| 9 | 𝓛𝓪𝓷𝓭𝓴𝓪𝓻𝓽𝓮 𝓭𝓮𝓼 𝓢𝓬𝓱𝓻𝓮𝓬𝓴𝓮𝓷𝓼

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Nach ein paar Minuten strammen Fußmarsches hatte sie die Villa in der Prytania Street erreicht. Alles sah noch genauso aus wie bei ihrem ersten Besuch. Außer dass Oliver gerade dabei war, schwerfällig die Tür in dem hohen Zaun aufzustoßen.

»Jetzt warten Sie doch! Lassen Sie mich Ihnen helfen!«, rief Kat und rannte die letzten Meter zu ihm.

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, keuchte er angestrengt und als er ihr ins Gesicht blickte, sah er aus wie der leibhaftige Tod.

»Und wer soll die Kugel entfernen?« Kat verschränkte die Arme und funkelte ihn an.

Aber Oliver hatte offensichtlich keine Kraft mehr, um sich mit ihr zu streiten. »Lassen Sie mich in Ruhe«, gab er sich geschlagen. Er stolperte den kurzen Weg zum Eingang entlang und Kat fürchtete mehr als einmal, dass er stürzte. Sie ging dicht hinter ihm, um ihn zur Not aufzufangen. Er gab einen kurzen Schrei von sich, als er den Arm hob, um den Daumen auf den Scanner neben der Tür zu drücken, um die Alarmanlage zu entschärfen. Dann warf er ihr einen Schlüsselbund zu und deutete mit dem Kinn in Richtung Haustür. Kat beeilte sich, die Tür zu öffnen. Oliver durchquerte den schmalen Korridor und bog direkt in das große Zimmer zur Rechten ab. Kat vermutete, dass es der Salon war. Durch eine zweite Tür weiter hinten erschien er wieder, eine Flasche in der Hand.

»Nein, oh nein!«, knurrte sie, als er einen großen Schluck aus der Flasche nahm. Sie stürmte den Korridor entlang und riss ihm die Flasche aus der Hand. Bourbon, genau wie sie vermutet hatte. »Haben Sie den Verstand verloren?«, fuhr sie ihn an. »Wollen Sie sich ins Koma befördern?«

»Genau das hatte ich vor! Oder wie, glauben Sie, soll ich es sonst aushalten, wenn Sie die Kugel entfernen?« Er hob die Augenbrauen und sah sie herausfordernd an. »Das älteste Betäubungsmittel der Welt. Also geben Sie schon her!« Er winkte mit der Hand.

Kat kniff die Augen zusammen. »Ich könnte Ihnen eins überbraten«, gab sie zurück. Sie hätte nicht übel Lust dazu. Hinter sich hörte sie Claire lachen. »Touché.«

Oliver schüttelte den Kopf. »Sie sind eine verdammte Plage!«, fluchte er, schnappte sich die Flasche und stolperte durch die Tür am Ende des Ganges.

»Und die verdammte Plage wird Ihnen das Leben retten!«, schrie sie ihm hinterher. Schon wieder.

»Oh, er mag Sie«, stellte Claire amüsiert fest.

Kat trat durch die Tür, hinter der er verschwunden war. Es war die Küche. Modern und perfekt ausgestattet. Neben weißen Holzschränken gab es einen riesigen Kühlschrank und in der Mitte eine Kochinsel aus Edelstahl. In einem historischen Haus wie diesem hatte sie eine derart moderne Küche nicht erwartet, aber irgendwie fügten sich die hochwertigen Geräte perfekt in die eher altmodischen Möbel ein. Jemand hatte sich viel Gedanken darum gemacht, den Charakter des Hauses zu erhalten und trotzdem mit der Zeit zu gehen. Oliver saß auf einem Hocker vor der Kochinsel und setzte die Flasche gerade ein weiteres Mal an. Seine zusammengesunkene Körperhaltung versetzte Kat in Alarmbereitschaft. Er hielt sich nur noch mit letzter Kraft aufrecht.

»Haben Sie so etwas wie einen Verbandskasten? Oder eine Hausapotheke?«, fragte sie hastig, bevor er ihr vielleicht nicht mehr antworten konnte. Sie wollte keine kostbare Zeit damit verschwenden, das ganze Haus durchsuchen zu müssen.

»Oben, im Badezimmer«, antworteten Claire und Oliver gleichzeitig.

»Versuchen Sie, nicht ohnmächtig zu werden. Ich bin gleich wieder da.«

Oliver gab nur ein unverständliches Brummen von sich.

Kat rannte den Korridor zurück und hastete die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend. Sie war so steil, dass sie aufpassen musste, sich nicht das Genick zu brechen. Oben angekommen, riss sie die Tür direkt neben dem Schlafzimmer auf. Dahinter befand sich das riesige Badezimmer, ebenso modern wie die Küche. Der Blickfang war die große, freistehende Badewanne mit den goldenen Löwenpfoten, die in der Mitte auf einem Podest stand. Darüber befand sich eine Glaskuppel mit Ausblick in den Himmel. Kat war einen kurzen Moment sprachlos. Bei ihrem ersten Besuch hatte sie keine Zeit gehabt, sich umzusehen, weil sie sich nur darauf konzentriert hatte, Oliver das Leben zu retten. Das Bad war so groß wie Grannys Wohnzimmer und das schönste, das sie bisher gesehen hatte. Sie würde wohl nie mehr aus dieser Wanne steigen, wenn sie einmal die Gelegenheit dazu hätte, sie zu benutzen. Am Fuß des Podestes standen Kerzen in verschiedenen Größen und diverse goldene Flaschen und Dosen. Kat musste sich zwingen, den Blick abzuwenden und sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.

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