Kapitel 12

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Zuhause angekommen schlug ich die Tür zu, zog mich bis auf meine Jogginghose aus, schmiss mich auf mein Bett und dachte über den Text von ihr nach. Dies wird wohl meine nächste Nacht sein, in der mir Özlem mit ihrer komplizierten Art auf unerklärlicher Weise den Schlaf rauben wird.

Özlems Sicht:

Völlig außer Kontrolle rutschte mir mein Herz in die Hose und sorgte für Herzrasen.

Meine Atmung fiel mir schwer und ich fing an stark nach neuem Sauerstoff zu keuchen. Meine Hand bohrte sich in meiner linken Brust und versuchte die Schmerzen und das Stechen zu stoppen. Der Schlauch an meinem Bauch tat mir ebenfalls weh. Das Wetter ließ meine Stimmung in binnen von Sekunden verschlechtern. Ich wusste selbst nicht, was mit mir passierte, denn die Maschinen, die um mich her standen, hatten plötzlich die Kontrolle über mich und jedes Laut, was sich aus einer der Maschinen ergab, brachte mich zum zittern, denn ich hatte das Gefühl, das ich dem Tod nah steh. Noch nie hatte ich solche Schmerzen und das Gefühl, das mein Herz immer langsamer schlug, beruhigte mich, denn ich konnte förmlich spüren, wie der Tod mir näher rückte. Einen gewissen Druck spürte ich, während ich atmete, weshalb ich versuchte ruhig zu bleiben, doch ich keuchte hektisch nach Luft. Sollte ich es jetzt einfach lassen oder kämpfen?

Ich wusste nicht wieso, aber die Wörter meiner Psychotherapeutin und von Erdem schwirrten mir im Kopf herum und ich blickte verwirrt zur Wand. Mein Kopf warnte mich vors platzen, denn ich hatte überall schreckliche Schmerzen. Ich versuchte aufzustehen und zur Tür zu gelangen, was mir wegen den Maschinen schwer fiel. Voller Wut riss ich mir die Infusion aus dem Leib und den Ernährungsschlauch, was mir ungeheuer weh tat, doch ich nicht schluchzte, sondern stumm Tränen vergoss. Ich wollte zur Tür. Ich hatte ein Gefühl, als wäre da etwas wichtiges, etwas was ich wollte.

Mit meiner Hand an meiner linken Brust ging ich zur Tür, die mir wie eine Kilometerstrecke vorkam und riss sie auf.

Es vergingen nicht mal Sekunden und ich blickte geschockt zur Person, die selbst schockiert war. Erdem.

"Özlem!", schrie er laut aus sich und hielt mich fest, als ich schwarze Punkte vor meinen Augen sah und ihn fest umarmte.

Erdems Sicht:

Überfordert sah ich zu Boden und trug das Gewicht eines Kindes auf mir. Ihren zierlichen Körper umfasste ich fest mit meinen Händen an ihrer Taille. Ihr Gesicht ruhte auf meiner Schulter, ebenfalls wie mein Gesicht in ihre und fühlte mich von ihrem Geruch aus Erdbeeren wie benebelt, denn es machte mich auf Dauer süchtig.

Meine Gedanken kreisten um sie herum, während sie mir plötzlich weggenommen wurde und ich diesen Stromschlag förmlich spürte, weil ich sie unbedingt in meinen Armen haben wollte. Ihr Duft verschwand in Binnen von Sekunden und sie verschwand aus meiner Sichtweite. Die Ärzte hatten sie soeben in ihr Zimmer gelegt und untersuchten sie, während ich wie angewurzelt vor der Tür stand und mit einer traurigen, wütenden und fürsorgenden Stimmung da stand, jedoch immernoch geschockt. Angst durchschüttete mich kräftig, wie ein enorm starkes und gefährliches Erdbeben. Meine Lungen erengten sich mit der Zeit und mir kam es so vor, als wurde mir die Luft weggenommen werden. Als mich die Realität einholte und mir in den Hintern für mein Verhalten tritt, zuckte ich zusammen und meine Augen fingen an verwirrt mit der Welt um mich herum zu spielen. Ich fühlte Schuld gegenüber Özlem, denn ich hatte ihr nicht geholfen, als sie ohnmächtig in meinen Armen lag. Was wäre passiert, wenn wir alleine wären und sie umfallen würde? Wieso konnte ich nicht die Ärzte rufen?

Unzählige, logische wie auch unlogische Fragen plagten mich in meinem Inneren, das schon genug Angst in sich um Özlem trug.

Als sich nach einer halben Stunde die Tür öffnete, trat ein Arzt heraus und steuerte auf mich zu. Freundlich schüttelte er mich an.

