| 29 | 𝓜𝓸𝓾𝓷𝓽 𝓢𝓲𝓷𝓪𝓲 𝓗𝓸𝓼𝓹𝓲𝓽𝓪𝓵

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Pünktlich um sieben am nächsten Morgen stand ein schwarzer Audi A8 mit getönten Scheiben auf der Straße vor Grannys Haus. Ein älterer Mann mit Vollbart stand daneben und rauchte eine Zigarette, während er wartete.

Kat verabschiedete sich von ihrer Großmutter, bevor sie ihre Tasche nahm und nach draußen trat. Granny hatte ihr angeboten, sie zu begleiten, weil sie Ben Peterson wohl ebenfalls nicht über den Weg traute, aber Kat hatte abgelehnt. Es war besser, wenn sie zunächst alleine mit Oliver sprach. Und mit Ben wurde sie schon fertig. Hoffte sie zumindest.

Zuerst hatte sie ein gelbes Kleid mit Spaghetti-Trägern und knielangem Rock gewählt, doch sie wollte nicht, dass Ben Peterson auf falsche Ideen kam. Also hatte sie das Kleid wieder ausgezogen und sich trotz der Hitze in eine lange, dunkelblaue Jeans gezwängt. Dazu entschied sie sich für ein rotes T-Shirt mit normalem Ausschnitt. Nichts allzu Aufreizendes. Auch wenn sie vermutlich darin in ihrem eigenen Schweiß schwimmen würde.

Der Flug nach New York verlief ohne Zwischenfälle. Kat war noch nie in einem Privatjet geflogen. Ein klein wenig aufgeregt war sie schon, zumindest am Anfang. Außerdem würde sie fast zwei Stunden alleine mit Ben Peterson auf engem Raum verbringen - ohne Fluchtmöglichkeit. Es stellte sich jedoch heraus, dass ihre Befürchtungen unbegründet waren. Nachdem er sie vor dem Flugzeug kurz begrüßt und ins Innere begleitet hatte, ließ er sich auf einem der vier Ledersitze nieder, klappte den Laptop auf dem Beistelltisch vor ihm auf und zückte sein Handy.

»Machen Sie es sich bequem und genießen Sie den Flug. Wenn Sie etwas brauchen, wenden Sie sich an Anna. Ich muss ein paar Anrufe erledigen.« Mit diesen Worten tippte er auf seinem Handy herum und hielt es sich ans Ohr. Die nächste Stunde ignorierte er sie, telefonierte oder schrieb etwas auf seinem Laptop.

Kat lehnte sich in ihrem Sitz zurück, blickte durch das runde Fenster nach draußen auf die Wolken, die sich wie Sahnehäubchen aufbauschten, und die Miniaturwelt unter ihnen. Sie schaffte es tatsächlich, sich ein wenig zu entspannen. Auch wenn ihr Puls sich bei dem Gedanken, Oliver wiederzusehen, beschleunigte und sie sich gleichzeitig vor dem fürchtete, was sie erwarten würde.

Ab und zu drangen ein paar Gesprächsfetzen durch ihre Gedanken. Scheinbar hatte Ben die Geschäfte an der Ostküste übernommen, solange Oliver ausfiel, und versuchte gerade, Schadensbegrenzung zu betreiben. Er redete mit Engelszungen auf seine Gesprächspartner ein und bettelte förmlich, dass sie die Verträge mit seiner Firma nicht kündigten. Kat begann sich zu fragen, was genau in den letzten Tagen vorgefallen war, seit Oliver New Orleans verlassen hatte. So wie es sich anhörte, war die Schlagzeile in der Times-Picayune nur der Anfang gewesen.

Als er seinen fünften Anruf beendet hatte, setzte sie sich auf und drehte sich zu ihm. Er fuhr sich gerade mit beiden Händen durch die Haare und sah aus, als wollte er das Telefon am liebsten gegen die Wand schleudern.

»Was ist eigentlich mit Olivers Familie? Warum haben Sie seine Eltern nicht um Hilfe gebeten?«, interessierte sie sich. Wäre das nicht das Naheliegendste gewesen? Vor allem in diesen Kreisen? Warum eine Außenstehende in die Sache hineinziehen? Die Pressesprecherin wusste ja Bescheid, dann mussten es seine Eltern auch erfahren haben.

Ben warf das Telefon auf den Tisch. »Seine Familie?« Er schüttelte knapp den Kopf. »Das hat er Ihnen wohl nicht erzählt. Na ja, kein Wunder. Die Beziehung zu seinen Eltern ist - sagen wir mal kompliziert.«

»Warum?«

Er sah sie kurz an und schien einen Moment lang zu überlegen, ob er weitersprechen sollte oder nicht. »Seine Eltern waren gegen die Hochzeit mit Claire. Sie war ihnen nicht gut genug. Ein Mädchen aus der Mittelschicht, das keinen Titel und auch keinen prestigeträchtigen Beruf hat. Und er der Erbe einer der ältesten und reichsten Gründerfamilien. Wie es nun mal in diesen Kreisen ist, wollten sie ihn mit jemanden aus ihren eigenen Reihen verheiraten. Das läuft genauso wie bei allen Adligen mit ihren altmodischen Ansichten und Traditionen.« Er rollte mit den Augen.

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