Kapitel 29

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Zitternd umschloss ich ihren zierlichen Körper und strich von ihrem Nacken aus bis zu ihrer mageren Hüfte. Dieser Zustand war als würde es nur uns geben, nicht zu vergessen der rauschende Wind um uns, der sich in unsere Zweisamkeit mit abspielte.
Ihre Atemzüge sorgten für einen Adrenalinkick in mir, als ich diese an meinem Oberarm spürte. Ihr Kopf seitlich auf meine Brust gelegt und ihr Mund Schluchzer produzierend. Ihre Haare zwischen meiner Hand und fest posiert. Ihr Körper der so stark zitterte, dass ich Angst hatte sie könnte nicht mithalten, doch sie tat es nicht. Sie konnte nicht mithalten. Sie stand unter schwerem Schock. So gut sie versuchte sich von mir zu lösen, die starke Özlem zu spielen, sich im Zimmer einzuschließen gefolgt vom Weinen, sie schaffte es nicht, denn genau diese Arme benötigte sie. Sie war angewiesen auf meinen Trost, auf meine Hilfsbereitschaft und zu guter Letzt die Liebe. Die Liebe, die sie in ihrer Jugend gebraucht hatte und ihr die schönsten Stunden geraubt hatte. Die Liebe, die sie früher am meisten brauchte. Genau diese Liebe wollte ich nachholen.
"Ich will am liebsten sterben", flüsterte sie betrübt und krallte sich an meine Brust.
"Weg von dieser schmerzhaften Welt. Weg von all diesen abscheulichen Menschen und weg von sich selbst", hauchte sie weinend und umfasste mit beiden Armen meinen Oberkörper.
"Du bleibst schön hier, bei mir", fügte ich zu ihrer Aussage hinzu und hinterließ an ihrer Wange einen kurzen Kuss, was sie zum enormen Zusammenzucken brachte.
"Würdest du ohne deine Eltern leben können? Dir ein Leben ohne Eltern vorstellen? Würdest du mit dem Gedanken, das deine Eltern dich hassen leben können?!"
"Ich weiß zwar nicht, was du zu suchen hast, aber wahrscheinlich hat dir Kaan wohl nichts erzählt, dass du mich grad im Arm hälst."
"Was sollte er denn erzählt haben, dass ich dich verlassen würde?", stellte ich nun als Frage.
"Lieber bleib ich mit einem Geheimnis als jeder Person mein dreckiges Leben zu erzählen", murmelte sie.
Langsam löste sie sich von mir und wusch sich mit ihren langen Ärmeln ihre Tränen weg.
"Özlem-
"Ich weine nicht gern vor Menschen", waren ihre kaumhörbaren Worte, ehe sie sich umdrehte und damit rechnete, dass ich sie gehen ließ.
Abrupt rutschte meine Hand zu ihrem Gelenk, umfasste diesen und drehte sie so zu mir, dass sie fest gegen meine Brust knallte und zu mir hochblickte. Sie war wieder dem Weinen so nah, wie die Liebe zweier Menschen.
"Erdem bitte. Alber nicht rum, sondern lass mich gehen", quitschte sie flennend und sah mich unschuldig an.
"Wieso gehst du immer, wenn du weinen musst?"
"Weil niemand diese Tränen sehen soll. Und jetzt lass los!", wurde sie lauter und wusch sich zerbrechlich nebenbei jede Träne weg.
Sie gewann und verkroch sich in ihr Zimmer.
"Und Aylin kannst du sagen, dass sie nicht kommen soll. Auf Fragen hab ich genau so wenig Lust", sprach die, ehe sie die Tür zuknallte.
"Wieso bist du so sauer? Etwa weil ich wieder alles mitbekommen hab?", schrie ich durch die Tür und wartete auf eine Antwort.
"Geh!", schrie sie zurück.
Wütend ging ich mit einem schlechten Gewissen und entfernte mich Schritt zu Schritt von ihr. Jeder Schritt sorgte für Tritte in die Magengrube, doch diese hatte ich verdient, denn unmenschlicher ging es nicht. Wie ich sie in ihren dunkelsten Stunden allein gelassen hatte. Sie liegen lassen hatte und gegangen bin. Und das aus Wut. Doch hätte ich gewusst, dass sich meine schlechten Gedanken bestätigt hatten, würde ich niemals den Beginn einer Freundschaft mit Özlem wagen.
Özlems Sicht:
"Verdammt!", schrie ich quer durch das Zimmer und riss mir wie verrückt die Haare heraus. Wieso kannte er mich so gut? Er wusste eindeutig zuviel über mich. Wieso hatte ich mich wieder bei ihm ausgeweint? Ich veränderte mich einfach wieder. Das dürfte nicht passieren. Ich darf ihn nicht an mich heranlassen, er wird leiden. Ich darf meine Gefühle mit Niemandem teilen!
[...]
"Entschuldigen Sie? Könnten Sie mir eine Flasche Waschmittel geben? Ich will meine Wäsche waschen", sprach ich zappelig und blickte zur alten Dame.
"Hier Bitteschön", sprach sie nur und überreichte mir die Flasche.
