| 5 | 𝓘𝓷𝓽𝓮𝓻𝓷𝓮𝓽𝓻𝓮𝓬𝓱𝓮𝓻𝓬𝓱𝓮

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Zwei Stunden später näherte sich der Brunch dem Ende. Die ersten Gäste machten sich auf den Heimweg, hoffentlich satt und zufrieden. Kat ließ es sich nicht nehmen, alle am Ausgang persönlich zu verabschieden. Nicht nur wegen des Trinkgelds, sondern auch um in guter Erinnerung zu bleiben. Mit Schrecken beobachtete sie, dass Oliver und seine Geschäftspartner sich nun auch von ihrem Tisch erhoben. Nach ihrem Gespräch mit Carol hatte Kat es doch nicht lassen können und mehr als einmal einen Blick in seine Richtung riskiert. Die meiste Zeit war er in eine hitzige Diskussion mit den anderen Männern vertieft gewesen. Er hatte kaum etwas gegessen, ein paar Gambas und etwas Rührei, so wie es aussah. Kaum genug um einen gestandenen Mann wie ihn sattzukriegen. Dafür hatte er umso mehr getrunken. Bourbon vermutlich. Was sie mitbekommen hatte, hatte ihm Peter zwei weitere Male einen neuen Drink gebracht. In der kurzen Zeit waren das mindestens vier Doppelte gewesen. Um diese Uhrzeit und bei dieser Menge in so kurzer Zeit hätte es Kat längst die Füße weggezogen. Aber Oliver schlängelte sich noch erstaunlich sicher durch die Tische, was nur heißen konnte, dass er ein Gewohnheitstrinker war. Wenn das seine Trauerbewältigung war, würde es ihn schon bald ins Grab bringen. Trotz seiner Unfreundlichkeit hatte Kat Mitleid mit ihm. Es war wohl genau seine Absicht. Nicht länger von Claire getrennt zu sein. Romantischer Blödsinn, dachte sie und wiederholte seine Worte von vorhin.

Dann stand er ein zweites Mal an diesem Tag vor Kat und diesmal lenkte ihn kein Handy ab. Kat bemerkte die dunklen Schatten unter seinen Augen und die zu einem schmalen Strich zusammengepressten Lippen. Eine zarte Röte färbte seine Wangen, was wohl dem Alkohol zu verdanken war, ansonsten war sein Gesicht so bleich wie sein gestärktes Hemd unter dem Anzug. Es ging ihm nicht gut. Dennoch gehörte er zu der Sorte Männer, die stets eine natürliche Selbstsicherheit ausstrahlten und den Eindruck vermittelten, als könnten sie sich auf jedem Parkett bewegen. Kat ahnte, dass dies mit seiner Herkunft zu tun hatte.

Unauffällig wischte sich Kat ihre feuchten Hände an ihrem schwarzen Rock ab. Reiß dich zusammen. Es geht dich nichts an. Du hast nichts mehr mit ihm zu tun. »Hatten Sie einen schönen Aufenthalt? War alles zu Ihrer Zufriedenheit?« Sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass sie mit ihm fühlte. Er würde es ganz sicher nicht wollen, und sie kam sich ziemlich albern vor. Eigentlich war er ein völlig Fremder.

Oliver zückte wortlos seine Geldbörse, gab ihr seine Kreditkarte und drehte sehnsüchtig den Kopf in Richtung Ausgang. Er konnte es gar nicht erwarten, so schnell wie möglich das Restaurant zu verlassen. Bestimmt war es nicht seine Idee gewesen, hierher zu kommen. Wahrscheinlich hatte er seinen Geschäftspartnern einen Gefallen getan. »Alles zusammen oder getrennt?« Tut mir leid, dass es nicht schneller geht, Oliver, dachte sie, aber ich mache hier nur meine Arbeit.

»Zusammen.«

»Das macht dann ...«

»Schon gut, nehmen Sie einfach die Karte.« Er schob ihr die Kreditkarte in die Hand und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Kat hatte das leichte Zittern seiner Hand dennoch bemerkt. Unter gesenkten Lidern musterte sie ihn besorgt, während sie die Karte in das Lesegerät schob und den Betrag eintippte. An seinem Hals pulsierte eine Ader und sein Kiefer war verkrampft, so als würde er sich schon die ganze Zeit auf die Zähne beißen. Erinnerungen konnten eine Folter sein. Kat wusste es aus eigener qualvoller Erfahrung. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihm Beileid wünschen sollte. Nein, das würde ganz klar eine Linie überschreiten. Das war sein Privatleben.

Das Lesegerät gab ein leises Piepen von sich und spuckte den Beleg aus. Oliver wandte sich wieder ihr zu, riss ihr das Papier förmlich aus der Hand und hielt ihr die andere auffordernd hin. Kat überreichte ihm ihren Stift, peinlich darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. Mit einer knappen Geste unterschrieb er und gab ihr den Beleg zurück. Sie bezweifelte, dass er sich den Betrag darauf überhaupt angesehen hatte. Ein Trinkgeld hatte er jedenfalls nicht eingetragen. Mistkerl.

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