| 81 | 𝓓𝓲𝓮 𝓢𝓮𝓺𝓾𝓮𝓷𝔃

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Der Arzt in der Notaufnahme sagte, es sei wohl weiter nichts als eine leichte Gehirnerschütterung, trotz des ganzen Bluts. Er schickte Kat ins Bad, damit sie sich die Hände waschen konnte, während Oliver im CT war, nachdem der Arzt die überraschend kleine Platzwunde auf Olivers linker Stirnseite mit fünf Stichen genäht hatte. Anschließend nötigte er Kat, eine Tasse heißen Tee zu trinken. Sie wollte gar nicht, aber ihre Hände hörten danach zu zittern auf. Ein Summer ertönte. Dr. Bristowe ging nach nebenan und kam mit den CT-Bildern wieder heraus. Der Arzt, ein massiger, weißhaariger Mann inspizierte sie schweigend. Kat musterte abwechselnd die Schädelbilder auf dem Monitor und das ruhige und konzentrierte Gesicht des Arztes. Oliver stützte sich auf der Untersuchungsliege in eine sitzende Position empor und zuckte zusammen, weil seine frischgenähte Stirn schmerzte. Jenseits der Tür des Behandlungszimmers kam das Gemurmels des Fernsehers im Warteraum.

Für Kat waren die trivialen Details - der mit Isolierband geflickte Riss im Sitzbezug ihres Stuhls, das Konservengelächter im Fernseher, das weiße Unterhemd, das am Hals des Arztes unter dem Hemd hervorguckte - ein Trost: Sie klammerte sich daran, schob jede dieser Kleinigkeiten zwischen sich und jenen Moment in dem dunklen Haus, als sie Olivers Körper in den Armen gehalten hatte und ihre miteinander verschmolzenen Gestalten wie der Drehpunkt zweier in prekärem Gleichgewicht befindlichen Realitäten gewesen waren. Die Theorien der modernen Physik waren eine Sache, diese Nacht eine andere. Ihre Hände hatten wieder zu zittern begonnen; sie presste die Handflächen gegeneinander und sah, als sie hinabguckte, die Blutflecken auf der Vorderseite ihres Tops.

«Innerlich alles heil, soweit ich sehen kann.» Der Arzt warf noch einen letzten Blick auf die Bilder und schaltete dann den Monitor aus. «Wird ein bisschen wehtun, wenn die Betäubung nachlässt. Nehmen Sie ein Schmerzmittel, wenn nötig. Die Fäden können in einer Woche raus. Sie sagen, Sie wohnen im Garden District?»

Sie war ziemlich sicher, dass keiner von ihnen etwas davon gesagt hatte, aber es war wohl allgemein bekannt. Sie hatten lediglich erklärt, Oliver sei bei einem Stromausfall im Dunkeln gestürzt. Dr. Bristowe sah sie an, und sie nickte.

«Gibt ein paar alte Buden dort.» Er umfasste ihr Handgelenk und sah auf seine Armbanduhr. Er hatte Oliver auch schon den Puls gefühlt, seine Reflexe geprüft, ihm mit einer hellen kleinen Lampe in die Augen geleuchtet. Die mächtigen, warmen Finger an ihrem Handgelenk machten sie unruhig, als könnte er aus ihrem Pulsschlag ablesen, was geschehen war.

«Ich bin nicht der Patient», sagte sie und versuchte zu lächeln. Der Arzt lächelte zurück, die Augen klarblau unter den weißen Brauen.

«Habe ich auch nie behauptet.» Erneuter Blick auf die Uhr, dann ließ er ihr Handgelenk los und wandte sich wieder Oliver zu. «Falls Ihnen schlecht wird, sagen Sie sofort Bescheid. Ansonsten rufen Sie morgen früh an und lassen mich wissen, wie es Ihnen geht. Okay?»

«Ja, gut. Und vielen Dank.» Oliver rutschte von der Untersuchungsliege, hielt sich daran fest. Kat stützte ihn. Der Arzt sah sie beide an.

«Sie sollten einen Läufer auf diese steilen Treppen spannen lassen.»

Er brachte sie hinaus, und die Krankenschwester ließ ihre Akten im Stich, um ebenfalls mit an die Tür zu kommen. Oliver und Kat bedankten und verabschiedeten sich noch einmal und gingen dann durch die Klinik zum Wagen. Hätten sie sich noch einmal umgeschaut, hätten sie sehen können, wie der Doktor vor der hellerleuchteten Notaufnahme stand und ihnen hinterherschaute, so reglos, als sei er tief in Gedanken.

Kat fuhr. Es war nicht weit, und sie sagten beide nichts. Die Scheinwerfer schnitten eine helle Doppelschneise in die Sommernacht, arbeiteten sich durch die dunklen Straßen, die verlassen dalagen, obwohl noch nicht einmal Mitternacht war. Als sie vor dem Haus den Motor abgestellt hatte, blieb sie regungslos sitzen. Oliver schickte sich an, seine Tür zu öffnen, und sie sagte: «Halt.»

Mondscheinsonate ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt