| 24 | 𝓝𝓮𝓰𝓪𝓽𝓲𝓿𝓮 𝓔𝓷𝓮𝓻𝓰𝓲𝓮

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»Nach einer Stunden hatte Claire alles gegeben und lies erschöpft die Hände neben sich sinken. Der Zuschauersaal brach in einen Beifallssturm aus. Pfiffe hallten durch den Raum, immer mehr Zugabe- Forderungen wurden laut, doch Claire konnte nicht mehr. Dann erhob sich ein Zuschauer nach dem anderen und feierte sie mit Standing Ovations. Ich war einer der ersten, die aufstanden, und ignorierte Bens amüsiertes Grinsen und seine triumphierenden Blicke. Mit leuchtenden Augen verbeugte sich Claire unablässig und verteilte Kusshände in die Menge. Der Leiter der Academy überreichte ihr einen Strauß roter Rosen, den ihm wohl jemand aus den Kulissen zugeschoben hatte. Mit den Blumen im Arm verbeugte sich Claire noch einmal tief und winkte dem Publikum, bevor sich der Vorhang senkte und mich ...«

Ein Klopfen an der Tür neben ihnen ließ ihn verstummen.

»Kat? Oliver? Seid ihr da drinnen?«, hörten sie gleich darauf Grannys Stimme.

Kat zuckte erschrocken zusammen und kehrte schlagartig in die Gegenwart zurück. Waren sie schon so lange hier? Während sie Oliver zugehört hatte, hatte sie völlig die Zeit verloren.

»Geht es euch gut?«

»Ja, alles in Ordnung, Granny«, rief Kat schnell, bevor ihre Großmutter die Tür öffnete und hereinkam. »Wir sind gleich bei dir.«

»Wir müssen langsam mit dem Aufräumen anfangen. Deine Arbeit fängt in drei Stunden an. Bis dahin sollten wir das Gröbste geschafft haben«, sagte sie geschäftig. »Kommt in die Küche, wenn ihr so weit seid. Ich habe Kaffee gemacht.« Kat entging nicht der süffisante Ton, auch wenn er durch die Holztür gedämpft war. Bei ihr klang es, als hätten sie es wild durch die ganze Bibliothek getrieben, dabei war überhaupt nichts passiert. Abgesehen davon, dass sie zum Schluss fast auf Olivers Schoß gesessen war. Zum Glück schien er den anzüglichen Unterton ihrer Großmutter nicht zu bemerken. Und es schien ihn auch nicht zu stören, dass sie ihm so nah war. Kat rückte ein Stück zur Seite, als er Anstalten machte, aufzustehen.

»Irgendwann müssen Sie mir erzählen, wie es weitergegangen ist. Okay?«, bat sie.

Oliver nickte, bevor er elegant aufstand und ihr die Hand hinhielt. Sie ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Sein Blick wirkte genauso abwesend wie ihrer. Offensichtlich hatten sie beide keine große Lust, in die Realität zurückzukehren.

Kat stieß die Luft aus und wollte gerade die Tür öffnen, als Oliver sie am Arm zurückhielt. Überrascht wandte sie sich um und sah ihn an. Wenigstens hatte er sich wieder beruhigt. Die Tränen waren getrocknet. Nur ein schwaches Glitzern auf seinen Wangen erinnerte noch an seinen Zusammenbruch. Die dunklen Schatten unter seinen Augen waren noch immer da, aber er hatte wieder etwas Farbe im Gesicht.

»Danke«, meinte er aufrichtig.

Sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln. »Sie müssen sich nicht bedanken. Das war selbstverständlich.« In einem Anflug von Leichtsinn streckte sie die Hand aus und legte sie an seine Wange. Seine Haut war glatt und warm und sie spürte, wie er die Kiefer aufeinanderpresste. Zu viel, zu schnell, dachte sie betrübt, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck weich. Er legte seine Hand auf ihre.

»Es tut mir leid, was ich vorhin zu Ihnen gesagt habe. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Ich war so wütend ... ich konnte nicht klar denken ... ich wollte das nicht sagen, aber die Worte kamen einfach über meine Lippen.« Er sah zu Boden, blinzelte und hob dann den Kopf, um ihr wieder ins Gesicht zu sehen.

»Dann glauben Sie mir?«, flüsterte Kat, die sich plötzlich nicht mehr bewegen konnte. Sie war sich seiner Nähe schmerzhaft bewusst. Sie konnte sehen, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, wie sein dichtes Haar im Nacken den Kragen seines Hemdes steifte, wie sein Herzschlag an seinem Hals pulsierte. Sie entdeckte ein kleines Muttermal direkt unterhalb seines Kehlkopfs und sie stellte sich vor, wie sie sich ein winziges Stück nach vorne beugte und die zarte Haut dort küsste. Oliver schluckte und der Bann war gebrochen. Sie blinzelte und sah ihm wieder in die blauen Augen, die im Schatten der Bibliothek das dunkle Blau des Meeresgrundes hatten. Er nickte.

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