Kapitel 57

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Meine Speiseröhre brannte wie Feuer und fühlte sich kratzig an. Wieder einmal brach ich und entleerte meinen Magen. Nachdem ich öfters gewürgt hatte und nurnoch Speichel aus meinem Mund kam, spuckte ich in die Toilette und spülte meinen Mund aus. Erdem sah nur besorgt zu mir und half mir zu Bett.
Mein Kreislauf war der Alte. Mir war durchgängig schwindelig.
"Ich kann nicht mehr Erdem", sagte ich erschöpft und schloss meine Augen.
"Özi du solltest zum Arzt. Nicht, dass du eine Magendarmgrippe bekommst oder so."
"Ich hab doch gar keine Grippe."
"Aber du kotzt seit Tagen. Das reicht schon aus zu sagen, dass du irgendwas mit dem Magen hast."
"Ich hab keinen Nerv zum Arzt zu gehen."
"Warte du hier."
Er nahm meine Alltagskleidung heraus und half mir beim Umziehen meiner Kleidung. Danach zog er mir meine Schuhe an und anschließend einen Wintermantel.
"Ich hab kein Fieber", erinnerte ich ihn.
"Du sollst nicht krank werden, also lass den Mantel an."
Nachdem er die Autoschlüssel nahm, hob er mich Huckepack und brachte mich ins Auto. Müde legte ich meinem Kopf auf seinen Rücken.
Eingestiegen fuhr er los. Ich fühlte mich so schwach, aber wieso?
"Ach und deine Eltern haben angerufen", sah ich auf dem Display meines Handys.
"Ruf sie mal an."
Ich wählte die Nummer heraus und rief sie an.
"Özlem?"
"Ja?"
"Erdem geht seit gestern nicht an sein Handy dran. Geht es dir besser?"
"Ja, wir fahren gerade zum Arzt."
"Gut, sag uns dann Bescheid, wie es gelaufen ist."
"Mach ich", lächelte ich und verabschiedete mich von ihr.
"Warum gehst du nicht an dein Handy?"
"Akku leer, war zu faul das Akku zu laden", lachte er und konzentrierte sich auf die Straße.
Angekommen nahm er mich wieder Huckepack und setzte mich auf eines der Stühle im Wartezimmer ab. Er meldete mich an und ich sah mich um. Es war nur eine Person im Zimmer, also würde es nicht lange dauern. Erdem gesellte sich zu mich und tat so, als würde er Zeitungen lesen, dabei blätterte er nur herum und sah sich eher die Bilder an.
Nach einer Viertelstunde wurde mein Name aufgerufen. Zappelig ging ich ins Zimmer und erklärte dem Doktor mein sogenanntes Problem.
Er kontrollierte mich, doch fand nichts.
"Am besten ist es, wenn sie Urin abgeben würden."
Auf dem Klo pinkelte ich ins Becher und gab dieses ab. Magendarmgrippe hatte ich nicht, das stand fest.
"Ich vermute sie sind schwanger", sagte er plötzlich.
Abrupt schossen unsere Köpfe in die Höhe.
"Schwanger?", fragten wir beide.
"Wann hatten sie denn zuletzt ihre Periode?"
Kurz rechnete ich es im Kopf aus und stellte fest, dass ich sie seit drei Wochen nicht mehr hatte.
"Seit drei Wochen nicht", sagte ich leise.
Erdem schwieg. Er war plötzlich so ruhig.
"Haben sie noch in Erinnerung, ob sie Geschlechtsverkehr mit oder ohne Verhütung hatten?"
"Ohne", sagte Erdem.
"Dann ist es schon offensichtlich, dass sie schwanger sind", lachte der Dok.
Unsicher lächelte ich. Sprachlos war ich. Er gab mir den Tipp, einen Frauenarzt aufzusuchen und in zwei Tagen würde er mir die Ergebnisse per Telefon sagen. Die Tabletten würde ich trotzdem nehmen, da mir immernoch kotzübel war.
Nachdem wir draußen waren, packte mich Erdem hoch, schrie und drehte mich.
"Ich hab die beste Frau!", schrie er und küsste meine Wange so fest er konnte.
"Erdem", lachte ich geschockt und umarmte ihn.
"Du bist schwanger man. Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen!", sagte er überglücklich.
Die Leute sahen uns schräg an, doch lachten ebenfalls.