"Ich bring sie Ihnen gleich wieder", hauchte ich nachdenklich und verschwand augenblicklich aus dem Raum, spazierend in mein Zimmer.
Kurz sah ich mich im Raum rum. Die Jalousinen komplett herunter gezogen, die Nachttischlampe an. Die Tür mit dem Schlüssel, den ich noch hatte zweimal abgeschlossen, damit man mich später finden würde. Dann, wenn es zu spät sein wird, wenn ich meinen letzten Atemzug erreicht hätte. Schatten des Wachmittels spiegelten sich hinter dieser ab und brachten mich zu großen Argumenten. Ich müsste in nur zehn Minuten eine Entscheidung treffen. Versuchend die Gedanken zu befreien, beschäftigte ich mich zeitlos mit der Ausstattung meines Zimmers. Überall huschten meine Blicke, nur nicht zur nahgelegenen Flasche. Mit zittrigem und kalten Körper lehnte ich mich an die Wand und spürte die Kälte an meinem Rücken, die Gänsehaut verursachte.
Selten nahm ich lange Atemzüge, weswegen sich meine Lunge verstopfte und ich schon eine Atemnot vorahnen konnte. Gedankenlos zuckten meine Mundwinkel beim Gedanken des Jungen, der starke Schmetterlinge im Magen verursachte, in die Höhe. Erdem.
Mit meinen mittlerweile feuchten Fingern schaltete ich das Handy ab und legte es leise neben mir.
Exakt traf ich meine Finger auf dem Deckel und öffnete diese mit nur meinem Zeigefinger und Daumen. Kribbeln spürte ich an meinen Fingern, als wären sie betäubt. Stromschläge ließen mich in einer unbeschreiblichen Lage hängen und jeder Nerv war wie elektrisch geladen. Das Fühlen, als würden meine Organe gegeneinander stoßen, das Pochen meiner Brust und meine heißen Wangen, die vom Weinen brannten, waren gemischt ein schreckliches Gefühl. Augenblicklich stoppte ich dieses Szenario, als ich das Bild meiner Mutter vor mir sah, als würde sie neben mir sitzen und mich flehend ansehen.
"Mama?", fragte ich verwirrt und versuchte ihre ihre Figur zu berühren. Schluchzend tastete ich um mich herum wie eine Verrückte und atmete hektisch.
"Mama!", kreischte ich.
Dutzende Schreie ließ ich aus meinem Munde peitschen. Jedes einzelne Gegenstand in diesen vier Wänden zeigte mir verschwommene Umrisse.
Ruckartig griff ich zur offenen Waschmittelflasche und schluckte den bitteren ekligen Geschmack in mir. Meine Kehle brannte höllisch, mein Magen war wie vetrocknet. Die Gegenstände zeigten mir neon Farben, bis diese verblassten und ich meine Augen zu Schlitzaugen bildete. Mir fehlten nur noch drei große Schlücke, bis ich den Gift vollständig in mir hätte und somit das innere Leben ausloschen konnte. Meine Seele endlich aus mir heraus wie ein lebloser Engel fliegen würde. Mein Körper sich nicht zwischen Menschen quälen müsste. Die letzten Schlücke ergriff ich nicht, war zu schwach um diesen Tod überhaupt zu realisieren.
"Aschhadu an la-ilaha-ill-allah wa aschhadu anna muhammadan rasulullah."(Glaubensbekenntnis/Schahada)
Die Worte waren gesagt, die letzte Träne fiel und der Kopf erreichte den kalten Boden. Die Flasche fiel aus der Hand, jedes Organ schaltete ab und in nur drei Minuten herrschte Ruhe. Kein Fließen des Blutes, keine Atmung, sondern ein funktionsunfähiges Herz, das seine Schläge verlangsamte.
Aylins Sicht:
"Bis Morgen", lächelte ich und küsste kurz die Lippen meines Freundes.
Schnell stieg ich aus und schloss die Haustür auf.
"Bin da!", schrie ich durch die ganze Wohnung und konnte mir gerade noch das Grinsen verkneifen.
Schnell verstummte ich, als ich die Familienmitglieder meiner besten Freundin Özlem sah. In diesem Moment konnte ich noch ihren Namen hören, doch jeder verstummte bei meinem Eintreten des Wohnzimmers.
"Was ist mit Özlem?", fragte ich frech und sah wütend zur Mutter.
"Ich kenne keine Özlem", waren die Worte der guten Schauspielerin. Eine Mutter, wie konnte eine Mutter das eigene Fleisch und Blut so dermaßen hassen?
"Warst du sie besuchen?", fragte mich nun der Vater.
"Ich werde bald wieder nach ihr schauen, denn sie hat ja keine Eltern", motzte ich und wurde am Ende lauter.
"Wieso sollten sie das, wenn dein Bruder mit ihr zusammen ist? Habt ihr beide uns belogen?", mischte sich meine Mutter ein.
"Mama spinnst du völlig? Er ist nicht mit ihr zusammen, sondern für sie da, weil ihre Eltern es nicht konnten!"
"Aylin geh auf dein Zimmer!"
"Nein Baba(Papa). Solangsam haben die Beiden meinen Respekt nicht mehr verdient! Sie ist meine beste Freundin. Wusstet ihr, dass sie mittlerweile ein ganzes Jahr dort festsitzt und jeden Abend an euch denkt? Jeden Abend um ihre Eltern weint und so tut, als wäre alles okay?"
"Sag doch was! Vermisst du deine Tochter nicht? Jeden Tag habt ihr was miteinander unternommen!", schrie ich und sah ihrem Vater in die Augen.
"Sie ist nicht meine Tochter!", schrie er genauso hart zurück und wusch sich seine winzige Träne weg.
"Deine Augen sagen mir was anderes", hauchte ich wutgebrannt und stieg die Treppen hoch.
Meine Eltern waren durch mein Auftreten stinksauer, doch ich würde später in Ruhe mit ihnen reden. Erdem reagierte auf meine Anrufe nicht, weswegen ich beschloss Papiere für meine Arbeir zu organisieren und mir Verträge durchlas. An Özlem hatte ich garnicht erst gedacht, so beschäftigt war ich. Ich konnte mein Berufsleben, meine Beziehung und die Zeit für Özlem nicht in einem Tag zusammenpacken. Mit Özlem würde ich sprechen. Sie würde mein Problem sicherlich verstehen als beste Freundin. Desweiteren versetzte sie sich oft in meine Lage. Nach langem Überlegen schlief ich nicht vorgehabt ein.
Erdems Sicht:
Schnell fuhr ich meinen betrunkenen Freund nach Hause und parkte anschließend vor meiner Wohnung, als ich bei mir angekommen war. Leise schloss ich die Tür auf und schlich mich in mein Zimmer, doch wurde von meiner Mutter aufgehalten.
"Komm nicht dauernd so spät nach Haus", flehte sie und sah mich unschuldig an.
"Tut mir Leid", hauchte ich und küsste ihre Stirn.
"War Besuch hier oder wieso räumt meine Mutter um Mitternacht auf?", lächelte ich und legte einen Arm um sie.
"Wir hatten eben Besuch."
"Achso und wo ist Aylin?"
"Sie schläft. Geh du jetzt auch schlafen. Wir wollen morgen Frühstücken gehen."
"Okay Nacht", flüsterte ich und verschwand auf mein Zimmer.
Es dauerte nicht lang, schon lag ich in Boxershorts mit meinem Handy in der Hand auf mein Bett und scrollte durch Facebook herum. Mir fiel ein, dass Özlem Facebook haben könnte, also gab ich ihren Namen in die Suche und fing an nach ihrem Profil zu forschen.
Ich blieb bei einer Özlem Ö. stehen und drückte darauf. Das war sie! Leider hatte sie nur ein Bild, unzwar ihr Profilbild, welches ich sofort einspeicherte. Ihre Haare hatten Locken, wie von Friseur gemacht und ihr Gesicht sah atemberaubend gut aus. Sie sah auch nicht mager aus, aber lächelte auf dem Bild nicht. Sie war seit Jahren nicht mehr aktiv fiel mir auf. Auf ihre Freunde klickend fand ich Kaan Atar. Ich machte mir erst garnicht die Mühe sein dreckiges Gesicht zu sehen, weswegen ich mir ihre Kommentare auf dem Bild durchlas. Auch Kaan hatte dies mit 'hübsch' kommentiert. Man konnte sie nicht mit dem Bild vergleichen, denn sie hatte sich enorm in nur einem Jahr verändert.
"Abi?"
"Du bist wach?", fragte ich Aylin, nachdem sie sich auf das Bett gesetzt hatte
"Es gewittert draußen, das heißt du musst mich heute Nacht ertragen", murmelte sie und deckte sich zu.
Laut seufzte ich und steckte mein Handy weg.
"Kann ich mit dir reden?"
"Nein."
"Aylin", warnte ich sie.
"Um was geht es denn?"
"Um deinen Freund."
"Was?", piepste sie erschrocken und schaute blitzschnell zu mir.
"Das war doch nur ein Spaß, chill", lächelte ich, doch konnte anhand ihrer Unsicherheit sehen, dass sie wohl oder kaum etwas von mir verbergte.
"Ich glaub Özlem ist sauer auf dich.."
"Wieso das?!", fragte sie verstört.
"Naja wie wärs, wenn du sie mal besuchen würdest? Es sind fast fünf Tage vergangen und du hast nichts von ihr gehört. Seit ich in Kontakt mit ihr bin, ist sie dir scheiß egal."
"Sie ist mir nicht scheiß egal und mir fehlt wirklich einfach die Zeit."
"Gut dann brauchst du sie morgen auch nicht zu besuchen. Sie ist dir egal so wie ich es sehe. Sie langweilt sich dort total und Unterhaltung würde ihr gut tun. Sie braucht auch mal weiblichen Besuch und nicht mich verstehst du?"
"Ich verspreche dir ich geb mein Bestes."
"Schlaf jetzt. Mama meinte wir gehen morgen Frühstücken."
"Und ich dachte sie ist sauer."
"Warum?"
"Schon gut und jetzt sei still."

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