| 79 | 𝓘𝓶 𝓛𝓪𝓫𝔂𝓻𝓲𝓷𝓽𝓱

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Ihr Abendessen aß sie mit gesenktem Kopf, den Blick auf ihren Teller gerichtet. Wenn er doch etwas sagen würde! Aber er schwieg, erhob sich, als sie fertig waren, um Kaffeewasser aufzusetzen, ließ sich dann wieder nieder. Schließlich sah sie ihn an. Er saß zurückgelehnt da, lächelte nicht, guckte an ihr vorbei.

Kenne ich diesen Mann?

Die Gesichtszüge waren ihr vertraut. Sie kannte seinen speziellen Duft, die Form seiner Hände. Aber er saß ihr gegenüber wie ein Fremder im Restaurant, eine flüchtige Bekanntschaft, mit der sie sich auf einmal peinlicherweise allein fand. Das Kaffeewasser begann zu kochen, sie hörte ihn sagen: «Bist du sauer auf mich?»

Kat sah wieder auf: Er hatte sich nicht gerührt, sondern saß immer noch zurückgelehnt da, den einen Arm über der Stuhllehne. Ihre Blicke verfehlten sich knapp. «Warum sollte ich sauer auf dich sein?»

Er zog die Augenbrauen hoch. «Keine Ahnung.» Er beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. Dadurch kam er ihr näher, und sie konnte die feinen Linien auf seiner Stirn und um seine Augen erkennen. «Vielleicht, weil ich so unausstehlich bin?», sagte er.

Die Metamorphose von fremd zu vertraut hatte sich so schnell vollzogen, als hätte er eine Maske abgenommen. Ihre Erleichterung erschreckte sie. Sie erhob sich, goss zwei Becher Kaffee auf, brachte sie an den Tisch und setzte sich wieder.

«Vielleicht», sagte sie.

Er legte die Hand auf ihren Unterarm. «Verstehst du denn gar nicht, wie mir zumute ist, Kat? Für mich ist es ein schrecklicher Gedanke, diese Sache hier unabgeschlossen zurückzulassen.»

«Ich weiß nicht, was du dir unter «abgeschlossen» vorstellst», sagte sie.

«Ich auch nicht.» Er griff nach seinem Kaffeebecher, ohne den Blick von ihr zu wenden. «Aber ich weiß, dass wir mitten in irgendwas drin sind. Willst du's denn nicht zu Ende bringen?»

«Ich glaube nicht, dass ich das kann», sagte sie.

Er machte es sich auf seinem Stuhl bequemer. «Du meinst, du willst nicht.»

«Das ist keine Frage des Wollens. Dieses Haus schafft mich: es fällt mir jeden Tag ein bisschen schwerer, es aus meinem Kopf zu bannen. Ich halte das nicht ewig durch.» Das war ziemlich vereinfacht, aber sie konnte ihn nicht merken lassen, dass sie sich um ihn ängstigte.

«Aber ...»

«Oliver, ich kann einfach nicht mehr.»

Sie trank von ihrem Kaffee. Er schmeckte nach nichts. Oliver saß da und sah sie an.

«Und die Séance?»

«Das kann ich auch nicht.»

«Du hast doch gesagt ...»

«Ich habe gesagt, ich würde drüber nachdenken. Das habe ich auch getan. Es ist eine verrückte Idee.»

«Jetzt hör mal zu», sagte Oliver. «Diese ganze verdammte Geschichte ist letztlich verrückt. Wir sind nicht im Bankgeschäft, Himmelherrgott. Das hast du gewusst, als du dich darauf eingelassen hast. Jetzt sind wir hier, mitten in etwas drinnen, und du willst alles hinschmeißen, nur weil es verrückt ist. Na, toll. Einfach großartig.» Er nahm einen Schluck Kaffee und starrte finster auf den Becher. «Das Zeug schmeckt grässlich.»

Kat sagte: «Tut mir leid. Ich lasse dich im Stich. Mir war nicht klar, dass es so sein würde. Ich halte es einfach nicht aus.» Ihre Stimme wurde brüchig. «Ich kann hier nicht mehr bleiben.»

Schweigen, die Grillen im Garten legten wieder los. Oliver drehte seinen Kaffeebecher langsam auf dem Tisch, einmal, ein zweites Mal, sah sie schließlich an und sagte ruhig und emotionslos: «Okay, dann musst du eben ohne mich gehen. Weil ich hier nicht weg kann.»

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