"Meine Frau ist schwanger", schrie er glücklich und drehte mich wieder im Kreis.
Er fasste es garnicht, genau so wie ich. Es war ein komisches Gefühl. Um ehrlich zu sein konnte ich es garnicht vernünftig realisieren.
Er nahm mein Handy und schrieb seinen Freunden.
"Warte, Erdem was ist wenn es garnicht stimmt, dass ich schwanger bin?"
"Dann machen wir jetzt einen Test. Ich hol den schnell aus der Apotheke."
"Viel Glück", sagte die Apothekerin zu uns.
Bedankend setzten wir uns in den Wagen und fuhren zuerst zu uns. Er hatte zwei Tests gekauft, um auf Nummer sicher zu gehen.
"Du bist hundertpro schwanger. Der Arzt hat Recht. Du hast deine Tage nicht bekommen und wir haben auch nicht verhütet. Es ist eigentlich logisch."
Ich schwieg nur, denn mir wurde wieder übel.
"Halt schnell an", sprach ich gequält.
Abrupt brach ich den Mageninhalt heraus.
"Als ob das normal ist", sprach ich unter Tränen, ich hasste dieses Gefühl, denn mein Magen zog sich dauernd nur zusammen.
"Das wird schon. Lass uns gleich die Tabletten nehmen, dann wird das wirklich."
Nickend stieg ich wieder mit seiner Hilfe ein und ging schonmal vor, als wir ankamen, denn jeden Moment könnte ich wieder kotzen.
"Hier, ich warte vor der Tür. Mach schnell", grinste er und drückte mir die Tests in die Hand. Auf den ersten Streifen pinkelte ich und sah auf dem kleinen Display. Da es ein wenig dauerte, machte ich dies auf dem zweiten Test und hielt beide zitternd in meiner Hand.
Erdem kam mittlerweile dazu und nahm meine beiden Händen.
"Boah ich sterbe gleich", sagte er vor lauter Neugier und Aufregung.
Genau wie ich. Wir beide waren so überspannt.
Zwei Striche. Er wünschte sich zwei verdammte Striche.
"Zwei Striche!", schrien wir beide und ich sprang ihn sofort um den Hals.
Der zweite dauerte noch etwas, doch es stand nun offiziell fest, dass ich schwanger war. Mehr Beweise brauchte man nicht mehr.
"Ich werde Vater!", schrie er und küsste meinen Mundwinkel um die zehn Mal.
"Ich stell mir jetzt schon vor. Eine kleine Familie", quiekte ich überglücklich.
"Es ist besser, wenn wir erst auf dem Anruf vom Arzt warten. Sicher ist sicher."
"Und erfahren, in welcher Woche du schwanger bist. Wusstest du, man sollte Leuten erst nach der 12. Woche erzählen, dass man schwanger ist, weil davor alles passieren kann."
Ich nickte. Er hatte Recht.
"Aber du wirst dich nicht anstrengen. Ausnahmsweise werde ich alle deine Aufgaben erledigen, weil Anstrengung nicht gut tut."
"Das schaff ich schon", lachte ich.
"Willst du was essen?", fragte er mich.
"Ich hab Lust auf Suppe", antwortete ich und legte mich ins Bett.
"Ich sag Tarik, das er dir eine holen soll."
Ich nickte und bat ihn, sich zu mir zulegen. War klar, dass er seine Hand auf meinem Bauch platzieren würde.
"Es wird bestimmt ein Mädchen. Wenn es ein Mädchen wird, werde ich ihr Bodyguard sein. Wir werden immer Partnerlook haben und sie wird richtig lange Haare haben. Ich werde der beste Vater."
"Und wenn es ein Junge wird?", fragte ich ihn lächelnd und stand auf.
"Dann werden wir beste Freunde. Er wird nach der Geburt sofort einen Undercut haben. Er wird Style wie sein Vater haben. Aber nicht nur ein Styler wird er, er wird sein Abi machen und dann kaufe ich ihm den neusten Benzer in Matt", sagte er und folgte mir zum Wohnzimmer. Ich legte mich zwischen seinen Beinen, sodass mein Kopf auf seinem Oberkörper lag und ich den Fernseher einschaltete.
Erdem nahm sich ein Kaugummi und machte laute Blasen damit.
"Was hälst du davon, wenn wir mal deine Eltern besuchen würden?"
"Wenn ich die Zeit dazu finde", seufzte er.
"Und Aylin nicht im Haus ist", ergänzte er dazu.
"Egal ob sie anwesend ist oder nicht. Wir gehen sie besuchen."
"Werden wir denen dann von der Schwangerschaft erzählen?"
"Ich überlegs mir. Schließlich sind das unsere Eltern", sagte ich und drehte mich zu ihm.
"Mir ist wieder so übel", schluckte ich.
Langsam strich er meinen Arm hoch und runter.
"Du tust mir Leid", flüsterte er.
"Ich wünschte ich könnte das heilen. Nach dem Essen nimmst du deine Tabletten und dann denke ich musst du nicht mehr kotzen."
Genau dann klingelte es. Erdem öffnete die Tür und Tarik kam mit zwei Tüten herein.
"Selam meine lieben Schwestern und Brüder", grinste er und setzte sich gegenüber von uns.
"Ich hab chinesische Nudel dabei. Habe extra drei Soßen genommen."
"Chinesische Nudeln?"
Stirnrunzelnd sah ich zu ihm.
"Lan ich hab dir Suppe gesagt", sprach Erdem unschuldig.
"Du hast chinesische Nudel gesagt. Willst du mich natzen?", sprach nun Tarik.
"Egal ich ess dann einfach die Nudel", beendete ich die Diskussion und griff nach der Tüte, da ich verdammten Hunger hatte.
Ich mischte die Süssauersoße mit der Chillisoße und es schmeckte fabelhaft.
Es war aber auch verständlich, dass ich so enormen Hunger hatte, denn ich hatte mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Fertig gegessen tranken wir kalte Sprite und lehnten uns nach hinten.
"Das war Baba", sagte Erdem und legte einen Arm um mich.
"Jaman", sagte Tarik.
"Ich bin so voll", sagte ich.
Tarik blieb noch eine Weile und ging dann auch. Es war schon dunkel und ich machte mich gerade fertig, bis ich wieder fühlte, wie das Essen meine Speiseröhre hochgelang. Sofort rannte ich ins Bad und ließ das Gegessene raus. Ein schreckliches Gefühl.
Erdem hielt mich von hinten fest, während ich alles aus mir hinaus brach. Tränen stiegen in meinen Augen.
"Ich kann nicht mehr", flüsterte ich weinend und bekam einen schmerzhaften Kloß im Hals.
Erdem zog mich hoch und half mir, doch ich schaffte es nicht, meinen Kreislauf zu stabilisieren.
Im Bett deckte er mich zu und hielt mir die Tabletten vor die Nase.
"Ich will nichts mehr schlucken", sprach ich ängstlich, denn meine Speiseröhre war sensibler denn je.
"Komm schon. Nur eine Tablette mit etwas Wasser. Das wird dir was bringen."
Ich gehorchte ihm, doch bereute es, denn erneut fing das Spiel von vorne an.
"Das ist doch nicht normal", sprach ich zum zweitem Mal heute und spülte meinen Mund aus. Ich traute mich nicht einmal die Zähne zu putzen.
"Ich leg mich schlafen", sagte ich gereizt und legte mich zum zweiten Mal ins Bett. Er legte sich ebenfalls zu mir, doch gab mir noch eine Schale, falls mir wieder schlecht wird.
[...]
"Sie sind in der sechsten Woche schwanger. Herzlichen Glückwunsch."
Grinsend drückte Erdem meine Hand. Er wollte wieder rumschreien und der Welt sagen, dass er Vater wird. Kurz lachte ich und hörte dem Frauenarzt zu, da er mir haufenweise Tipps gab. Wir machten vorne noch einen Termin aus und das wars dann auch schon.
Draußen umarmte er mich und bedankte sich, wieso auch immer. Ich mein, er hatte das Kind halbwegs mitproduziert. Naja was solls.
Wir beschlossen uns Essen von draußen zu kaufen, da ich nicht mehr sonderlich Appetit auf die Lasagne hatte, die ich zuhause fertig gemacht hatte. Danach kauften wir Erdem ein Hemd, da morgen die Hochzeit von seinem Freund Azad ist.
Zuhause angekommen spielten wir Fifa und ich musste mitspielen, da er einen Partner bräuchte. War klar, dass ich verlieren würde.
[...]
Gerade eben wurde das Essen verteilt und ich hatte enormen Heißhunger.
Nachdem ich meine Portion aufgegessen hatte, sah ich zu Erdem, der erst mich, dann sein Essen anblickte.
"Willst du das?", fragte er leicht lächelnd.
Kurz nickte ich.
"Ja ich habe Hunger", sagte ich leise.
Er schob sein Teller zu mir und wieder haute ich rein. Nachdem wir ein wenig tanzten und Azad beglückwünschten, gingen wir, da mir wieder so übel war. Morgens war es schlimmer und häufiger, doch ich wollte nicht den Saal vollkotzen.
Wir fuhren direkt nach Hause, weil ich müde war und total erschöpft. Erdem legte mir wie jeden Abend eine Schale dabei, falls ich doch noch brechen müsste.
"Ich bin unten, gehe Fernsehen."
Ich sagte nichts mehr, sondern schloss meine Augen.
[...]
"Ihrem Kind geht es super. Es ist im Moment kerngesund, nur achten sie darauf, dass sie genügend Nahrung zu sich nehmen."
"Welche Woche war es nochmal?"
"Die Zehnte."
Ich nickte und Erdem säuberte meinen Bauch.
"Das heißt du bist."
Kurz dachte er nach.
"Im dritten Monat schwanger."
"Ja."
"Ist ja noch alles voll frisch", grinste er und half mir aufzustehen. Wir verabschiedeten uns, machten einen Termin und verließen die Praxis.
"Ich versteh ihr Problem nicht. Mein Baby ist gerade mal eine kleine Zelle. Und dann sagt sie mir, ich soll mehr essen. Was erwartet sie, wenn ich jeden Tag alles danach rauskotze?"
"Sind das jetzt Schwangerschaftshormone?"
"Nein Erdem. Das ist nur so gemeint."
"Irgendwie muss diese Zelle ja wachsen", lachte er.
Im Auto legte er seine Hand auf meinem Bauch und strich darüber. Mein Bauch hatte noch keinen Kilo zu sich genommen.
"Ich bin mir so sicher, dass es ein Mädchen wird."
"Wie denn das?", fragte ich schmunzelnd.
"Keine Ahnung. So ein Gefühl sagt es mir. Man sagt, dass man es auch an der Form des Bauches merkt, aber das kommt erst später."
Er sprach wie ein Kind. Noch nie hatte ich ihn so strahlen sehen. Die ganze Zeit lächelte er. Seitdem Tag, andem er erfuhr, dass sich ein Lebenwesen in meinem Bauch bildet, ist er glücklich wie nie. Heute würden wir es Tarik erzählen, da Erdem es nicht mehr aushielt. Die anderen Jungs würden ebenfalls kommen.
Bei Tarik Zuhause versammelten sich alle. Selbst Azad war mit seiner neulich gewordenen Ehefrau anwesend.
"Wir möchten euch was sagen."
"Ist es eine gute oder schlechte Nachricht?", fragte Cemil.
"Eine richtig gute", sagte Erdem, doch versuchte ernst zu bleiben.
"Sag doch jetzt. Bin neugierig", sagte Yasin aufgeregt.
"Özlem ist schwanger!", schrie er durch den Raum.
Unerwartet fielen alle auf uns drauf und umarmten uns wie eine Art Gruppenkuschel.
"Wir werden Onkel!", schrie Harun und Serkan und sprang in die Luft.
"In welchem Monat Yenge?", fragte Cemil.
"Im dritten", grinste ich.
Und danach umarmten mich alle noch einmal einzelnd und beschlossen draußen ein wenig an die frische Luft zu spazieren, da ich und die Frau von Azad nicht in die Shishabar wollten. Außerdem war ihr Name Esma und um ehrlich zu sein fand ich sie total nett. Wir freundeten uns auch relativ schnell und problemlos an.
Wir redeten noch ein wenig über meine Schwangerschaft. Die Jungs wünschten sich ebenfalls ein Mädchen, denn sie würden sie vor allem schützen. Wäre es eine Tochter, dann würde die Arme 24 Stunden nur bewacht werden.
"Und wenn ein Bastard ihr nahe kommt, dann wird er von mir zu Hackfleisch", sprach Yasin ernst.
"Und wenn es ein Junge wird?", fragte ich in die Runde.
"Dann würden wir ihn auch schützen."
"Aber ich bevorzuge ein Mädchen. Die wird hundertpro Locken haben, weil in Erdems Familie alle Locken oder Wellen haben."
"Oh mein Gott, sie wird eine richtige Schönheit", sagte Harun begeistert.