"Ich weiß nicht, was im Zimmer passiert ist, aber ihre Freundin hat sogut wie alle Kabel aus sich heraus gerissen und ist nachher rausgestürmt. Wir haben sie untersucht und sie wieder an alle Kabel befestigt. Ich denke, es war ein Schockmoment für sie, da sie eine Art Angst gegenüber sowas empfindet, so erzählt es mir die Psychologin. Ich würde sie bitten, nochmal einen Termin abzumachen, in dem wir gründlich reden können", sprach er.

"Ja ich melde mich telefonisch. Könnte ich sie jetzt noch besuchen?", fragte ich unsicher.

"Natürlich, man sich sieht", sagte er lächelnd und schüttelte meine Hand als Abschied.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und schlich mich zu Özlems Bett, da sie friedlich schlief. Wieder war dieses Mitleid da, der mich innerlich in Stücke zerfetzte und ich traurig über die Lage des Mädchens vor mir war. Die Regentropfen knallten gegen das Fenster und hinterließen angsteinflößende Stimmung, natürlich nicht bei mir.

Es blitzte und so schenkte ich dem schlechten Wetter meine Aufmerksamkeit.

Nach etwa 10 Minuten hörte ich das Geräusch einer Bewegung unter mir. Özlem erwachte langsam und kam zu sich. In der Zeit wusste ich nicht, wie ich mich gegenüber ihr verhalten soll und ob sie ansprechen sollte, egal über was. Ich würde mich gern mit ihr unterhalten, doch ihr fehlte der Mut im Blut.

Als sie mich sah, rückte sie weiter nach hinten und blickte ängstlich zum Fenster. Man sah ihr die Angst in den Augen geschrieben. Sie hatte Angst beim Gewitter. Lachend blickte ich zu ihr und fragte sie, ob sie Angst vor Gewitter hat, doch sie schüttelte stur ihren Kopf und sah schüchtern zu Boden. Wieder entstand Stille und ich beschloss zu gehen, da sie sowieso wieder Ignoranz zeigte.
Das ist keine Ignoranz. Sie hat nur Angst.

Kurz schloss ich meine Augen, um diese innere Stimmen auszulöschen.

"Ich geh dann mal. Man sieht sich morgen. Pass auf dich auf", sprach ich zu ihr und drehte mich um.

Unerwartet spürte ich eine kleine Hand an meiner und so drehte sich meinen Oberkörper zu ihr. Flehend blickte sie mich mit glänzenden Augen an. Ihre Tränen drohnten auszubrechen, wie als hätte jemand meine Gedanken gelesen, strömten ihre ersten Tränen hinaus und so sah der Anblick für mich noch schlimmer aus. Freude bereitete sich in mir aus, als sie freiwillig mich aufgehalten hatte beziehungsweise den Mut dazu hatte, denn dies war ein weiterer Schritt, um ihr Selbstbewusstsein zu steigern. Mit einer hochgezogenen Augenbraue blickte ich in ihre Augen.

"Wieso hälst du mich auf?", fragte ich sie.

Als sie diese Frage zur Kenntnis genommen hatte, entfernte sie sich zackig von mir und sah wütend zu Boden, aber auch schuldig. War sie sauer auf sich selbst?

"Özlem..Das war doch gut.Du machst immer einen Schritt voran. Sei nicht sauer, es ist doch okay", flüsterte ich ihr entgegen.

"Du hast Angst wegen dem Gewitter stimmts?", fragte ich lächelnd.

Ihr blieb nichts zur Wahl, weshalb sie langsam nickte und ich schmunzelte.

"Ich bleibe", sagte ich und setzte mich wieder hin.

Sie legte sich hin und versuchte zu schlafen. In der Zeit telefonierte ich mit Aylin und bekam somit Özlems Aufmerksamkeit. Paar mal musste sie beim Donner zusammenzucken oder sich unter der Decke verstecken, doch sie versuchte neben mir Peinlichkeiten zu verhindern, weshalb ich abwesend zu ihr war und zu meinem Handy blickte. Mir kam eine Idee in den Sinn.

"Hast du eigentlich noch dein Handy? Weil, als du hier ausgebrochen bist, hast du es draußen zusammen mit deiner Tasche doch verloren oder?", fragte ich sie.

Sie nickte und war plötzlich in Gedanken.

Ich schrieb meinem Freund, das ich heute nicht feiern gehen würde, da mir die Motivation dazu fehlte. Plötzlich kam mir eine Frage in den Sinn.

Ist es Özlem, weswegen ich aufgehört habe so wenig zu feiern oder sind es alles nur Ausreden, die ich aufliste, damit Özlem nicht der Grund dafür ist?

ÖzlemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt