| 71 | 𝓓𝓮𝓻 𝓑𝓮𝔀𝓮𝓲𝓼

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Am nächsten Morgen regnete es, kein strömender Regen, nur ein leichtes, stetes Tröpfeln, das während all ihrer Schweigepausen beim Frühstück zu hören war.

«Ich schätze, ich sollte mir noch mal die Bänder ansehen», sagte Oliver wenig enthusiastisch.

Sie sah zu ihm hinüber. «Was willst du denn suchen?»

«Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich irgendwas übersehen. Hältst du das für sinnlos?»

«Nein. Nein, das ist eine gute Idee.»

In die folgende Pause dehnte sich das Geräusch des Regens. Kat überlegte. Letzte Nacht war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie Oliver nur klarmachen konnte, was hier lief, indem sie ihm eindeutige Beweise dafür präsentierte, dass das Haus einen paranormalen Einfluss auf ihn ausübte. Die Geisterechos waren ihre größte Chance. Wenn sie herausfinden konnte, was sie bedeuteten – irgendwie musste das doch möglich sein –, und wenn sie den Grund herausfand, warum Claire noch hier war, dann wäre das der Beweis, den sie brauchte.

Oliver sah auf seine Armbanduhr. «Schon nach neun. Wir sollten jetzt los, wenn du nicht zu spät kommen willst.» Er hatte ihr angeboten, sie zur Arbeit zu fahren, damit sie nicht mit dem Fahrrad durch den Regen musste. Sie stand auf, stellte das Geschirr in die Spüle und suchte immer noch nach einer Ausrede, dazubleiben. Sie fühlte sich nicht wohl dabei, ihn hier allein zurückzulassen. Oliver warf ihr eine Jacke zu. «Komm.»

Fast, als wollte er sie aus dem Haus kriegen. Sie zog die Jacke über und folgte ihm zur Haustür hinaus, fühlte den geeigneten Moment verstreichen und war unfähig, etwas dagegen zu tun. Regen plätscherte auf sie herab, als sie aus dem Schutz der Eichen traten und das Gartentor öffneten. Im Wagen wickelte sie sich fester in die Jacke, die Luft war kalt. Sie sah zu, wie er den Zündschlüssel drehte und den Motor anließ, dann die Scheibenwischer einschaltete. Die Wischerblätter quietschten über die Scheibe. Hinter seinem Profil sah sie das mächtige Haus zwischen den Bäumen, der Regen wirkte weiß vor den dunklen Blättern.

Bis zur St. Charles Avenue fiel kein Wort. Oliver stellte das Radio ein, es rauschte nur, er stellte es wieder ab. Auf dem engen Raum konnte er ihr Parfüm riechen. Es erinnerte ihn an Claire, nicht das Parfüm selbst, sondern die Tatsache an sich. Claires Duft war der Vanille und Lavendel gewesen, wie ein sonniger Tag in der Provence. Kats war ... wie frische Luft nach einem Gewitter. Für einen flüchtigen Moment vermisste er Claire so sehr, dass er glaubte, sein Herz würde einfach stehen bleiben. Doch natürlich tat es das nicht. Was blieb, war das Lenkrad, das er mit beiden Händen fest umklammerte. 

Ein Wind kam auf, als sie vor dem Court of Two Sisters hielten. Die gelberleuchtenden Fenster in dem grauen Morgenlicht hatten etwas Heimeliges. Kat sprang aus dem Wagen, und eine Regenbö klatschte ihr ins Gesicht. Oliver beugte sich zu der offenen Beifahrertür herüber und sagte etwas.

«Was?»

«Ich habe gefragt, ob ich dich später hier wieder abholen soll?»

«Ja, gern», sagte sie. «Bis dann.»

Oliver sah ihr nach. Er hatte ganz vergessen, wie es war, eine Frau um sich zu haben, die einem vertraut war. Kat hatte zwar keine Ähnlichkeit mit Claire, aber sie sprühte genauso vor Energie und Lebendigkeit. Die Erkenntnis traf ihn so heftig, dass es ihm fast den Atem raubte.

An der Tür blieb sie stehen und drehte sich um: Der Porsche war nicht mehr zu sehen.

Vor ihrer Schicht hatte Kat eine Nachricht von Marcus erhalten, wie sie jetzt feststellte, als sie ihr Handy in ihrem Spind verstaute. Er wollte sich nach Feierabend mit ihr treffen. Einen Grund nannte er nicht. Sie vermutete, dass sich sein Hackerfreund von der Uni gemeldet hatte. Eine andere Möglichkeit konnte sie sich nicht vorstellen. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass er ihr nicht mehr helfen wollte, nachdem sie ihm das Herz gebrochen hatte. Es musste wirklich wichtig sein, sonst würde er ihr weiter aus dem Weg gehen.

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