| 19 | 𝓜𝓪𝓰𝓷𝓸𝓵𝓲𝓮𝓷 𝓾𝓷𝓭 𝓡𝓸𝓫𝓮𝓻𝓽 𝓡𝓮𝓭𝓯𝓸𝓻𝓭

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Eine Dreiviertelstunde später war Kat endlich mit ihrem Spiegelbild zufrieden. Sie hatte sich die Haare gewaschen und sie zu einem lockeren Dutt auf ihrem Kopf zusammengebunden. Dadurch kamen ihr schlanker Hals und ihre Wangenknochen besser zur Geltung, wie sie fand. Sie trug eine Jeansshort, die kurz, aber nicht zu kurz war, und ein pinkes Top. Sie hatte noch immer Claires mühelos elegante Erscheinung vor Augen. Sie würde nie so schlicht und dennoch edel aussehen, aber sie wusste, was ihre Figur betonte und welche Farben ihre Augen zum Strahlen brachten. Zum Schluss schminkte sie sich noch dezent, so wie sie es auf der Arbeit auch tat. Ein Hauch Parfüm und ihre Lieblingssneaker vervollständigten ihr Outfit. Sie hatte es geschafft, ihre Vorzüge in Szene zu setzen, ohne dass sie einem gleich ins Gesicht sprangen.

Ihre Großmutter wartete bereits am Ende der Treppe auf sie. Sie trug ein weites Kleid mit Blumenmuster und sah zehn Jahre jünger aus. »Uh-hm«, war alles, was sie bei Kats Anblick sagte. Sie kannte ihre Enkelin fast nur in abgetragenen Jeans, T-Shirts und mit wilden Haaren.

Kat verdrehte die Augen. »Was?«, fauchte sie. »Es soll heiß werden.«

Granny kicherte. »Wenn hier jemandem heiß wird, dann ganz sicher Mister Calvert, wenn er dich so sieht.«

Kat spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. »Unsinn. Das ist doch nichts Besonderes.«

Madeleine LaSalles Augenbrauen gingen nach oben. »Er wird sich ganz schön in acht nehmen müssen, wenn du sämtliche Waffen auffährst.« Sie öffnete die Tür und ging nach draußen zu ihrem rostigen türkisfarbenen Cadillac, der am Straßenrand parkte.

Kat wusste nicht, was ihre Großmutter mit dieser Bemerkung sagen wollte, aber insgeheim war sie geschmeichelt. Mit einem breiten Grinsen folgte sie ihr.

Zwanzig Minuten später bog der Cadillac in die Prytania Street ein.

»Was ist denn hier los?«, wunderte sich ihre Großmutter.

Eine eisige Hand legte sich um Kats Herz, als sie das rot-blaue Licht des Streifenwagens erblickte, der mitten auf der Straße stand. Direkt vor Olivers Haus. Dahinter parkte noch ein schwarzer Lieferwagen, aus dem gerade zwei Männer in weißen Overalls ausstiegen. Spurensicherung.

»Nein, nein, nein«, rief Kat panisch. »Bitte nicht.« Ohne nachzudenken, riss sie die Beifahrertür auf und sprang aus dem Wagen, noch bevor ihre Großmutter ihn zum Stehen gebracht hatte. Der süßliche Geruch des Garden Districts stieg ihr sofort in die Nase, doch gerade hatte sie keinen Sinn für die Schönheit der Gegend. Normalerweise hätte sie die betörende Mischung aus Magnolien, Wisteria und Oleander in sich aufgesogen und einmal mehr gedacht, dass nur New Orleans ein Parfum wie dieses kreieren konnte. Doch heute hatte sie nur Augen für die Villa, die hinter den Bäumen verborgen lag. Tränen traten ihr in die Augen, als sie über den Gehsteig zu dem inzwischen vertrauten Gartentor rannte. Das durfte nicht sein. Nicht jetzt. Nicht nach letzter Nacht. Sie bekam keine Luft mehr. Er würde doch nicht ...? Kat konnte den Gedanken nicht zu Ende führen. Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Ihr Blick war verschleiert und sie stolperte, weil ihre Füße ihr nicht gehorchen wollten. Wenn, dann wäre es ihre Schuld. Womöglich hatte sie etwas Falsches gesagt. Nein, Claire hätte sie gewarnt. Genau wie beim letzten Mal. Sie würde nicht zulassen, dass er ...

»Oliver!«, schrie sie verzweifelt und stürmte durch das Gartentor. Trotz der schwülen Luft war ihr eiskalt.

Zwei Polizeibeamte kamen gerade aus der Villa und schüttelten den Kopf. Nein!

Es geht ihm gut. Es geht ihm gut. Kat wiederholte dieses Mantra unablässig in ihrem Kopf. Es musste so sein. Während sie den kurzen Weg zur Veranda entlang lief, überholte sie ein blonder Mann und stieß sie unsanft zur Seite.

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