Kapitel 7

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Schweigend betrachtete ich meinen Werk, den ich auf meinen Arm veranstaltet hatte. Ich hatte meine Wunden neu aufgeratscht, um dem Schmerz zu entgehen. Langsam hob ich meine rechte Hand und legte sie auf dem linken Arm. Dort strich ich erst fest darüber und krallte danach meine Fingernägel rein. Ein kurzer stummer Schrei entwich mir, doch die Träne, die auf die Wunde fiel, tat viel mehr weh. Die kalte Wand hinter mir brachte mich zum zittern wie der Boden. Mein Rücken tat wegen des langen Sitzens weh, als hätte mir jemand den Rücken gebrochen. Mein Arm ließ unzählige kleine Bluttropfen auf dem Boden fallen. Jeder Aufprall war zu hören und verursachte Trauer in mir, als wären die Tropfen mein komplettes Leben, was sich in Stücke zerteilt und auf dem Boden fällt. Mein Leben, was Glück hieß und nun zu tausenden von Splittern geworden ist und nicht wieder heilbar ist. Mein Leben, was sich die Zukunft nicht mehr vorstellen kann, sondern versucht jeden Tag dank des Pechs zu überleben. Wie kaputt muss ein Mensch eigentlich noch gehen? Man sagt dies ist nur eine Probe Gottes, doch was zum Gottes Willen ist das für eine Probe? Mit den Nerven am Ende und kaputt bin ich, was fehlt? Will Allah meine Lage etwa verschlechtern? Es müsste doch ein Grund geben, dass man mich so fallen sehen will.
Du hast nicht gekämpft.

Stimmt. Egal was ich machen würde, mich würde die Vergangenheit fangen und hinter Gittern versperren. Gittern, die sich Pech nennen. Mit verschwommter Sicht sah ich zur Wand, die etwa 10 Schritte von mir entfernt war. Alles weiß, nichts interessantes, rein garnichts. Ich würde hier lebend sterben. Egal was ich mache, es wird schief gehen. Ich hatte aufgehört Hoffnungen zu haben. Meine Freundin machte sich umsonst Gedanken. Lieber bleibe ich hier mein lebenlang, statt zu kämpfen. Wieso kämpfen, wenn es sich nicht lohnen wird? Hier bin ich, in meinem kleinen Zimmer im Dunkeln. Diese Dunkelheit würde mich selbst in den hellsten Tagen nicht verlassen. Sie hatte sich tief in meinem Herzen eingenistet. In dieser großen Dunkelheit befanden sich diese negativen Gefühle, die ich ausstrahlte. Wie ich mich hasste. Wie gern ich diese Sache hinter mir bringen würde und einfach diese verdammte Ader durchschneiden würde. Ich tat es für Aylin nicht, meinen Anker. Sie konnte meine Gefühle bändigen und verschaffte mir Ablenkung. Ihre Wörter, die mir Mut verschafften, schafften es, mir jeden Tag ein Stück des Lebens zu schenken.

Mittlerweile wurde mir schwindelig. Meine Augen brannten vom Weinen. Ich saß schon seit mindestens vier Stunden hier auf dem Boden und war dabei, meinem Arm Schaden zuzufügen. Alte Erinnerungen spielten sich nebenbei in meinem Kopf ab und raubten mir somit den Atem. Mein Zustand war seit Tagen immer schlimmer. Es waren bereits 2 Wochen vergangen. Aylin war in der Türkei, da es ihrer Oma sehr schlimm geht. Sie wollte wegen mir nicht fliegen, doch letztendlich konnte ich sie überreden. Natürlich wurde ich vollgelabert, dass ich nichts falsches tun soll und auf mich aufpassen soll. Sie war wie eine Mutter und zugleich wie eine Schwester für mich. Sie machte sich 24 Stunden Sorgen um mich, was ich ehrlich gesagt unnötig fand. Ich bewunderte sie dafür, dass ich ihr so wichtig war, wie sie mir. Ich würde sie nie wieder mehr loslassen, denn sie war so gut wie in guten und schlechten Tagen bei mir.

Ein Schluchzer entwich mir aus dem Mund bei diesen Gedanken, die mich innerlich zum sterben brachten. Diese zwei Wochen waren fürchterlich für mich. In diesen zwei Wochen hatte ich nichts weiteres zu tun, als mich selbst zu verletzen und zu weinen. Es lag an Aylin. Wäre sie hier, würde es mir unendlich mal besser gehen.

Das einzige woran ich dachte, war, wann ich endlich aufhören würde zu atmen. Ich fühlte mich dem Tod so nah, doch mein Herz klopfte. Ich würde mir selbst höchtens zwei Wochen geben, da ich nur noch von Wasser und einem Brot am Tag lebte. Die Krankenschwestern zwangen mich seit kurzem zu Essen, weshalb ich mir was runterschling. Ich fühlte mich seit Tagen krank, als hätte mich jemand fest geschlagen.
Geschlagen.

Erneut schluchzte ich und fing an laut zu weinen. Ein Wort, meine Vergangenheit. Ich kippte zur Seite und weinte vor mich hin. Den kalten Boden kontaktierten meine Tränen und mein Blut, der immernoch langsam tropfte. Mir wurde bei dem Anblick meines Armes übel, denn es war plötzlich nur noch Blut zu sehen. Es bestand ein Mix aus Tränen und Blut auf dem Boden. Mit zittrigen Händen fasste ich an meine Lippen, die bebten, um nicht wieder in Tränen auszubrechen oder zu schluchzen. Ich hatte es satt, Tränen zu vergießen, weshalb ich versuchte, mich zusammenzureißen, auch, wenn ich schon längst als Versagerin aufgegeben hatte. Die Außenwelt um mich hatte ich ausgeblendet, indem ich die Jalousinen runtergezogen hatte. Ich konnte es nicht mehr aushalten, die Menschen jeden Tag zu betrachten und mir zu denken, dass ich dies niewieder mehr erleben werde.

ÖzlemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt