Kapitel 6

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Und da war er plötzlich. Der Schicksalsschlag mit einem Pfeil, der voller Erinnerungen steckt. Meine Blicke geradeaus drauf gezielt, mein Körper, der mich erzittern ließ. Mein Herz, was schrie und meine Seele, die starb. Ich befand mich vor meiner Haustür. Auf meinem Augenlid störte mich die dicke Träne, die nicht herunterfloss. Dadurch wurde mir die Sicht verschwommen, doch ich ignorierte es. Es war dieses Haus, was mich in die Vergangenheit zurückblicken ließ. Es war dieses Haus, was ich vermisste. Es war dieses Haus, aus dem ich rausgezwungen wurde und somit offiziell mein Leben im Arsch war.

Immernoch stand ich wie versteinert nah an der Tür und betrachtete alles mit meinen Augen. Langsam, als sich mein Verstand meldete, schüttelte ich meinen Kopf und hob langsam meine Hand. Ich legte sie auf die Tür und strich darüber. Fest schloss ich meine Augen und verlor Tränen. Meine Tasche fiel hin, doch es machte mir nichts aus. All die Erinnerungen waren wie Messerstiche. All die Berührungen waren wie Feuer, worin ich mich mittendrin befand. Die Gegenwart an diesem Zeitpunkt war wie ein Mord. Ich war das Opfer.

Ich nahm nichts weiteres als das Gefühl der Tür wahr. Meine Hand rutschte zur Klinke. Ich hörte Stimmen, doch erkannte keine. Mit Tränen in den Augen drehte ich mich um und spürte diesen Schmerz. Diesen Schmerz verlassen zu werden. Wie schwer es mir auch fiel, ging ich geradeaus, bis sich die Tür des wunderschönen Hauses hinter mir öffnete und jemand nach mir rief.

"Entschuldigen sie? Was haben sie eben an unserer Haustür gemacht?", fragte eine männliche tiefe Stimme.

Mit zittriger und ängstlicher Stimmung drehte ich mich um und sah ihn. Meinen Bruder.Geschockt sah ich in seine Augen und musterte ihn.Mein wunderschöner Anker.
Ich drehte mich um und ging weiter. Es war mir viel zu viel. Es war einfach viel zu viel, verdammt. Meine Lippen zitterten stark.
Er rief mir öfters hinterher, doch ließ es sein und schloss die Tür hinter sich.

Nach dem lauten Knall fiel ich auf die Knie und begann laut zu weinen. Die leichten Regentropfen machten mir es nicht einfacher, denn meine Stimmung sank umso mehr.

Ich verfluchte mich selbst, dass ich mich hierhin getraut hatte. Es würde mich doch nur verletzen, ich wusste es sogar, doch trotzdem bin ich hierhin gekommen. Er hat mich nichtmal als Schwester erkannt.Er hat sich in den letzten Monaten so verändert. Er hat paar Kilos runtergenommen und ist so hübsch geworden. Ich sah weder Trauer noch Hass in seinem Gesicht.
Sie denken sowieso nicht an dich.

Dies war nicht nur eine Vermutung, sondern Fakt und eine Lektion. Man sollte nicht zuviel von einem erwarten. Ich dachte, sie würden es bereuen und auch an mich denken, doch sein Gesichtsausdruck sagte mir alles.

Ich war kraftlos, so kraftlos, dass ich mich selbst nicht mehr steuern konnte sondern weinen musste. Meine Beine waren in dem Moment zerbrechlicher als Glas und meine Wunden an meinen Armen brannten, weil meine salzigen Tränen drauf fielen. Mein Magen zog sich zusammen und innerlich war es wie eine harte Schusswunde. Einfach nur schmerzhaft.

"Wieso verdammt? ", kreischte ich laut aus mir und weinte laut.

Menschen waren nicht zu sehen, weshalb ich einfach weiterhin auf Knien auf dem Boden saß und wie ein kleines Kind weinte. Meine Schwachstelle wurde getroffen.

"Ich bin so allein", flüsterte ich entsetzt, weil es weh tat.

Ich würde niewieder mehr die Liebe meiner Familie spüren, sondern nur die Gesichter, die Hass in sich trugen, wenn sie mir ins Gesicht blicken würden, sehen.

Mein Handy klingelte und die Vibration ließ mich vor Schreck zusammen zucken.

Ich nahm ab.

"Özlem wo bist du verdammt?", fragte Aylin.
"Wo steckst du?", fragte sie laut.
"Die Polizei sucht nach dir", sagte sie leise.
"Sag mir wo du bist. Ich hole dich ab und sage es niemandem", sagte sie flehend.

ÖzlemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt