Kapitel 40

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Als ich meinen Arm sah, schluchzte ich. Ich wurde gerettet, mir wurde erneut die Chance zu sterben weggenommen. Diesmal dachte ich wirklich, dass es ein Ende hat, dass ich es schaffen werde in den Himmel zu kommen. Das neue Jahr näherte sich uns immer mehr. In wenigen Stunden würden wir ins neue Jahr rutschen. Es wird das nächste Jahr, andem ich mich nicht ändern würde. Jahrelang kämpfte ich mit meiner Seele. Jahrelang wurden Psychologen eingeschaltet, Ärzte haben ihr bestes versucht. Jahrelang trug jeder die Hoffnung in sich, Özlem würde es schaffen, doch jahrelang habe ich ihnen alles vorgespielt. Ob ich Vorsätze für das neue Jahr habe? Nein. Zwar werde ich den Versuch erneut starten, es diesmal zu schaffen, doch wenn mir die Motivation fehlt, mir das Selbstbewusstsein fehlt, mir die Liebe fehlt, wie soll ich es schaffen? Wenn mein halbes Herz, meine Familie, mich verlassen hat, wie soll ich es schaffen? Erdem hatte keinerlei Ahnung, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Ich hatte ihm regelrecht verboten, nicht hier hin zu kommen. An Silvester, dass heißt heute, wird er sowieso nicht erscheinen, da er auf eine Party ist. Der Countdown lief. In zwei Stunden wäre es soweit. Man sagt, an Weihnachten und Silvester bringen sich die meisten Menschen um. Ich verstand nie warum, doch ich spürte den Schmerz der Menschen jetzt in mir. Sie waren einsam, allein am feiern. Dies hatte all diese lieben Menschen zur Trauer geführt, danach zu Selbstmord. Mir ging es nicht besser. Ich war enttäuscht von mir selbst, wieso konnte ich nicht kämpfen? Wieso war ich so verdammt schwach, dass ich nicht einmal meine Stimme gegenüber Menschen erheben kann? Ich wollte nicht einmal hier raus, doch wie sollte es weitergehen? Hier in diesem Heim würde ich sterben? So sehr ich mich nach der Außenwelt sehnte, so sehr wollte ich kämpfen, doch woher die Kraft? Ich hatte Angst den nächsten, den höheren Schritt zu wagen. Ich war wie auf einer Treppe. Ich wollte nicht den nächsten Schritt der Treppe wagen, um nach oben zu kommen. Oben, wo mein Ziel, meine Entlassung war, wobei mir nur drei Schritte fehlten, um am mein Ziel zu gelangen.
Eine weitere Stunde verging, Menschen fingen jedoch schonmal an, um sich warm zu machen. Vom Fenster aus hatte ich den perfekten Anblick auf die Stadt und deshalb konnte ich wenigstens das Neujahr mitbekommen.
Meine Familie hatte mich gestern angerufen, mein Vater hatte gesprochen. Sie wollen nichts mehr mit mir zu tun haben. Es war der Punkt in meinem Leben, andem ich nicht wusste, was mit mir im Moment geschah. Ich hatte nicht geweint, nicht für solche Menschen. Es war vorbei zwischen uns, diesmal würde ich diese Familie nicht einmal mit meinem Rücken angucken. Sie waren, sie sind und sie werden für mich gestorben bleiben. Auch von diesem Thema hatte ich Erdem nichts gesagt, wozu auch? Innerlich hatte ich dieses mulmiges Gefühl immer bei mir. Ich ahnte, dass es auf mich zukommen würde.
Mittlerweile war die Zeit so schnell vergangen, dass es nur noch zwei Minuten waren, andem wir ins neue Jahr rutschen würden. 2016.
Schnell erhob ich mich vom Stuhl und setzte mich auf die Fensterbank. Das Fenster hatte ich auf Kippe geöffnet, komplett öffnen konnte ich ja nicht, es waren Gitter davor.
Leise zählte ich das Kommande bis zur 0 und nahm das wunderschöne Bild des Feuerwerks in Betracht.
"Frohes Neues Jahr Özlem", flüsterte ich zerbrechlich aus mir und wusch mir sofort die dünne Träne weg. Es war ein atemberaubend schönes Feuerwerk. Ich versuchte in diesem Moment einfach den Schmerz zu unterdrücken, ich war allein.
Nach ganzen 15 Minuten hörten die Raketen auf und somit war das neue Jahr gefeiert worden. Schnell nahm ich mein Handy zu Hand und sah, dass mich Aylin anrief.
"Frohes Neues Jahr!", schrie sie fröhlich.
"Frohes Neues", lachte ich und danach legten wir auch nach einem kurzen Gespräch auf, da sie bei Serhat war.
Plötzlich platzte jemand ins Zimmer. Ehe ich hinsah, konnte ich schon ahnen, dass es meine Psychologin ist, was sich bestätigte.
"Frohes neues Jahr", lächelte sie und nahm mich in den Arm. Ich erwiederte dies nur.
"Kommst du mit nach unten? Wir essen alle zusammen."
"Um diese Uhrzeit?"
"Ja", lachte sie.
"Komm, dann lernst du auch mal andere Menschen kennen", ergänzte sie und nahm mich mit. Wir waren in der Mensa, jedoch hatte man die Tische weggestellt. Ich sah die Frau, die über mich mit ihrem Mann geredet hatte. Mit gesenktem Haupt folgte ich meiner Psychologin und wir setzten uns hin. Es lagen verschiedene Süßigkeiten, Kekse und Tee auf dem Tisch. Ich verneinte darauf etwas zu essen und unterhielt mich mit meiner Psychologin. Ich lernte ein neues Mädchen in meinem Alter kennen, Caitlyn hieß sie. Sie war wegen einer Entgiftung hier.
Nachdem es endlich zu Ende war, vergrub ich mich in meinem Zimmer und blickte aus dem Fenster.
[...]
"Frohes Neues", lächelte Erdem.
"Dankeschön, gleichfalls", lächelte ich.
"Wollen wir los?"
Ich nickte und zog mir meine Jacke an. Zusammen setzten wir uns in den Wagen und fuhren zu seiner Wohnung. Er meinte, dass er sie fertig eingerichtet hätte. Wir würden diesen Tag bei ihm zu Hause verbringen, da ich in dieser Kälte nichts weiteres wollte. Heute war sowieso so gut wie jeder Laden geschlossen.
Bei ihm zu Hause angekommen legte ich mich erschöpft auf dem Sofa, so wie er mir auch.
"Was hast du gestern gemacht?", fragte ich ihn und band meine Haare zu einem hohen Zopf.
"Ich war feiern."
"Wie wars?", fragte ich lächelnd.
"Gut gut. Was hast du diesmal gemacht?"
"Allein verbracht."
"Geschmack fürs Einrichten einer Wohnung hast du", lenkte ich schnell vom Thema.
"Aylin hat mir etwas geholfen, aber irgendwie hab ich es hinbekommen."
Plötzlich zog er mich zu sich und strich durch meine Haare, was mich etwas beruhigte und ich meine Augen schloss.
"Hat deine Psychologin mit dir gesprochen?"
"Ja, wir haben ein Termin vereinabart, andem sie meine Papiere, Zeugnisse und was auch immer kontrolliert. Immerhin brauch ich ja irgendwie eine Zukunft, vorallem ein Dach überm Kopf."
"Wohnen tust du bei mir. Arbeiten kannst du bei uns in der Firma, obwohl du es garnicht nötig haben wirst."
"Mal schauen."
"Hat sie dir schon gesagt, wann es endlich weit ist, dass du raus darfst?"
"Wenn alles fertig ist, wenn ich mit den Kontrollen fertig bin und man sich sicher ist, dass ich es schaffen werde. Ich denke in diesem Monat komm ich hier raus", grinste ich, nachdem ich meinen Kopf erhob. Mit beiden Händen kniff er mir in die Wangen und schmunzelte.
Oh ich ihm erzählen sollte, was vor dem Neujahr passiert ist? Er würde es hinterher doch sowieso herauskriegen, doch ich wollte ihn nicht enttäuschen, nicht jetzt, wo gerade alles Berg auf geht.
"Erdem?", fragte ich leise und setzte mich aufrecht hin.
Ich beschloss es ihm zu sagen. Er sollte es wissen.
Er sah mich verwundert an und setzte sich genau so aufrecht hin.
"Versprich mir, dass du nicht sauer sein wirst", piepste ich nervös und spielte mit meinen Fingern.
"Versprochen", sagte er ernst.
Wahrscheinlich ahnte er schon, was ich ihm beichten wollte.
"Vor Neujahr hab ich, naja ich wollte es eigentlich garnicht, aber ich hatte einfach das Bedürfnis. Ich hab mich wie früher gefühlt und-
"Sag schon", sprach er sanft und fasste mich an die Schulter.
"Ich hab mich geschnitten", hauchte ich und sah zu Boden.
"Zeig."
"Nein, ich wollte es dir einfach nur sagen, damit du nicht wieder enttäuscht von mir bist."
"Zeig", sprach er erneut und zog seine Augenbrauen zusammen.
Ängstlich zog ich meinen Ärmel hoch, worauf er meinen zittrigen Arm in seine Hand nahm.
Dadurch, dass es so ruhig war, fing ich an zu schluchzen und hielt meinen Arm vor mein Gesicht. Blitzschnell spürte ich wie üblich seine  muskulösen Arme um mich, was mir sofort Geborgenheit schenkte.
"Es tut mir so Leid!", flüsterte ich entsetzt. Ich hatte ihn enttäuscht.
"Schon gut Özi. Ich vergesse es, aber nur, wenn du es nicht wieder tust. Niewieder mehr, verstanden?"
Ich nickte in seiner Brust.
"Kopf hoch Prinzessin, sonst fällt die Krone herunter", lächelte er und küsste meine Wange, weswegen ich zusammenzuckte, da sein Bart kitzelte.
"Wie oft willst du das noch sagen?", lächelte ich unter Tränen.
"So oft, bis mir der Sinn an diesem Spruch vergeht."
"Wein nicht. Ich verstehe deine Situation. Du bist einfach kurz rückfällig geworden, aber du gewöhnst es dir mittlerweile immer mehr ab, also mach dir keinen Kopf darüber. Du wirst es einfach niewieder mehr tun. Vergessen wir es jetzt einfach. Wir machen uns jetzt einen ruhigen Tag."
"Sollen wir einen Film gucken?"
"Jaaa", sprach ich fröhlich und lehnte mich gemütlich nach hinten.
"Okay aber welchen?"
Wir entschieden uns für Scary Movie 5, da wir uns zwischen Horror, Komödie und Romantik nicht entscheiden konnten. Ich verfiel in Gelächter, während Erdem amüsiert zu mir schaute.
Mitten im Film merkte ich garnicht, dass ich auf seiner Brust eingeschlafen war.
[...]
Stark rüttelte jemand an mir, sodass ich meine Augen wortwörtlich aufriss und mich schwungvoll aufrecht hinsetzte. Ich hatte mich erschrocken. Ich sah niemand weiteres als Erdem, der mich auslachte.
"Ich hab Pizza bestellt du Schlafmütze."
"Wie lang hab ich geschlafen?", fragte ich ihn, da ich doch noch zurück zur Psychiatrie musste.
"Nicht viel. Knapp eine halbe Stunde, du hast noch genug Zeit."
Ich nickte und schloss wieder meine Augen.
"Nene, du bleibst schön wach. Ich hab Hunger und will jetzt essen!", motzte er schmollend.
"Ich bin so müde", konterte ich mit einem Hundeblick.
"Dann iss erst die Pizza und schlaf dann einfach", seufzte er, als ich gewann.
Er hatte eine Pizza mit Sucuk und großer Portion Käse und eine Pizza mit kleinen Hähnchenstücken und Zwiebeln bestellt.
Ich beschloss die mit Sucuk und nehmen und aß genüsslich. Ehrlich gesagt hatte ich auch Hunger, da ich seit langem nicht mehr so viel zu mir genommen hatte. Still verspeisten wir die Pizza und tranken dazu kalte Sprite. Nachdem wir fertig waren widmeten wir uns dem Fernseher und sprachen nicht. Der Film war schon zu Ende, weswegen wir uns einfach die neusten Nachrichten ansahen. Ich war überhaupt nicht mehr müde, also beschloss ich innig einfach wach zu bleiben.
"Krass wie dumm manche Menschen sind und solche Unfälle schaffen", kommentierte Erdem einen Bericht.
"Mir tun sie Leid", murmelte ich, da beide Fahrer sofort gestorben sind.
Plötzlich klingelte die Tür.
"Erwartest du wen?"
"Nein", sah er mich fragend an, jedoch stand er auf. Wenig später kam er mit einem Jungen in seinem Alter herein.
"Özlem, das ist Tarik mein bester Freund."
Sein bester Freund schenkte mir ein süßes Lächeln, was ich schüchtern erwiederte und zum Boden sah.
"Deine Freundin?", fragte Tarik etwas überfordert.
"Ja", sprach Erdem so urplötzlich, dass mir sofort die Luft zum atmen fehlte. Kurz sah ich hoch zu Erdem, dessen Blicke auf meinen lagen.
Tarik setzte sich auf das Sofa und zündete sich eine Zigarette an.
"Erdem du hast eine Freundin und sagst es deinem Bruder nicht?!"
"Vielleicht sind wir erst grad zusammen gekommen du Schmock", lachte Erdem, weswegen ich kichern musste.
"Nein jetzt mal im Ernst. Seit wann hat der Erdem eine Freundin?"
Erdem sah von der Seite zu mir, doch ich spielte stillschweigend mit meinen Fingern.
"Seit paar Wochen", gab er von sich.
Das heißt wir sind ein Paar? Oder vielleicht lügt er einfach nur seinen Freund an.
Zum Glück war dieses Thema zwischen beiden abgeschlossen, doch mich beschäftigte es die weiteren Minuten, weshalb ich überlegt zu Boden starrte und immernoch nicht wusste, ob wir nun ein Paar sind oder nicht. Wir hatten uns geküsst, wir hatten uns auf verschiedene Art und Weisen unsere Liebe gestanden, also waren wir doch ein Paar? Vielleicht waren es seinerseits einfach nur Reflexe gewesen, mich geküsst zu haben.
"Özlem?"
"Hm?", sprach ich abrupt.
"Wir müssen los", lächelte er warm und zeigte auf seine Uhr. Ich hatte echt so lang nachgedacht und eiskalt deren ganze Unterhaltung nicht mitbekommen.
Nickend stand ich auf und begab mich zum Flur, um mir meine Jacke zu schnappen. Nebenbei zog ich mir meine Schuhe an und wartete auf beide, die sich schnell fertig machten.
Ich setzte mich nach hinten, nachdem Tarik mit mir diskutierte, dass ich nach vorn soll. Ich aber gewann und setzte mich deshalb nach hinten. Durch den Rückspiegel sah Erdem öfters zu mir, was mir so unangenehm wie nie war. Beschämt sah ich aus dem Fenster, damit sich unsere Blicke nicht treffen.
Wir alberten miteinander. Um ehrlich zu sein war Tarik ein netter Kerl, wir verstanden uns herrlich.
"Man sieht sich", grinste Tarik und schüttelte meine Hand. Ich nickte ihm zu und wurde zuletzt von Erdem noch begleitet.
Angekommen hatte ich einen kurzfristigen Termin am Abend, doch danach konnte ich friedlich in den Schlaf geraten.
[...]
Gerade hatte mich meine Psychologin besucht und meinte es wäre bald soweit. Ich würde in wenigen Tagen hier raus sein, da man mir meine Änderung ansieht. Mir geht es ehrlich gesagt wirklich besser. Es war fast alles geklärt, bald würde ich nur noch Papiere unterschreiben und die Psychiatrie verlassen. Erdem und Aylin hatte ich sofort benachrichtigt und beide freuten sich für mich. Gerade räumte ich mein Zimmer auf, bis jemand unerwartet ins Zimmer platzte und ich die Stimme sofort erkannte. Kaan. Ich dürfte jetzt nicht in Tränen ausbrechen, auch wenn sich die Angst in meinem Blut wie ein Rausch verbreitete. Ruckartig drehte ich mich um und sah entsetzt in das Gesicht meines Feindes.
"Özlem", sprach er kühl. Seine tiefe Stimme verabscheute ich schon immer.
"Ja bitte?", sprach ich selbstbewusst, vorallem hoch und trat ihm näher.
Ich zitterte, doch ich musste mich zusammenreißen. Ich musste mich an Erdems Worte erinnern. Niemals schwach wirken, denn genau das verschafft dem Gegner Sieg.
"Ich wollte mit dir sprech-
"Es gibt nichts zu besprechen. Für mich ist alles geklärt", lächelte ich provokant und zog meine Braue in die Höhe.
Schlagartig umklammerte er meine Oberarme und zog mich nah zu sich.
"Deine Familie hat die Psychiatrie kontaktiert. Sie haben sich Informationen beschaffen, dass du bald raus bist."
"Ich hab keine Familie."
Nach diesem Satz stauten mir Tränen in den Augen, die ich sofort wegblinzelte und zu Kaan sah.
"Kaan geh einfach", flüsterte ich beinahe und zeigte zur Tür.
"Mädchen du-
"Halt deinen Mund und verlass dieses Zimmer. Ich will mit dir nicht reden, dich niewieder mehr sehen", wurde ich lauter, als er mich wütend ansah.
"Wir werden nach deiner Entlassung heiraten."
"Was?! Warum?"
"Unsere Eltern haben es sich gegenseitig versprochen und haben jedem gesagt, dass die Hochzeit verschoben wurde. Die lassen dich erst in Ruhe, wenn du meinen Nachnamen trägst", lächelte er schmutzig.
Langsam ging ich in die Richtung meines Bettes und drückte heimlich auf dem Knopf, damit jemand diesen Kranken aus meinem Zimmer schafft.
"Dann kannst du meinen Erzeugern benachrichtigen, dass ich mit Aylins Bruder zusammen bin und wir dieses Jahr unsere Verlobung geplant haben. Ich will und werde dich nicht heiraten. Wenn ihr es immer so weiter in die Länge zieht, gehe ich zur Polizei. Ich entscheide, was ich will, hast du mich verstanden? Tu mir den Gefallen und verzieh dich du Unterentwickelter."
"Du wirst sehen Özlem. Wir werden uns noch oft begegnen. Deinen Eltern erzähl ich, wie abfällig dein Verhalten ist du Schlampe", drohte er, nachdem er meinen Arm fest in seine Hand nahm.
Ängstlich zog ich meine Hand weg und sah nur noch wie er verschwand.
Du wirst sehen Özlem.
Wir werden uns noch oft begegnen.
Du Schlampe.
Betrübt versuchte ich mich abzulenken und diese minimale Konversation zu vergessen, doch seine Worte hatten mich in Schrecken versetzt. Die Krankenschwester kam erst später, weswegen ich sie wegschickte. Diese schockierende Lage konnte ich nicht vergessen. Allein meine Körpersprache, mein Zittern, sagte soviel über meine Emotionen aus. Ein Teil in mir sagte, dass Erdem mein einziger Beschützer ist. Nur von ihm kann ich mir Schutz sichern. Ich hatte fürchterliche Angst vor Kaan. Er könnte mein Leben in Sekunden zerstören, doch diesmal würde ich stark genug sein und kämpfen. Der erste Schritt war es diese Anstalt zu verlassen.
Ich müsste danach raus aus Frankfurt, sonst könnte er mich überall finden.
Nachdem ich mein Handy zur Hand nahm, rief ich Erdem herbei, da ich einen klaren Kopf brauchte und andererseits mich unwohl fühlte.
"Ich komme", sagte er und stand in wenigen Minuten an meiner Tür.
"Diese Krankenschwester wurde glaub ich gekündigt", lächelte er.
"Echt?", fragte ich erstaunt, doch musste feststellen, dass ich sie selbst seit Langem nicht mehr zu Gesicht bekommen hab.
"Ja", grinste er und setzte sich auf mein Bett, während ich mich nach hinten lehnte und ihn in Augenschein nahm.
"Erdem, Kaan ist vor einer halben Stunde hier gewesen", fing ich das Thema an und erntete schon seine kühlen Blicke.
"Was hatte er hier zu suchen?"
"Kennst du noch dieses Bild, wo ich auf Kaans Schoß gezwungen wurde und die Freunde von uns ein Bild geschossen haben?"
Er nickte und sah aufmerksam zu mir.
"Meine Familie hatte es ja gesehen, immerhin sah es realistisch aus und wollte mich mit ihm deshalb verheiraten, weil die dachten, dass wir was am laufen haben, aber andererseits haben sie mich als Schlampe abgestempelt. Dazu haben sie mich an seine Eltern versprochen und jeder wusste dass wir heiraten. Wegen mir hat es sich in die Länge gezogen und jetzt haben sie alle Planungen gestoppt. Ich bin hier bald raus und dann fängt es wieder an. Sie wollen mich an ihn verheiraten."
"Wussten seine Eltern von dem Bild?"
"Nein."
"Ich weiß nicht was ich tun soll. Er kann jederzeit hierhin kommen und tun was er will. Ich hab so Angst."
"Pass auf. Angst brauchst du garnicht zu haben. Ich sprech mit der Aufsicht, dass sie deinen Flur bewachen soll. Ich werde tagsüber sowieso bei dir sein. Nachdem du raus bist, wohnst du sowieso bei mir. Ich bringe bis dahin diesen Bastard um."
"Begehe keine Taten, die du später bereuen wirst", erinnerte ich ihn daran.
"Ich kenne bei dir keine Grenzen Özlem."
"Du wirst ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen, versprochen", hauchte er.
"Er hat mir gedroht, dass wir uns noch öfters sehen werden. So leicht wird das nicht."
"Nefesim (mein Atem), so er dir, so ich ihm. Du denkst zuviel darüber nach. Er wird dir ab jetzt nicht mehr im Weg stehen."
Leicht küsste er meine Stirn und schlang seine Arme um mich.
Schlussendlich nickte ich in seiner Brust und überlegte, was er wohl mit diesen Worten meinte.
[...]
Nun war der Tag gekommen, andem ich aufgeregt aufwachte. In wenigen Tagen, in weniger als einer Woche darf ich raus! Die letzten Tage verliefen recht hektisch. Durchgängig musste ich mich tagtäglich organisieren, um in der Außenwelt durchzustarten. Mit meiner Psychologin redete ich jeden Tag und Erdem kam mich so gut wie jeden Tag besuchen. Kaan hatte sich nicht mehr blicken lassen, doch dies hatte mich nach Erdems Worten nicht mehr interessiert. Leider wurde in den letzten Wochen auch schon die Verlobung von Aylin organisiert, die in zwei Tagen stattfinden würde. Das Versprechen wurde schon gegeben, nun fehlte die Feier der Verlobung. Allerding hat sie Schwerigkeiten, da sie für die Hochzeitsplanung noch Zeit benötigen, doch sie Angst um ihren Bauch hat, der bald wachsen würde. Ehrlich gesagt machte es mich traurig nicht auf der Verlobungsfeier meiner besten Freundin anwesend zu sein.
Schnell schlümpfte ich in meinen Schuhen und lief nach draußen, da Erdem gleich auf dem Parkplatz erscheinen würde, um mich abzuholen. Doch ich blieb abrupt stehen, als ich eine weitere Person neben Erdem erkannte und nur Gefährliches ahnte.

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