit einer Horde Anwälte dort aufkreuzte.

Seit zwei Tagen war er jetzt schon weg aus New Orleans, nachdem er hier mit seinen Nachforschungen nicht weitergekommen war. Zwar hatte er Kat angeboten, ihn zu begleiten und solange in seinem Penthouse zu wohnen, aber erstens konnte sie nicht schon wieder frei nehmen und zweitens wollte Ben nachkommen, um ihn zu unterstützen. Auf den arroganten Schnösel hatte sie so gar keine Lust. Und drittens wollte sie Marcus keine Absage erteilen. Das Abschlusskonzert seines Freundes fand heute Abend statt, und Kat war froh, dass Oliver nicht hier war und mitbekam, wie sie mit Marcus ausging. Seit dem Kinoabend hatte er kein Wort mehr darüber verloren. Entweder hatte er es vergessen oder war so besessen von seiner Mördersuche, dass ihn nichts anderes mehr interessierte. Marcus dagegen rannte seit Tagen mit einem breiten Grinsen durch die Gegend und war noch hibbeliger als sonst. Er freute sich wie ein Schneekönig auf diesen Abend.

Es war falsch, was sie hier tat, das wusste sie, aber im Moment konnte sie keine Entscheidung treffen. Zu viel passierte gerade in ihrem Leben, um die Folgen abzusehen. Natürlich war es weder Oliver noch Marcus gegenüber fair, aber sie konnte sich nicht vorstellen, einen von beiden nicht mehr in ihrem Leben zu haben. Denn genau das würde geschehen, wenn sie sich entschied. So unterschiedlich sie auch waren, jeder hatte sich einen Platz in ihrem Herzen erobert.

Kurz nach seinem Abflug hatte sich Kat noch Sorgen gemacht, dass es eine Wiederholung seines letzten New York Trips gab, der im Krankenhaus geendet war. Vor allem, nachdem sie erfahren hatte, dass Ben ebenfalls dort sein würde. Aber die zwei Wochen bis zum Wirkungseintritt waren längst um, Oliver nahm regelmäßig seine Medikamente und hatte auch bereits eine Sitzung mit Serena hinter sich. Zuletzt hatte sie das Gefühl gehabt, dass es ihm wirklich besser ging. Er wirkte ausgeglichener und ruhiger, er lachte öfter und dank der Séance hatte er eine Aufgabe, auf die er sich stürzen konnte. Egal, wie seine Suche ausging, sie lenkte ihn jedenfalls von den düsteren Gedanken ab. Außerdem hatte sie ihm das Versprechen abgenommen, sich jeden Tag bei ihr zu melden. Bis jetzt hatte er sich brav daran gehalten. Sie telefonierten jeden Abend und er berichtete ihr von seinen Fortschritten. Und noch einen Vorteil hatten diese abendlichen Gespräche: Sie würde sofort mitkriegen, wenn Ben ihn wieder in Versuchung führte. So bekam er erst gar keine Gelegenheit, Oliver in irgendwelche Bars oder Stripclubs zu schleppen. Stattdessen hatte er bisher jede Nacht in seinem Penthouse verbracht und mit ihr telefoniert. Ben würde sich warm anziehen müssen, wenn er es mit ihr aufnehmen wollte.

Nur heute Abend konnten sie nicht telefonieren. Kat hatte Oliver erzählt, dass sie die Spätschicht im Restaurant hätte. Und er hatte keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Wieder rührte sich das schlechte Gewissen in ihr. Lange konnte sie nicht mehr so weitermachen.

Zusammen mit ihrer Freundin Lisa hatte sie den Nachmittag damit verbracht, ein Kleid zu kaufen, das sie am Abend tragen wollte. Einen kurzen Moment lang hatte sie überlegt, eines von Claires wunderschönen Kleidern zu borgen, aber sie wollte nicht wieder in ein Geisterecho geraten und ganz sicher hätte ihr das Kleid auch nicht richtig gepasst, genau wie die anderen Sachen, die sie bereits anprobiert hatte. Einmal abgesehen davon, dass es sie vermutlich den ganzen Abend an Oliver erinnert hätte. Nein, Marcus war ihr Neuanfang. Deshalb hatte dieser Abend mit ihm auch ein neues Kleid verdient. Mit Lisas Zustimmung entschied sich sich für das klassische kleine Schwarze. Damit konnte sie nichts falsch machen. Sie hatte vergessen, Marcus zu fragen, wie förmlich und elegant der Abend werden würde. Das Konzert fand genau wie bei Claire in der Oper statt, was für Kat nach Abendgarderobe schrie. Andererseits wurde der Abend von der Academy veranstaltet, die Karten waren den Studenten, Familienangehörigen und einigen erlesenen Gästen vorbehalten gewesen. Vielleicht war die Veranstaltung also nicht ganz so förmlich wie eine Opernaufführung.

Mondscheinsonate ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt