| 7 | 𝓛𝓪𝓯𝓪𝔂𝓮𝓽𝓽𝓮 𝓒𝓮𝓶𝓮𝓽𝓮𝓻𝔂

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Am nächsten Tag, dem Montag, war Kats freier Tag. Den hatte sie sich nach dem stressigen Sonntagsbrunch auch verdient. Meistens traf sie sich mit ein paar Freundinnen zum Frühstück oder sie ging in die Buchhandlung, um in den neuesten Bestsellern zu stöbern, oder sie half Granny im Garten. An diesem Montag machte sich Kat schon früh morgens auf den Weg zum Lafayette Friedhof. Noch war es angenehm kühl und ein leichter Wind fegte durch die Straßen, aber später würde es sicher warm werden, wenn die schwüle Hitze von den Sümpfen in die Stadt kroch. Die Straßen waren noch menschenleer und eine verschlafene Stimmung lag über dem Garden District, als Kat mit ihrem Fahrrad einmal mehr die St. Charles Avenue entlangfuhr. New Orleans war bekannt für sein Nachtleben. So früh am Morgen traf man hier selten Einheimische, wenn sie bis spät in die Nacht hinein gefeiert hatten. Außer ein paar hilflos aussehenden Touristen, die wohl ihr Sightseeing Programm schnell absolvieren wollten, um der Hitze entfliehen zu können, war Kat die Einzige.

Erneut bog sie in die Prytania Street ein, aber diesmal endete ihre Fahrt schon früher. Nach dem Gespräch mit ihrer Großmutter wollte Kat herausfinden, ob Granny mit ihrer Theorie recht hatte. Im Internet hatte sie nichts darüber gefunden, wo Claire Laurent begraben war, aber sie hatte da so eine Vermutung. Die Villa war nur ein paar Blocks entfernt. Dort war die Stimme am klarsten gewesen. Das konnte kein Zufall sein. Kat lehnte ihr Fahrrad an den schwarzen Schmiedeeisenzaun, kettete es an und trat dann unter dem Rundbogen mit den weißen Buchstaben hindurch. Direkt dahinter hatte sich eine Gruppe Touristen um ihren Führer versammelt und lauschte interessiert seinen Worten. Kat wusste, dass der Friedhof bei Touristen beliebt war, weil er in vielen Büchern und Filmen vorkam.

Die meisten Gräber lagen überirdisch, kleine Häuser für die Toten, und bildeten eine morbide Stadt in sich. Aber aufgrund des sumpfigen Untergrunds und den vergangenen Flutwellen blieb den Einwohnern gar nichts anderes übrig, als ihre Toten in Mausoleen zu begraben. Kat wartete, bis der Führer geendet hatte, bevor sie ihn nach einem Lageplan fragte. Sie würde ewig brauchen, wenn sie einfach blind nach dem Grab suchte. Auch wenn der Friedhof nicht besonders groß war, waren viele Gräber verwittert oder verfallen und die Wege zwischen den Gräbern verschachtelt. Wenn sie wenigstens grob eingrenzen konnte, wo sie suchen musste, würde es eine Erleichterung sein. Zum Glück hatte der Führer eine detaillierte Karte des Friedhofs, die er ihr überreichte. Während er seiner Gruppe weitere Fakten über den Friedhof erzählte, überflog Kat den Plan. Auf der Rückseite fand sie eine alphabetische Auflistung der Familiengräber. Ihr Finger flog über die kleingedruckten Namen. Beim Buchstaben L stoppte er. Tatsächlich. Es gab ein Grab der Familie Laurent. Kat merkte sich die Koordinaten, drehte die Karte wieder herum und suchte nach der richtigen Stelle auf dem Plan. Das Grab befand sich am anderen Ende des Friedhofs in der östlichen Ecke, abseits vom Touristentrubel. Kat faltete die Karte wieder zusammen, bedankte sich bei dem jungen Mann und sprintete los.

Zehn Minuten später hatte sie den Friedhof durchquert und näherte sich dem richtigen Sektor. Eigentlich hätte sie es sich denken können. Diese Ecke lag noch näher an der Villa als der Eingang. Aufgeregt verließ Kat den Hauptweg und schlängelte sich zwischen den Gräbern hindurch. Es war, als würde sie eine unbekannte Kraft in diese Richtung ziehen. Keine Stimme, nicht mal ein Flüstern. Trotzdem spürte sie ein Kribbeln in ihrem Nacken, das sich mit jedem Schritt verstärkte. Hier war sie richtig. Ein kalter Windhauch strich ihr über die nackten Arme und die feinen Härchen auf ihrer Haut richteten sich auf. Plötzlich berührte eine eisige Hand ihre Schulter. Kat schrie auf und fuhr herum. Doch da war niemand. Nur ein weiteres Grab. Ein trauernder Engel umschlang das Mausoleum, die Flügel schützend um sich und den Kalkstein geschlungen. Kats Blick fiel auf die Inschrift über der geschlossenen Tür. Claire Laurent. Sie hatte es tatsächlich gefunden. Unsicher machte Kat einen Schritt darauf zu. Sie hatte das Gefühl, als würde sie etwas Verbotenes tun. Als würde sie etwas Heiliges betreten. Langsam kniete sie sich vor das Mausoleum und las die Inschrift, die von den Armen des Engels umrahmt wurde.

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