Kapitel 30

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Rasch knallte ich die Tür zu und lehnte nich nach hinten. Mehrmals strich ich mir durch die Haare und ließ aus meinem Mund Beschimpfungen peitschen. Fluchend fuhr ich los und verlor die Konzentration. Was hatte ich eben gesagt? Ich hatte gegenüber ihr die Liebe gebeichtet? Mir wurde klar, dass ich sie liebte, klar, ohne darüber überhaupt noch nachzudenken. Trotzdem, wir waren verschieden, so verschieden. In was hatte ich mich da verliebt? Wie konnte es nur passieren? Wie konnte ich überhaupt die drei wichtigsten Worte aus meinem Mund flutschen lassen? Ich hatte sie definitiv nicht mehr alle. Mit einem Knopfdruck wurden beide Fenster an den Seiten geöffnet, weshalb die frische Luft meine leicht lockigen Haare auseinander brachte. Sie ist ein guter Mensch und natürlich ist sie hübsch, aber ich würde niemals mit ihrer Lebensart klarkommen. Sie war so anders, es ist alles zu kompliziert. Außerdem liebt sie mich nicht, also wozu raste ich aus? Das Einzige was mich verunsicherte, war, ihr ins Gesicht zu schauen.
"Verdammt!", schrie ich und schlug versehentlich auf die Hupe.
Noch nie hatte ich mich in solch einem Status befunden, dass ich mich verliebt hatte. Ich wollte es ehrlich gesagt auch nicht. Ich traute mich nicht einmal sie vernünftig zu umarmen, weil sie so dünn ist und dann komm ich mit Liebe an?
Aber existiert nicht die Liebe? Die Liebe, in der man liebt, ohne sich berührt zu haben? Habe ich mich etwa darin verliebt, wie sie mich berührt hatte, ohne anzufassen?
"Erdem komm in die Küche!", schrie meine Mutter.
Gefälscht lächelnd betrat ich die Küche, in der die Wärme im Raum durch das Kochen der Künstlerin vor mir, verteilt wurde.
"Was gibts?", fragte ich und biss in den Apfel, den ich mir zur Hand nahm.
"Wo ist Aylin und wo warst du?", fragte sie autoritär und kreuzte ihre Arme vor ihrer Brust.
"Ich war weg."
"Wo weg? Gib mir eine gescheite Antwort."
Wow, diese Seite kannte ich nicht.
"Bei einem Freund."
"Erdem!"
"Nagut, ich war bei Özlem", seufzte ich und wusste ehrlich gesagt nicht wie ich handeln soll.
"Wieso bist du so oft bei ihr?"
"Ich mag sie", lächelte ich schräg.
"Mögen?",lächelte nun sie.
"Man Mama. Ich erzähl dir eines Tages schon, wenn da mehr ist. Du fragst zuviel", stellte ich fest und umarmte sie.
"Mir gehts nicht darum. Mir gehts einfach darum, dass meine beiden Kinder plötzlich weg sind ohne Bescheid zu geben wohin. Dann hab ich dauernd Gedanken, das ihr einen Geliebten hättet", sagte sie während der Umarmung. Ehrlich gesagt konnte ich die Trauer in ihrer Stimme nachvollziehen. Sie wollte einfach nicht, dass ihre Kinder erwachsen werden.
"Also bei mir kannst du es vergessen und Aylin bring ich noch um, wenn sie mir sowas verheimlicht", scherzte ich, doch schätzte diesen Satz dennoch im Hinterkopf wert.
Auch sie lachte und meinte ich solle mich an den Tisch schonmal setzen. Inzwischen tauchten auch Aylin und mein Vater auf, weswegen alle begannen zu Essen. Dank meiner Mutter konnte ich die Gedanken an Özlem vergessen, denn durch diese fühlte ich mich gekränkt.
Allen wünschte ich eine Gute Nacht, obwohl ich niemals um diese Uhrzeit schlafen gehen würde. Keine vernünftige Minute verging, schon nahmen meine Augen Bilder vor paar Stunden im Krankenhaus ein. Es kam mir so unrealistisch vor. Ich würde mich für sie opfern. Ich hasste mich dafür, sie allein gelassen zu haben. Morgen würde ich ihr erneut einen Besuch abstatten und mich entschuldigen, auch wenn ich nicht der Typ dazu war. Mit meinem I Phone nahm ich mir für meine Freunde Zeit und beschloss morgen die Shishabar zu besuchen.
Wenig später joggte ich durch die dunklen Straßen, um mehr nachzudenken. Um endlich einen freien Kopf zu bekommen, da ich alles heraus lassen musste. Einfach abschalten und tatsächlich konnte ich ohne ein bedrückendes Gefühl nach Hause laufen. Nach einer lauwarmen Dusche legte ich mich schlafen und baute mir selbsterfundene Szenen auf, wie der Tag wohl verlaufen würde, wenn Özlem mir ins Gesicht blicken würde.
[...]
"Bis später!", schrie ich laut, zog mir den schwarzen Adidas Pullover über meinen neulich neu trainierten Oberkörper und bindete mir die Schnürsenkel zu. Was heißt zubinden, ich konnte trotz meines reifen Alter meine Schnürsenkel nicht vernünftig zubinden, also machte ich seltsame Knoten, verstopfte diese in meinen Schuhen und lief zum Auto. Ich war aufgeregt, sichtlich nervös. Davor holte ich mir einen riesen Strauß, da es nicht passen würde, leer das Krankenhaus zu besuchen.
Ihre Zimmernummer wusste ich, weshalb alles schneller als gedacht ausging und ich die Tür öffnete.
Rasch steuerte ich Richtung Badezimmer, als ich Würggeräusche wahrnahm, die jedoch verstummten, als ich an die Tür klopfte.
"Ist offen", konnte ich noch realisieren, da dies so leise ausgesprochen war, als würde Özlem Selbstgespräche führen.
"Hey", brach ich nur aus mir und kratzte mich nervös am Hinterkopf, als sie fertig mit dem Spülen ihres Mundes war.
"Hey", flüsterte sie und ging an mir vorbei, doch abrupt umklammerte ich ihre Hand und forderte sie auf, stehen zu bleiben.
"Warte mal", hauchte meine raue Stimme und analysierte ihre wunderschöne Drehung, als sie genau vor mir stand und nach oben zu mir sah.
"Alles gut?", war das Einzige, was mir einfiel. Man sie brachte mich um, brachte mich durcheinander.
Das war definitiv nicht ich. Man könnte mich glatt mit einem weiblichen Wesen vergleichen.
Zitternd strich ich ihr ihre Strähnen aus dem Gesicht, um Kontakt zu ihrer weichen Wange aufzunehmen. Ihre Augen waren wie immer, als hätten sie ihren Glanz verloren, während ihre Lippen rot vom häufigen Kauen waren.
"Wieso musstest du brechen?",flüsterte ich gegen ihre Stirn und hob unsere beide Hände, die miteinander umfasst waren, in die Luft.
"Weiß ich nicht", flüsterte sie genau so zurück und seufzte.
Zuletzte schleppte sie das Infusionsgerät zum Bett und legte sich auf das Bett, gefolgt von mir. Vorsichtig legte ich die Rosen neben ihr ab und lächelte sie an.
"Ich muss mich schon zum dritten Mal übergeben", beschwerte sie sich und war nah, in Tränen auszubrechen.
"Hey..nicht weinen", flüsterte ich, setzte mich auf das Bett und umfasste ihren Körper.
"Nicht weinen", wiederholte ich leise und ließ sie ihre Wut an mir herausklatschen.
"Sag mir, Erdem. Was soll ich jetzt tun?", fragte sie in meine Schulter und schluchzte laut.
"Ich hab wirklich alles versucht und ich war mir zu 100% sicher, dass ich diesmal endlich sterben würde. Ich war mir so sicher, du kannst es dir garnicht denken und dann kommt sowas!", entsetzt entfernte sie sich von mir und sah zur Seite.
"Özlem lass es uns doch wenigstens versuchen, damit du endlich raus bist. Du weißt garnicht wie traurig ich war, als ich dich in dieser Lage gesehen hatte. Ich wollte heulen. Ich schwöre, ich wollte heulen!",wurde ich laut und schlug wütend auf das Bett.
"Verdammt du bist mir wichtig. Tu mir und dir das nicht an. Ich dachte ich verliere dich! So schwul es auch klingt, es hat verdammt weh getan. Glaub mir du wirst deinen Frieden durch den Tod nicht finden."
Bei jedem Wort zuckte sie zusammen und schloss ihre Augen.
"Lass mich dir helfen, bitte! Lass mich an dich ran und ich verspreche dir, ich mach dein Leben zu einem Märchen."
Beide Hände nahm ich in meinen und sah sie bittend an.
"Wir führen eine so gute Freundschaft und du hast dich krass zum Positiven geändert. Ich hab dir was vor paar Monaten versprochen. Ich gehe für deine Wünsche über Leichen und werde ab sofort nicht mehr von deiner Seite weichen."
Özlems Sicht:
"Naja, es hat alles vor knapp drei Jahren angefangen. Ich erinnere mich an diesen Tag. Meine Eltern waren mit Kaans Eltern wie Geschwister, aber Kaan hatte ich nie zu Gesicht bekommen, bis zu dem Tag, an dem er letztendlich gekommen war und sein Verhalten schon mir sagte, dass er etwas vor hatte. Wenig später wechselte er auf meine Schule. Es machte mir nichts aus. Ich lebte mein Leben weiter und konzentrierte mich auf die Schule. Er hat versucht mehr als Freundschaft zu beginnen, doch mir hat es nicht gefallen. Ich hatte das Gefühl, das er mich hasste und das hatte sich auch bestätigt."
Fest bohrte ich meine Fingernägel in seine Brust und fing an Angstbauchschmerzen zu bekommen.
"Erdem ich kann nicht. E-es tut mir Leid", platzte letztendlich aus mir.
"Erzähl mir deine Geschichte wie ein Märchen Özlem."
Fest schüttelte ich meinen Kopf und zog die Decke an mich.
"Ich hab noch nie darüber richtig gesprochen", flüsterte ich und fühlte, wie mein Gesicht regelrecht von den Tränen brannte.
Erst dann bemerkte ich die Stellung meines Körpers. Mit meinem linken Bein hatte ich ihn umzingelt und einen Arm hatte ich so gestreckt, dass ich seinen kompletten Oberkörper umfassen konnte. Er hingegen hatte beide Hände an meinen Rücken unten abgelegt und strich zwischendurch mühsam meine Haare, um mir Beruhigung zu schenken.
"Erdem bitte."
Ich weinte qualvoll, hatte ihn angefleht, doch er ließ nicht locker. Er wollte mir die Angst gegenüber Kaan entnehmen, doch ich war nicht bereit dazu. Er argumentierte stets Stolz, das ich mittlerweile ein ganzes Jahr dazu die Gelegenheit hätte, also versuchte ich es, da ich überzeugt war, doch es war schwerer als gedacht.
Mal platzte die Ärztin herein, mal klingelte sein Handy oder ich unterbrach die Romantik zwischen uns.
"Nein Özlem. Wieso hat er dich gehasst?"
Erdem ist ohne Zweifel mein bester Freund, doch würde er es mit mir durchstehen? Mir beistehen? Mit mir die Trauer teilen?
"I-ich naja er hatte seinen Eltern erzählt, dass er mich heiraten möchte und auch meine waren beeindruckt von dieser Idee. Weißt du ich war aber nicht bereit dazu. Ich liebte ihn nichtmals, doch ich dachte mir nichts dabei, sondern konzentrierte mich weiterhin auf meine Bildung. Er ließ mich nicht in Ruh, fing an mir zu drohen und stellte mich vor Tausenden Schülern bloß."
"Wie?"
"Er hat Gerüchte in die Welt gesetzt und ich wurde regelrecht von jedem abgestoßen und ausgelacht. Sie haben mich als fett und hässlich bezeichnet. Es wurden Nacktbilder verschickt, die aber nicht von mir stammen. Ich schwöre Erdem ich hab sowas niemals getan!"
"Ich glaub dir ohne auch nur daran zu zweifeln Özlem. Beruhig dich", flüsterte er und küsste meinen Ansatz.
"Erzähl weiter", stotterte er und legte seine warme Hand auf meine Wange, die mir mehr Mut und Sicherheit gab.
"Er hat meiner Familie erfundene Geschichten erzählt, dass ich mich in Hotels aufhalten würde und abends, wenn alle am schlafen waren, mich rausgeschlichen hab. Meine Eltern haben ihm ohne auch nur mit der Wimper zu zucken geglaubt und haben mich rausgeschmissen. Ich verstand einfach nicht wieso er mich so gehasst hatte, ich hab mich bei ihm grundlos entschuldigt, doch er meinte, ich würde immer mehr Stück für Stück leiden, bis ich mir das Leben nehme und das hatte er auch erreicht."
Frustriert wusch ich mir meine Tränen weg und umarmte Erdem stärker.
"Ich hab unter Brücken geschlafen und hatte die Schule geschmissen. Es war im Herbst, ich musste ums Überleben kämpfen, vorallem weil ich nicht einmal einen Euro besaß. Mir wurde angeboten, mit Prostitution zu beginnen, weil ich im Monat viel verdienen würde, aber auch Kaan hat mich nicht in Ruhe gelassen. Er wusste davon und meinte, er hätte feste Beweise, das ich eine Schlampe wäre-
"Du hast es nicht getan oder?", fragte er streng.
"N-nein natürlich nicht, sonst hätte ich meine Familie doch endgültig verloren, obwohl ich es eigentlich schon hatte. Zwar hab ich meine Ehre dazu nicht geopfert, aber habe bei Schlampen gewohnt und musste mich monatelang zusammenreißen, nichts falsches zu machen. Ich hab mich bei der Sache scheiße gefühlt. Jeden Tag hatten sie Jungs eingeladen und feierten bis tief in die Nacht und ich musste mich allein schützen. Es waren ziemlich versaute Jungs, die mich versucht haben flach zu legen. Es war grauenhaft, einfach grauenhaft."
Erdem zog mich fest zu sich und strich durch meine Haare. Durch sein Gesichtsausdruck wurde mir klar, dass er Mitleid hatte, was ich verabscheute.
"Was hast du dann gemacht?", fragte er und lehnte seinen Kopf an meinen.
Mein Herz schlug mir unbewusst aus der Brust und mein Körper machte dies nicht mehr mit. Meine Adern pochten und ich konnte das Zusammenziehen meines Magens spüren. Wie weit würde ich noch gehen? Diese Geschichte zu erzählen fühlte sich schlimmer als Selbstmord an. Es war wie ein qualvoller Mord, jedoch auf anderer Art und Weise.
Ich schämte mich vor ihm, was ich für ein Mensch war. Mein Verhalten war unter aller Sau. Man konnte mich glatt als ehrenlos abstempeln. Ich war tief gesunken und wurde als Höhepunkt noch in eine Psychiatrie geschickt.
"W-was hälst du bis jetzt von mir?", rutschte aus meinen Lippen.
Kurz dachte er nach. Er wirkte wütend und aggressiv. Seine Mimik war angespannt und seine Lippen fest einander gepresst. Mit seinen Augenbrauen stärkte er sein Selbstbewusstsein und verschaffte mir Unsicherheit und Angst.
"Du warst ein Mensch, der du nicht sein solltest."
Das waren die einzigen Worte, zu denen er sich meiner Frage geäußert hatte. Ich hatte hohe Erwartungen gehabt, doch diese hatte er erloschen.
"Du bist kein schlechter Mensch. Du hattest einfach keine andere Wahl und außerdem kenn ich dich lang genug, um zu wissen, wie du charakterlich gebaut bist, Özlem", hauchte er und sah mich gefährlich an.
Es machte ihn sauer, zu wissen, dass ich beinahe auf dem Strich gelandet wäre. Ein Gefühl sagte mir, dass er es bereute mir nicht geholfen zu haben, obwohl er keine Schuld daran hatte, denn sein Beschützerinstinkt war hoch. Doch dies war sicherlich nur ein Funken der Hoffnung, der meine Gefühle durchströmte.
"Irgendwann, da hat mir Alkohol geholfen und ich wurde süchtig nach dem Zeug. Ich hab es nicht aus Spaß getan, sondern aus Kummer. Ich wurde diese Sucht zum Glück schnell wieder los, als ich bemerkt hatte, dass es zu gefährlich war. Trotzdem habe ich weiterhin bei Schlampen gewohnt, bis ich zu ihnen meinte, dass ich spazieren gehen würde. Natürlich war es nur eine Ausrede, damit ich fliehen kann, vorallem hätten sie es zu dem Zeitpunkt nicht gemerkt, weil ich keine Kleidung hatte. Ich besaß so gut wie rein garnichts, also verließ ich deren Wohnung ohne Sachen und musste wieder für weitere drei Tage unter einer Brücke schlafen, mit fürchterlicher Angst, jemand könnte mich sehen oder verletzen. Ich konnte nie richtig mein Auge zudrücken, einfach aus Angst, weil sich überall Alkoholiker herumtrieben."
Fest hielt ich meine Hand vor dem Mund und schluchzte. Ich hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden, so schlimm ging es mir. Kurz schielte ich zu Erdem, der genau so zu mir sah und nachdachte. Es war wie eine Lüge, als wäre alles gelogen, denn das Mädchen, was vor ihm saß, war niemals das Mädchen, wovon ich erzählte. Das dachte er zumindest, doch ich war das Mädchen, wovon ich erzählte.
Während der kurzen Pause setzte ich mich an die Bettkante und schaukelte mit meinen Beinen. Er hingegen sah mich von der Seite an.
"Ich kann nicht mehr", flüsterte ich schluchzend, als das Geräusch unzähliger Tränen, die auf dem Boden fielen, zu hören war.
Unbemerkbar wurden es immer mehr Tränen, die bald einen kleinen Fluss bilden würden.
"Wieso nicht?", hörte ich von der Seite.
"Ich sehe alles vor mir. Ich fühle mich wie früher, als würden meine Narben bluten. Meine Vergangenheit ist wie neugeboren", sprach ich ehrlich und sah starr nach vorn.
"Ich bin doch bei dir, also hab keine Angst", flüsterte er sanft und posinierte wenig später seine Hand auf meinem Oberschenkel.
"Du hast das Ende gleich erreicht. Lass alles raus. Sprich mit mir darüber. Es wird dir helfen, statt alles in sich hineinzufressen", schlug er mir vor.
"Was ist danach passiert, als du weiterhin unter Brücken schlafen musstest?", fragte er, als ihm klar wurde, dass ich nicht wusste, wo ich beginnen soll.
"Kaan hatte mich gefunden."
Kurz herrschte Stille. Während ich in meinem Kopf Sätze zusammenknüpfte, fing mein Magen an zu schmerzen. Fest presste ich meine Lippen zusammen, um mein lautes Weinen zu unterdrücken. Meine Augen waren genau so geschlossen und ich war dankbar dafür, dass Erdem mein Gesicht nicht sehen konnte.
Ich wusste nicht, wie ich handeln soll. Mein Verstand fing an zu zweifeln und sagte mir, dass ich es lassen soll, ihm alles zu erzählen. Sollte ich fortfahren oder ihn einfach rausschmeißen? Ich musste gezwungen daran denken, wie großartig er zu mir war und wie oft er mir geholfen hatte. Wieviel Zeit er wegen mir geopfert hat und wie sehr er sich um mich gesorgt hat.
Plötzlich spürte ich zwei Arme um meinen Oberkörper, die mich fest umschlungen und mich an ihn pressten. Ich war ihm so dankbar, dass er mir seine Liebe schenkte und mich tröstete. Endlich fiel mir ein Stein vom Herzen, zu wissen, dass er bei mir ist, mir aufmerksam zuhört und meine Probleme mit mir teilt. Es war solch ein starkes Gefühl, was Gänsehaut an meinem Körper verursachte. Mal endlich loszureden und nie wieder mehr aufzuhören. Den Kummer, der sich vor Jahren versammelt hatte, zu entleeren. Es tat gut und ich konnte mir nicht verbieten, mit diesem großartigen Mann befreundet zu sein. Er war alles für mich, alles was ich bei mir hatte. Natürlich war Aylin nicht zu vergessen.
"Was hat er getan?", nuschelte er in meine Schulter und strich leicht über meinen Rücken.
Mit Kraft drückte ich ihn von mir, sodass er vor mir stand und beide Hände an der Bettkante abgestützt hatte.
"Ich war im Park und saß auf einer Bank. Er ist aufgetaucht und zwei seiner Freunde haben mich hoch gehoben. Ich hab versucht mich zu wehren, aber hatte keine Chance. Wegen meiner Schreie schlugen sie so oft auf mich ein, bis ich bewusstlos wurde und soweit ich weiß, lag ich später in einem kleinen Raum. Später sind alle drei aufgetaucht und haben plötzlich angefangen mich zu schlagen. Sie haben mich mit einem Gürtel gepeitscht, mir solang in den Bauch geboxt, bis ich Blut spuckte und mir dicke Haarsträhnen rausgerissen. Einen Monat hielten sie mich dort fest. Es war ein Container und keiner konnte mir helfen, weil ich mich im nirgendwo befand. In diesem Monat wurde ich von Kaan jeden Tag, wirklich jeden Tag, geschlagen worden. Er hat mich so fest geschlagen, dass ich seine Beine festgehalten hab und ihn angefleht hab, mich frei zu lassen. Ende des Monats hat er mir Spritzen mit Inhalt von Drogen in den Arm gespritzt. Ich wusste nicht einmal genau, ob es Drogen waren, aber es war ein dreckiges Gefühl. Ich fühlte mich dadurch schwächer. Er hat es immer öfters getan, bis ich beinahe die Überdosis erreicht hatte. Nach dem Monat waren zwei Wochen vergangen. Mein Tagesablauf war immer der gleiche. Er hat mich immer mehr geschlagen, mich mit Gegenständen geschlagen. Ich dachte mir, er würde mich todprügeln, weil er es ziemlich übertrieben hatte. I-ich konnte Gott sei Dank fliehen, als die Tür offen war und habe eine Familie am Rastplatz der Autobahn gebeten, mich nach Hause zu bringen. Stattdessen bin ich im Krankenhaus aufgewacht. Du willst nicht wissen, wie schlimm mein Körper aussah. Es waren schlimme, tiefe und bedreckte Wunden, die der Arzt zum Glück heilen konnte. Ich hatte zwei Platzwunden, mehrere Messerstiche, jedoch hab ich überlebt, was unrealistisch war, denn mein Körper konnte nicht mithalten."
Ich wusste nicht wie lang ich schon in seinen Armen lag und mich ausweinte, doch alles kam hoch. Während des Erzählens die Bilder im Kopf zu haben und zu denken, wie schlimm man behandelt wurde, war grauenhaft. Man konnte mich mit einem Insekt vergleichen. Man konnte machen, was man will mit mir, doch ich hatte die Kraft eines Insektes und hatte keine Chance dagegen.
"Dem Arzt wurde anhand der Wunden schon klar, dass ich geschlagen worden war, also war er verpflichtet dazu, die Polizei zu rufen. Aus Angst hielt ich meine Klappe und wenig später wurde festgestellt, dass ich psychisch krank bin. Die Psychiatrie hat mehrere Male meine Eltern angerufen, aber sie haben abgeblockt und es war ihnen egal, was passiert war. Ich hab hier genau so niemandem etwas erzählt, nur kleine Szenen."
"Wo war Aylin zu dieser Zeit?"
"Sie war auf ihre Bildung konzentriert, aber nach der Containergeschichte hat sie mir geholfen. Zwar hat sie mich davor auch unterstützt, aber was sollte sie tun, wenn ich ihr nichteinmal richtig erzählt hatte, was geschehen war?"
"Bevor du in mein Leben eingetreten bist, war alles so schlimm. Ich fühlte mich wie im Gefängnis und habe mir wehgetan. Ich war ein verrücktes Mädchen, meine Art und Weise war so unmenschlich."
"Ich weiß grad garnicht genau, warum ich es getan hab, aber ja verdammt, du hattest Recht. Es hat mir gut getan, dir alles erzählt zu haben", schluchzte ich.
Ich wollte etwas aus seinem Munde hören, ein Kommentar dazu, doch er blieb still. Angst, er würde mich verlassen, dies stand im Vordergrund.
"Sag doch was!", hauchte ich weinend und hielt ihn mit beiden Händen an den Kragen fest.
"Hast du ihn geliebt?", fragte er plötzlich und ich konnte nicht anders, als wütend und entsetzt zu ihm hinzuschauen.

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