"Stellt euch vor sie kriegt so große Augen und hat volle Lippen. Die würde jedes männliche Geschlecht vom Hocker hauen", lachte Serkan.
"Beruhigt euch. Sie wird meine Tochter", sprach Erdem angeberisch.
"Aber dafür wird sie unsere Enkelin."
"Neffin heisst das du Spast", sagte Harun zu Serkan.
"Garnicht es heisst glaube ich Nichte."
"Scheiß drauf jetzt", sagte Esma und beendete das Thema.
"Wollen wir so langsam nach Hause?", fragte Erdem und zündete sich eine Zigarette an.
Ich nickte. Wir verabschiedeten uns und ich lehnte mich an sein Auto, während er sich Zeit ließ und die Zigarette zu Ende rauchte.
Plötzlich donnerte es so stark, als wäre etwas im Himmel explodiert. Zuckend schmiss ich mich in seine Arme.
"Ich dachte schon die Welt geht unter", sprach ich unter Schock.
Er lachte nur und strich durch meine Haare.
Meine Blase meldete sich, doch bis dahin würde ich es irgendwie aushalten.
Plötzlich fing es an zu regnen, eher fühlte ich mich wie unter einer Dusche. Im lauwarmen Wetter prasselte das Wasser auf uns.
"Wo sind die Schlüssel?", fragte ich ihn und durchwühlte seine Taschen.
"Ich liebe es wenn es regnet. Lass mal bisschen draußen bleiben."
"Als ob?"
"Erdem jetzt mach keine Scherze. Ich bin pitschnass."
"Ich merks an deiner Bluse."
"Ich hab ein Top drunter", sprach ich zickig und sah nicht nach unten, da ich mir sicher war, dass nichts zusehen war.
Unerwartet legte er seine Arme um mich und kuschelte sich an meine Schulter. Mitten im Regen. Einfach so spontan.
"Bleib so jetzt", flüsterte er und drückte mich an sich.
"Erdem bitteee", flehte ich ihn an und versuchte mich von ihn weg zu drücken.
Im Auto stiegen wir endlich ein und fuhren zu unserem Hause. Seine Hand legte er auf meinem Bauch, als die Ampel rot war.
"Ich kann es kaum noch erwarten. Diese Monate werden so schnell vergehen."
"Ich hoffe es läuft alles gut", munterte ich mich selbst auf.
"Wird es", hauchte er und machte Kreise mit seinen Fingern.
Zuhause bekam ich leichte Bauchschmerzen. Ich konnte es nicht zuordnen, ob es Unterleibschmerzen oder Bauchschmerzen waren. Es war eher die Mischung zwischen Beidem, wie ein Stechen. Da ich keine Paracetamoltablette aufgrund meiner frühen Schwangerschaft nehmen wollte, ignorierte ich es einfach, duschte mich und ruhte mich im Wohnzimmer aus.
"Buh!"
"Erdem!", schrie ich und stand vom Sofa auf.
Mit nassen Haaren stand er vor mir, wie ein ungeduldiger Junge. Seine Blicke verrieten, was er wollte.
"Nicht jetzt", ich verstand, doch ich hatte keine Motivation.
"Ich wollte eigentlich nur mit dir chillen."
"Jaja", legte ich mich wieder zurück und er neben mir.
"Zeig mal, ob du schon Bauch hast."
"Ich hab nichts."
"Ich glaub es ist nur Fett."
Gereizt zog ich mein Oberteil herunter.
"War nur Spaß Nefesim", zog er wieder mein Oberteil hoch und legte seinen Kopf darauf.
"Wir waren schon lange nicht bei unseren Eltern."
"Scheiß auf die. Ich will sie nicht sehen, Aylin hat alles ruiniert."
"Erdem das ist deine Familie."
"Du bist meine Familie Özlem."
"Erdem red doch einmal wenigstens mit ihnen. Reden schadet doch nicht."
"Verdammt nein!", schrie er und stand auf.
"Ich kann das nicht. Sie haben hinter meinem Rücken Sachen in die Tat umgesetzt, ohne mich, ihren Sohn, zu fragen! Ich hasse sie dafür. Ich hasse sie!", sprach er entsetzt und ging hin und her.
Plötzlich wurde sein Atem schneller und er nahm nur kurze Atemzüge.
"Ich hasse sie", sagte er erneut. Er klang so verzweifelt. Mit einem Ruck setzte er sich und nahm sein Gesicht in seine Hände.
"Dieses Mädchen hat mich zerstört. Ich hab Nächte nicht geschlafen, weil dieser Gedanke mich verfolgt hat."
Gänsehaut breitete sich auf mir aus. Noch nie hatte ich ihn so verwirrt gesehen, so unschuldig.
"Erdem ich-
"Nein! Geh zu Aylin. Du hälst doch zu ihr!", schrie er so laut, dass es in der Wohnung schallte.
Innerlich wurde mir weich. Tränen stauten sich in meinen Augen.
"Uff Özlem ich- es tut mir Leid", wollte er zu mir kommen, doch ich verzog mich ins Zimmer. Er hatte so laut geschrien. Hatte ich denn etwas falsch gemacht? Ich wollte ihm doch nur helfen. Vielleicht hätte ich ihn nicht darauf ansprechen sollen oder ihn trösten? Ich war verwirrt. Er war sauer, doch weil ich so sensibel war, war mir klar, dass ich auf seinen Frustauslass weinen würde.
Im Bad wusch ich mir kurz übers Gesicht. Man was war bloß los mit mir? Im Bad bekam ich mitzuhören, wie die Haustür ins Schloss fiel. Er war gegangen. Um 21 Uhr. Natoll. Er würde bestimmt in die Shishabar gehen. Ich schrieb Tarik.
Hast du dich mit Erdem verabredet?
Sofort bekam ich eine Nachricht.
Ja Yenge. Wieso, brauchst du was? Ist was passiert?
Nein. Egal.
Naja wenigstens weiß ich Bescheid, das er mit Tarik ist. Nur nicht wo.
Um 23:56 Uhr bekam ich ein wenig Panik. Wo steckte er bloß? Er ist schon seit drei Stunden unterwegs. Ich wurde solangsam müde und wollte nichts wie ins Bett, doch ohne seine Anwesenheit würde ich niemals ruhen können, denn es war spät am Abend. Abends hatte ich besonders Heißhunger, also stopfte ich mir noch vier Nutellabrote in den Mund, bevor ich es versuchen würde, mich aufs Ohr zu legen.
Plötzlich klingelte es an die Tür. Endlich.
Ich öffnete diese, doch mein Atem stockte auf der Stelle. Empört sah ich mit leicht geöffnetem Mund zu ihm hoch. Kaan.
Es mangelte bei mir nicht an Reaktionsfähigkeit, weshalb ich die Tür sofort schließen wollte, doch er hielt die Tür auf, was mich in den Schock schickte und ich beinahe das Atmen vor Angst vergaß.
"Wohin mit dir?", fragte er lächelnd und trat in die Wohnung.
Sein plötzliches Auftreten verschlug mir die Sprache. In dem Moment suchte ich nurnoch Fluchtwege, wohin ich flüchten könnte. Meine Hände fingen an zu schwitzen. Nein, nein.
Sofort lief ich Richtung Balkontür, doch seine Arme schlang er um meinen Bauch. Schreiend versuchte ich seine Hände von meinem Bauch zu trennen, da ich Angst um mein Baby bekam, so klein es grad mal auch war.
Ich drehte mich zu ihm, als er vor mir stand und ich weder nach links noch nach rechts konnte, denn hinter mir war die Balkontür und er hatte seine Hände abgestützt.
Er presste mich rücksichtslos an die Balkontür, sodass ich nur hilfesuchend nach Luft schnappte und mir Tränen herunter kullerten.
"Lass mich in Ruhe", flüsterte ich hilflos.
Es befand sich niemand hier in der Wohnung und ich ging vom schlimmsten aus.
"Ganz sicher nicht. Weißt du, wo dein Mann steckt?", lachte er verbittert und wühlte in seiner Tasche herum.
"Hol dein Handy Özlem. Na los."
Kühl griff ich nach meinem Handy und sah, dass ich auf Whatsapp eine Nachricht von einer unbekannten Nummer hatte.
Unwillkürlich öffnete ich die Nachricht und sah ein Bild. Erdem stand da mit einem anderen Jungen auf der Fläche und beide schienen sich zu prügeln.
"Schonmal was von illegalen Kämpfen gehört?", grinste er über beide Ohren und ich? Ich war enttäuscht wie nie. Er hatte mein Vertrauen zerstört.

ÖzlemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt