| 49 | 𝓩𝔀𝓮𝓲𝓽𝓮 𝓢é𝓪𝓷𝓬𝓮

61 18 25
                                    

Sich selbst überlassen, begann Kat, in der Bibliothek auf und ab zu gehen. Sie dachte nicht richtig nach, ließ einfach nur einen Strom unzusammenhängender Bilder durch ihren Kopf ziehen: Rosannas Gesicht, ihre Lippen, die sich in Trance bewegten; ihre Augen, die sich plötzlich öffnete und so weit und so dunkel in ihre schauten. Der Erfolg der Séance – auch wenn sie das nicht so nennen würde - hielt sie in Bewegung. Sie war viel zu aufgeregt, um stillzusitzen. Sie tigerte auf und ab. Sie war in Trance gewesen. Einfach so. Hatte es nicht bemerkt. Passierte das mit ihr, wenn sie die Geisterechos sah? Befand sie sich in Trance? Der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Wenn das alles hier vorbei war, würde sie mit ihrer Großmutter darüber sprechen müssen.

Auch bei geöffneten Vorhängen war die Bibliothek kein heller Raum. Die Ahornbäume waren in diesem Winkel des Gartens am dichtesten, und die Sonne stand zu dieser Tageszeit auf der anderen Seite des Hauses. Sie hörte Oliver die Treppe runterkommen, dann stand er in der Tür.

«Ich habe ihr das gelbe Gästezimmer gegeben», sagte er. «Das wollte sie am liebsten.» Kat folgte ihm in den Salon.

«Vielleicht sorgt sie ja dort drinnen für ein bisschen Action.»

Sie war schockiert und gedemütigt von dem, was geschehen war. Sie wollte nicht darüber reden. Aber es musste sein. Die Trance, die Friedhofsvision – was hatte das zu bedeuten? Als ob er ahnte, was sie vorhatte, und es abblocken wollte, sagte er im selben Moment: «Denkst du, es war Claire? Die junge Frau?»

Seine Entschlossenheit brachte ihren Vorsatz ins Wanken. Sie sah ihn zuerst nicht an, guckte ihm dann aber mit trotziger Miene direkt in die Augen. «Na ja», sagte sie. «Wer soll es sonst sein?»

Oliver nickte, fuhr sich durch die Haare. Er war unnatürlich blass, man sah ihm deutlich an, dass ihn die Geschehnisse in der Bibliothek mitgenommen hatten.

Kat ging zu ihm und schlang die Arme um seine Mitte. Sie hatte das Gefühl, er konnte eine Umarmung gebrauchen. Erstaunlicherweise ließ er es geschehen, legte sogar seine Arme um sie.

«Wie geht's dir?», fragte sie leise.

Er atmete langsam aus. «Keine Ahnung. Ich möchte, dass es funktioniert. Und dann habe ich wieder Angst davor, was mich erwartet, wenn es funktioniert. Verrückt, oder?»

Sie berührte seine Wange. «Nein, gar nicht. Ich finde, du schlägst dich ganz gut. Dafür, dass du vor ein paar Wochen noch in unserem Wohnzimmer gesessen hast und von Geistern nichts wissen wolltest.»

Oliver sah sie lange an. «Ich bin wirklich froh, dass du hier bist. Du und deine verrückte Großmutter.» Er klang ehrlich und aufrichtig dankbar.

Kat nickte lächelnd. Nur zu gern hätte sie mit ihm über den gestrigen Abend gesprochen, weil ihr alles – ihr Trockensex im Kinosaal, seine Worte auf der Straße – inzwischen so unwirklich vorkam. Waren das wirklich sie beide gewesen? Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Sie wollte ihn nicht noch zusätzlich unter Druck setzen, indem sie jetzt von ihrer Beziehung anfing. Bisher war keine Zeit für ein Gespräch gewesen. Heute Morgen hatte er noch geschlafen, als sie zur Arbeit gefahren war, und heute Nachmittag waren sie direkt in die Villa aufgebrochen. Und solange ihre Großmutter dabei war, wollte sie keinesfalls den gestrigen Abend ansprechen. Trotzdem konnte Kat nicht so tun, als wäre nichts gewesen. Sie musste wissen, woran sie bei ihm war. Auch weil sie Marcus gegenüber ehrlich sein wollte. Er hatte es nicht verdient, dass sie ihn im Unklaren ließ, weil Oliver das Gleiche mit ihr machte.

«Es wird schon klappen», versicherte sie ihm. Kat hatte ein gutes Gefühl, was die Kontaktaufnahme mit Claire betraf. Und vielleicht würden sie schon heute Abend alles klären. Oliver konnte sich verabschieden, Claire fand ihren Frieden und möglicherweise bekam Kat eine Zukunft mit ihm. «Rosanna macht einen wirklich professionellen Eindruck, oder?»

Mondscheinsonate ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt