Schonmal was von illegalen Kämpfen gehört?", grinste er über beide Ohren und ich? Ich war enttäuscht wie nie. Er hatte mein Vertrauen zerstört.
Plötzlich schubste er mich zu Boden und stellte sich vor mich. Er kam so siegessicher und stolz rüber, dass er jetzt machen konnte, was er will und das, weil ich niemanden hatte, der mich vor seiner Gewalt schützen kann. Sein Gesicht verriet mir schon, was er mit mir vorhatte und in Binnen von Sekunden schellte er mir eine, fest und schmerzhaft. Ich kreischte auf, als er meine Haare in seine Hand nahm und meinen Kopf gegen die Wand schlug, zwei mal.
"Schlampe", spuckte er wütend und trat mir fast in den Magen, doch ich hielt meinen Oberkörper mit meinen Armen fest, um meinem ungeborenen Kind keinen Schaden hinzufügen. Ich schrie um Hilfe, doch niemand, wirklich niemand war da, der mich hören konnte. Nachdem er kurz aufhörte, nahm ich tief Luft und sah flehend zu ihm.
"Bitte Kaan, lass mich", flüsterte ich, doch er betrachtete meine Arme, die vor meinem Bauch lagen.
"Bist du schwanger?", fragte er leise.
Ich schwieg. Sollte ich es ihm sagen? Nicht, dass er mein Kind in den Tod tretet oder irgendwas ähnliches tut.
"Ich hab dich was gefragt!", schrie er und ich zuckte zusammen.
"Du bist schwanger", sagte er wieder leise und ich sah zum Boden, meine Arme fest auf meinem Bauch.
Nachdem er keinen Mucks von sich gab, sah ich hoch zu ihm.
"Geh", flüsterte ich.
Und er hörte auf mich. Nachdem er wirklich ging, schloss ich zweimal ab und zog alle Jalousien nach unten. Danach erst verarzte ich meine aufgeplatzte Lippe und hatte nicht viel am Bauch abbekommen, doch ich würde morgen sofort zum Arzt fahren. Mein verweintes Gesicht, meine blaue Wange und meine aufgeplatzte Lippe: Vor Erdem könnte ich es nicht verstecken, doch ihm sagen wollte ich es nicht. Plötzlich platzte jemand ins Bad, als ich dabei war, mir meine Tränen wegzuputzen.
"Oh", sagte er und ich versteckte schnell mein Gesicht und ging an ihm vorbei. Schlapp legte ich mich ins Bett und versuchte zu schlafen, doch ich war in einer Schockstarre und zitterte immernoch am Leib.
"Özlem?", spürte ich eine Hand auf meinem Rücken und wenig später senkte sich die Bettmatratze ein wenig. Da ich mich in der Decke versteckt hatte, sagte ich nichts, sondern versuchte mein vor Angst habendes Zittern zu stoppen.
"Ist dir kalt?", fragte er und strich mit seiner Hand meinen Rücken von oben nach unten.
"Ja", flüsterte ich trocken.
"Steh mal auf", sprach er sanft und versuchte mich hinzusetzen, doch ich wich seinen Berührungen aus.
"Lass mich in Ruhe", sagte ich unter der Decke und hoffte, er würde gehen, denn so langsam wurde es stickig in der Decke und ich sehnte mich nach der frischen Luft.
Plötzlich nahm er mit einem Ruck die Decke von mir und sah entsetzt und besorgt zu mir.
"Wer war das?", fragte er frustriert und strich über meine fastblaue Wange.
"Lass mich einfach in Ruhe", gab ich bissig von mir und blinzelte meine Tränen weg. Er hatte mich belogen, das ging schon seit Monaten und ich erfuhr es von meinem Feind.
"Du hast eine blaue Wange und deine Lippen. Wie ist das passiert?", fragte er lauter.
"Özlem bitte sag mir was passiert ist, auch wenn wir Streit hatten, bitte sag es mir. Ignorier mich nicht, bitte", flehte er.
Streit hatten.
"Wenn ich diesen blauen Fleck nicht hätte, würdest du mir weiterhin aus dem Weg gehen, also frag mich nicht, nur weil du neugierig bist und mal wieder Lust hast, jemanden zu verprügeln."
"Özi", nahm er meine Hand und zog mich zurück, als ich das Zimmer verlassen wollte.
"Ich schwöre, ich mache mir richtig Sorgen. Wie konnte das passieren?", fragte er zum hundertsten Male.
Tränen schossen mir in die Augen.
"Wo warst du?", hauchte ich und schniefte, nachdem ich mich mit Abstand zu ihm setzte.
"Ich war mit den Jungs unterwegs."
"Und wo?"
"Warum fragst du?"
"Beantworte mir diese Frage", zischte ich.
Es kam nichts von ihm, er schwieg.
Ich nahm mein Handy zur Hand und öffnete das Bild.
"Kannst du mir das erklären?", hielt ich ihm das Bild vor die Nase.
"Wie lange geht das schon?", schrie ich und vergoss dabei Tränen.
"Anworte mir!"
Wütend sah ich hoch zu ihm, doch dieses Gefühl, er würde mich kaum ernst nehmen, lag in der Atmosphäre. Ich war so klein und er so groß, ich fühlte mich kaum stark.
Wütend drehte ich mich weg, als er nur leicht nervös zu mir blickte und er nichts aus seinem Mund bekam.
"Ich hasse es an dir, dass du dauernd heimliche Sachen hinter mir treibst. Schämen solltest du dich, deine schwangere Frau allein gelassen zu haben. Glaub mir, dass du gegangen bist, hat so einiges mit mir angestellt. Du kannst dir schon vorstellen, wer hier war und mich beinahe bewusstlos geprügelt hat."
Mit diesen Worten verließ ich das Zimmer und knallte die Tür versehentlich laut zu. Schnell schrieb ich meinem Bruder, dass er mich abholen soll, auch wenn es so spät war. Bevor mir Erdem hinterherkommen würde, verschwand ich heimlich und ging weiter weg von unserer Wohnung, um sicher zu gehen. Es vergingen keine fünf Minuten, schon sah ich das Auto meines Bruders.
Fest nahm er mich in die Arme und atmete meinen Eigengeruch in sich ein, während ich die Augen schloss und einen dicken Kuss auf die Stirn bekam.
"Ihr habt Streit ne?", fragte er schieflächelnd.
"Jaa", gab ich von mir und stieg in seinen Wagen ein.
"Oha, hat er?", fragte er und zeigte auf meine Wunde. Zum Glück war kein klares Licht, sodass er den Fleck auf meiner Wange nicht sah.
"Nein, nein. Erdem würde das niemals tun. Du kennst ja deine tollpatschige Schwester. Ich bin hingefallen und meine Lippe war zwischen meinen Zähnen."
"Sowas schaffst auch nur du", lachte er und ich stieg mit ein, obwohl ich immernoch so furchtbar von Kaans Besuch zitterte.
"Wieso habt ihr euch gestritten?", fragte er leise und startete den Motor nicht. Stattdessen wartete er auf meine Antwort.
"Es ging um Aylin und naja ich will nicht, dass sich beide aus dem Weg gehen. Ich wollte meine Schwiegereltern besuchen, er hat wegen Aylin verneint. Dann kam es zum Streit."
"Wird schon, ich wette mit dir, dass er morgen vor unserer Tür stehen wird und dich anflehen wird."
Kurz lachte ich.
"Hast du ihm nicht gesagt, wo du bist?"
Unschuldig schüttelte ich meinen Kopf.
"Ich würds machen. Wenn meine Frau sowas abziehen würde, hätte ich die Bullen gerufen. Schreib ihm wenigstens wo du bist, sonst wird ganz Deutschland nach dir suchen."
"Nö."
"Özlem. Schreib ihm einfach, dass du bei deinen Eltern bist. Mehr nicht, einfach nur diesen Satz."
"Sonst macht er sich richtig Sorgen. Es ist dunkel und du bist abgehauen."
Seufzend nahm ich mein Handy.
2 verpasste Anrufe von Erdem.
Bin bei meinen Eltern.
Mehr schrieb ich nicht und sah, dass er am schreiben war.
Sag mir nicht, dass du zu Fuß unterwegs bist um diese Uhrzeit. Wo bist du?
"Er fragt, wo ich sei und ob ich zu Fuß bin."
"Schreib, mein hübscher Bruder hat mich abgeholt.
Mit Mazlum Abi.
Zügig packte ich mein Handy weg und wir kamen schon an.
"Sind die noch wach?"
"Nein."
"Gut, erzähl ihnen nichts vom Streit. Wir haben uns spontan getroffen und ich wollte bei euch einfach so übernachten."
"Wird gemacht Mademoiselle."
Heimlich schlichen wir uns auf unsere Zimmer. Er gab mir noch eine Decke und ein Kissen und in mein altes Zimmer schlief ich ein.
Der nächste Morgen begann mit Geräuschen von Besteck und Tellern. Langsam wachte ich auf und marschierte ins Bad. Schnell deckte ich meine Wange mit Make Up ab, da das Blau so heraus stach. Anscheinend war jeder schon unten am frühstücken.
"MashAllah, ich habe so eine süße Schwiegertochter", hörte ich meine Mutter schwärmen und sah, als ich der Küche näher trat, wie meine Mutter Abis Freundin Cansu umarmte und anschließend sie auf die Wange küsste.
"Surprise", schrie Mazlum Abi und jeder sah zu mir.
Die Gesichtszüge meiner Mutter entgleisten und mein Vater legte die Zeitung beiseite, um mich zu begrüßen.
"Kizim", lächelte er echt und nahm mich in die Arme. Er schien so schwach. Er hatte abgenommen, obwohl er garnicht dick war.
Es herrschte Distanz, nachdem ich in die Küche eingetreten war. Cansu begrüßte mich lieb und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Meine Mutter wechselte kein Wort mit mir und ich überlegte, wie ihre Reaktion ausschauen würde, wenn sie von meiner Schwangerschaft erfahren würde.
"Wie gehts dir? Ich hab dich garnicht bemerkt."
"Wir waren gestern spät unterwegs und dann hab ich ihr gesagt, sie soll einfach hier schlafen. Sie war ja lange nicht mehr hier und so", sagte Mazlum Abi.
"Wir wollten heute eigentlich bei euch heute vorbei kommen, aber dann eben so", lachte mein Vater herzig.
"Ich muss euch sowieso etwas erzählen", sagte ich.
"Kizim, iss erstmal etwas", sprach mein Vater und zeigte auf die frischgemachten Brötchen.
Nickend schmierte ich mir Butter und Erdbeermarmelade auf die Hälfte des Brötchens und kaute daran. Ich hatte so Hunger. Ich hatte es bereut, ihnen gesagt zu haben, dass ich ihnen etwas erzählen wollte, denn sie waren so neugierig, dass sie dauerhaft fragten. Ich würde ihnen von meiner Schwangerschaft erzählen.
Nachdem ich zwei Brötchen gegessen hatte und zwei Gläser Nektar getrunken hatte, atmete ich tief durch. Jeder war schon fertig und ich hatte etwas länger gebraucht.
"Sag jetzt", sprach Cansu aufgeregt.
Ein Gefühl in mir sagte, dass sie schon ahnen konnten, was ich ihnen zu beichten soll.
"Mir ging es ja schlecht. Wir alle dachten, ich hätte Magendarm, aber."
"Aber?", fragte mein Vater und zog eine Augenbraue in die Höhe.
"Wir waren beim Arzt und er wusste selbst nicht genau, was die Ursache für mein Erbrechen ist. Er ging davon aus, dass ich schwanger bin."
"Bist du das?", fragte Mazlum Abi mit offenen Augen.
"Ja, in der zehnten Woche."
Stille herrschte in der Küche. Mein Blick huschte zu meiner Mutter, ich konnte ihre Gefühle nicht zuordnen. Mein Vater sah zum Tisch, Cansu grinste und Mazlum Abi sah ebenfalls neutral zu mir.
Plötzlich stand er auf und umarmte mich.
"Ich werde der einzigste Onkel deines Babys!", schrie er und drehte mich.
Grinsend küsste ich seine Wange und erwiderte seine Umarmung.
"Herzlichen Glückwunsch", quiekte Cansu und umarmte mich ebenfalls.
Mein Vater lächelte und küsste meine Stirn.
"Das kam so schnell. Wir hatten eigentlich erwartet, dass ihr ein Jahr abwarten würdet", lachte mein Vater und ich wurde leicht rot.
"Der wievielte Monat ist es?", fragte mein Bruder. Wieso konnte es niemand nicht ausrechnen?
"Im dritten", sagte Cansu.
Ich sah, wie mein Vater meiner Mutter heimlich ein Zeichen machte, doch sah schnell weg und blickte lächelnd zu Cansu.
"Du musst dich jetzt richtig ausruhen Melek (Engel). Anstrengung ist nicht gut", sagte Abi und Cansu tätschelte meinen Arm.
Ich hatte von ihm nicht diese Reaktion erwartet. Immerhin kam er mit Erdem nicht zurecht, doch anscheinend hatte er es akzeptiert, dass ich nicht nur ihm gehörte. Anscheinend wurde ihm klar, dass auch ich eine Familie gründen würde und das machte mich froh, denn seine Reaktion war mir am wichtigsten.
"Und Stress vermeiden."
"Kein Alkohol."
"Kein Rauchen."
"Weil ich sowas auch mache", verdrehte ich lachend meine Augen.
Ich stand auf und nahm mir die Wasserflasche zur Hand.
"Wir sind schon dumm, dass uns ihr Bauch nicht aufgefallen ist."
Kurz sah ich hinunter zu meinem Bauch. Wie eine Kugel, die noch zu stabilisieren ist.
"Lasst uns heute den Tag gemeinsam verbringen."
Erdem half meinen Vater aufzustehen.
"Bist du krank Baba?", fragte ich ahnungslos.
"Aber nein. Ich habe nur Rückenschmerzen", lächelte er.
Er hatte echt abgenommen. Die Sorge breitete sich rasch in mir aus.
"Geht ruhig. Ich bereite das Essen vor."
Ich wusste, dass meinem Vater es nicht gefiel, dass meine Mutter soviel Abstand von mir hielt, doch ich sagte nichts und folgte Cansu.
Sie machte sich kurz frisch.
"Er wirkt so übermüdet, findest du nicht?", fragte ich Cansu, die ihr Kopftuch richtete.
"Es kommt dir bestimmt nur so vor, weil du ihn seit langem nicht gesehen hast. Bestimmt hat er die Nacht nicht schlafen können", tätschelte sie meinen Arm und wir gingen nach draußen.
Wir verbrachten den Tag in einem Park, wo ein riesen Klettergerüst war und Mazlum Abi und ich die einzigen Erwachsenen waren, die um die Wette kletterten, wer als erstes ankommt. Danach schaukelten wir zu dritt und mein Vater legte sich in die Sonne auf der Picknickdecke.
"Baba guck mal", schrie ich und machte eine Drehung mit der Schaukel.
Stolz lobte er mich lachend und danach spazierten wir um den See herum, bis die Sonne unterging. Mit Abi fuhr ich zur Notfall zum Frauenarzt und nach der Untersuchung sahen wir meinen Vater mit Cansu. Auf dem Rückweg kauften wir uns ein Eis. Abi und Cansu würden noch ein wenig spazieren, also fuhren Baba und ich zu zweit.
"Gehst du auch regelmäßig zum Frauenarzt?", fragte er leicht besorgt und ich nickte sofort.
"Ich kann es mir garnicht vorstellen, dass ich bald Opa werde", sprach er ein wenig traurig, weil er sich noch jung fühlte.
"Ich kann es mir garnicht vorstellen, dass ich Mutter werde", lachte ich und sah zu ihm. Er war ein so herziger Mensch, wie konnten wir uns in der Zeit der Psychiatrie nur so "hassen"?
"Wie hat Erdem reagiert?"
"Er war zu glücklich."
"Das freut mich."
Plötzlich hustete er und parkte am Rand.
"Baba?", fragte ich besorgt und nahm schnell die Wasserflasche, da er anfing so stark zu husten. Fest klopfte ich ihm auf dem Rücken.
"Atme ruhig", sprach ich voller Panik, als er hektisch atmete und mir Tränen in den Augen stauten.
"Baba!", schrie ich, als seine Gesichtszüge mir das Gefühl gaben, dass er kurz davor war, sein Bewusstsein zu verlieren.
Völlig orientierungslos sah ich mich um und sah einen Mann, der mich verzweifelt weinen sah. Er lief auf mich zu.
"Alles okay?", fragte er.
Zittrig zeigte ich auf meinen Vater, der noch am husten war und auf mich nicht mehr reagierte. Ich war im Schockzustand, sodass ich stocksteif da stand und sah, wie der Mann meinem Vater half und dabei den Rettungswagen alarmierte.
Es verging eine Minute, in der ich mich sammelte und meinen Vater schreiend und winmernd anflehte, dass er bloß nicht die Augen schließen soll, doch seine Atemwege waren wie zugeschnürt, als würde kein Sauerstoff mehr durchkommen. Kurz nachdem er seinen Bewusstsein verlor, kam der Rettungswagen und als ich die Sauerstoffmaske sah, die ihm angebunden wurde, krachte ich zu Boden und fing an zu weinen. Ich hasste diese Masken seit meiner Kindheit. Von Filmen kannnte ich sie, diese Maske hatte für mich eine negative Bedeutung, als wäre der Person, meinem Vater, etwas schlimmes passiert.
Der Mann sah, dass es mir nicht gut ging und tätschelte meinen Rücken, doch ich zeigte keinerlei Reaktion.
"Ich will zu meinem Vater", hauchte ich weinend, da sie ihn im Wagen mitgenommen hatten und ihn untersuchten.
"Er wird nur grad untersucht, ihm geht es gut. Er hat nur keine Luft bekommen."
"Geht es Ihnen gut?", fragte er besorgt.
"Sind Sie schwanger?"
Ich nickte.
"Duze mich ruhig", sagte ich unter Tränen.
"An deiner Stelle würde ich nicht so viel weinen. Hinterher bekommt es das Baby ab."
Er gab mir die Hand und ich stand dadurch auf und richtete meine Kleidung.
"Wieso brauchen die so lange?", fragte ich ihn und sah hoch zu ihm.
"Weil sie jede Kleinigkeit an ihm heilen."
Wenig später kam einer der Rettungsmänner und wir beide fuhren mit. Er vorne und ich hinten bei meinem Vater, der seine Augen geschlossen hatte und so aussah, als würde er schlafen. Davor hatte ich das Auto abgeschlossen und der Mann hatte es richtig an die Seite geparkt. Ich nahm seine Hand und hielt diese ganz fest.
"Dir geht es gut Baba. Du hast nichts", flüsterte ich und küsste weinend seine Stirn.
"Du hast dich sicherlich nur an etwas verschluckt", sprach ich zu ihm.
Er hat nichts. Ich hoffte es zumindest. Er ist kerngesund. Dass er abgenommen hat, hat gar nichts damit zu tun. Er hat nichts.
Angekommen schoben sie ihn ins Krankenhaus. Der Mann und ich meldeten ihn an der Rezeption an und ich rief Mazlum Abi an. Wir warteten auf eines der Stühle, die in der Nähe des Haupteingangs standen.
Nach zehn Minuten kam die Krankenschwester zu uns.
"Ihrem Vater geht es gut. Er hatte nur Atemnot. Seine Lunge ist entzündet. Zur Sicherheit haben wir nachgeschaut, ob er Lungenkrebs hat, aber es ist nichts."
Erleichtert atmete ich aus.
"Darf ich zu ihm?", fragte ich leise.
"Er ist noch nicht ins Zimmer mobilisiert worden. Warten Sie ein wenig, ich hole Sie dann."
Ich nickte.
"Wie heißt du?", fragte er.
"Özlem du?"
"Said."
Ich nickte nur.
"Danke, dass du mir hilfst. Das macht nicht jeder", lächelte ich.
"Statt ihm zu helfen, bist du hin und her gegangen und warst am weinen. Dann hab ich mir gedacht, ich helfe deinem Vater, weil du zu nichts mehr in der Lage warst", lachte er und ich stieg mit ein.
"Ich war zu sehr unter Schock. In solchen Situationen kann ich nicht handeln."
Von Weitem sah ich Mazlum Abi, der angerannt zu mir kam und ich in seine Arme sprang. Auch meine Mutter war dabei.
"Abi", flüsterte ich wieder unter Tränen.
"Was ist passiert?", fragte er baff.
"Baba hat keine Luft mehr bekommen."
"Jetzt geht es ihm aber gut oder?"
Ich erzählte ihm, was mir die Krankenschwester gesagt hatte und er setzte sich zu uns. Er bedankte sich bei Said öfters und da er weg musste, ließen wir ihn gehen. Sie tauschten noch Nummern aus und dann waren Abi, meine Mutter und ich zu zweit. Bevor wir reingingen, hielt mich plötzlich meine Mutter auf.
"Geh schonmal vor Mazlum", sagte sie und er gehorchte ihr.
"Özlem", strich sie über meine Haare und analysierte mein Gesicht.
"Es war ein Fehler, das Schlechte in dir gesehen zu haben."
Unerwartet spürte ich ihre Arme um mich und war wie vom Blitz getroffen. Sie umarmte mich! Sie hatte ihren Fehler eingesehen und siehe an, sie umarmt mich.
Am nächsten Tag rief mich Erdem wie gestern die ganze Zeit an. Ich ging nach Hause und sah ihn auf der Couch sitzen.
Er stand auf und takelte mir hinterher.
"Özi", hielt er meine Schultern fest und drehte mich zu sich.
"Was?", sagte ich gereizt und sah nach unten, weil er mir zu nah stand.
"Ich wollte dich nicht anschreien, es ist mir rausgerutscht, ich schwöre", flüsterte er und seine Stimme klang voller Verzweiflung.
"Ich war ein Bastard, das ich dich verletzt habe, obwohl du mir helfen wolltest. Es hat nicht nur dir, sondern unserem Kind geschadet."
"Bitte verzeih mir Nefesim. Schlag mich ruhig, beleidige mich, aber bitte, bitte ignorier mich nicht."
Mir kam es so vor, als würde er beinahe weinen, so verzweifelt und traurig klang er. Niemals war die Erwartung so hoch, ihn so schlimm verletzt zu haben. Wie aus einem Reflex ging ich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn fest. Ein hauchenden Kuss hinterließ ich an seinem Hals und schloss meine Augen, als er mich fest an sich drückte.
"Ich hab heute mit Aylin geredet. Ich verspreche dir, dass ich es versuchen werde, mich mit ihr zu verstehen, auch wenn sie einen Fehler gemacht hat."
"Kaan wird dir nicht mehr in die Quere kommen, nie wieder mehr. Du wirst ihn niemals zu Gesicht bekommen."
Ich nickte in seiner Schulter und strich über seine Haare. Ich hatte ihn innerhalb so kurzer Zeit vermisst. Er strich über meine bläuliche Wange.
"Bastard, wie konnte er sich nur trauen?", sagte er leicht wütend.
Er drehte mich um und legte beide Hände auf meinem leichtgerundeten Babybauch.
"Ich liebe euch beide", flüsterte er und hauchte einen Kuss auf meiner Wange hin, die Gänsehaut bei mir verursachte.
"Wir dich auch", lächelte ich und konnte es kaum erwarten, den kleinen Engel in meinen Armen zu tragen.
Unsere Geschichte, unser Schicksal, ich hatte es Aylin zu verdanken. Die Zeiten in der Psychiatrie hatten mir den letzten Nerv genommen, ich war nur noch auf den Tod vorbereitet und jetzt? Sieh an, ich werde bald eine überglückliche Mutter. Manchmal muss man sich in einer schweren Lage, einer schweren Phase, zusammenreißen und sich ein Ziel aufstellen, sich zielorientiert ermutigen und dieses Ziel in die Tat umsetzen. Auch wenn man traurig ist, man den Sinn des Lebens nicht versteht, man ist niemals allein. Sei es deine Mutter, dein Vater, dein Bruder, deine Schwester oder aber auch deine große Liebe. Die große Liebe, dessen Liebe man überhaupt nicht beschreiben soll. Die große Liebe, meine große Liebe Erdem. Dem Mann, dem ich alles zu verdanken hatte, sein Trost, sein Dasein und seine Liebe. Ich liebte mein Leben, durch seine Anwesenheit. Vergesst nie: Habt ein Ziel und setzt dieses in die Tat um.
DU LIEST GERADE
Özlem
RomanceÖzlem, ein depressives und auf sich allein gestelltes Mädchen. Ihr Schicksal hat sich in einer Psychiatrie verheddert.Sie hat niemanden, bis auf ihrer besten Freundin. Was passiert, wenn die beste Freundin eines Tages ihren Bruder mit zu dem Besuch...