Kapitel 46

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Zum ersten Mal sah ich meine Familie um mich herum. Besorgte Gesichter und Unsicherheit in ihren Augen.
"Du bist bewusstlos geworden", sprach meine Mutter und strich meine Haare zur Seite.
Paralysiert schloss ich meine Augen und fühlte die Schwäche in mir. Jedoch ging es mir zig mal besser als vorhin.
Wieder könnte ich bei Thema Erdem losweinen. Es war also kein Albtraum oder kein schlechter Witz, sondern eine Tatsache.
Neben mir sah ich das Infusionsgerät und schluckte. Wie in der Psychiatrie.
Plötzlich klopfte jemand und meine Psychologin streckte ihren Kopf aus.
"Özlem", lächtelte sie wie immer stets freundlich.
Mein Bruder verschwand mit meinen Eltern.
"Wie gehts dir?", fragte sie besorgt.
"Gut", lächelte ich schwach und ignorierte die Kopfschmerzen.
"Wir haben uns schon lang nicht mehr gesehen."
Langsam nickte ich.
"Hast du dich auch regelmäßig kontrollieren lassen?"
Zügig nickte ich.
"Ich hab von dem Autounfall erfahren", sagte sie plötzlich.
Eisig erstarrt riss ich meine Augen leicht auf. Scheiße. Sie denkt wahrscheinlich total anders, dabei wurde mir unbewusst die Vorfahrt genommen.
Ich konnte es garnicht ahnen.
"Wie konnte es dazu kommen?"
"Ich wollte über die Straße. Es war grün, aber ein Fremder hat mich angefahren", sprach ich ruhig, doch bekam Panik.
Es würde doch nicht alles wieder von vorn beginnen oder?
"Hm", brummte sie nachdenklich.
"Du weißt, dass du mit mir über alles sprechen kannst?"
"Ich weiß und ich schätze es auch wirklich sehr wert", lächelte ich und lenkte vom Thema.
Sie war im Urlaub gewesen, deshalb hatten wir lange Zeit keinen Kontakt zueinander.
Sie hat im Urlaub geheiratet, für was ich mich freute.
Nach einer halben Stunde ging sie auch schon. Den Rest des Tages verbrachte mein Vater mit mir.
Zwei Tage darauf durfte ich gehen, mein Fieber hatte sich gelegt. Erdem hatte mich in den Tagen unzählige Male angerufen, doch ich hatte ihn blockiert. Anscheinend wusste er immernoch nicht, wo ich bin, doch umso besser war es für mich. Trotzdem war ich immernoch verletzt wie an Tag eins, denn die Sache war nicht schnell zu vergessen.
Stundenlang dachte ich an ihn, was er wohl mache. Ein Teil in mir bereute es, ihn verlassen zu haben, immerhin war seit Kurzem sein bester Freund verstorben. Trotz, dass er mich betrogen hatte, machte ich mir Vorwürfe, doch der Großteil in mir hasste ihn aufs Abscheulichste.
Zuhause machte es mir nicht leicher. Die Sache mit meiner Mutter legte sich Tag zu Tag, doch mein Bruder machte mich fertig. Neuerdings weiß Kaan nun auch, dass ich zurückgekehrt bin. Gestern kam er sogar wieder vorbei und es hat wirklich Niemandem, bis auf mich, gestört.
Ich hatte versucht von ihm zu flüchten, doch er verfolgt mich wie ein Albtraum. Es war gestern ein Desaster gewesen. Während ich auf mein Zimmer war, kam er rein und drohte mir, wie bei jeden Treff halt.
Heute waren mein Bruder und mein Vater geschäftlich unterwegs, meine Mutter bei ihrer besten Freundin.
Auch Aylin hatte erfahren, dass es zwischen Erdem und mir entgültig beendet ist. Auch ihre Anrufe ignorierte ich wie gekonnt, denn mir fehlten die Nerven, um es ihr zu erklären.
Bei mir in der Familie nahm es sowieso niemand ernst, dass die Tochter verletzt ist, bis auf mein Vater, doch was kann ein Vater schon tun? Eher ist es die Aufgabe der Mutter, die Tochter in schweren Zeiten zu unterstützen und etwas gegen den Liebeskummer zu tun, zumindest meiner Ansicht nach.
Um ein wenig Ablenkung zu holen, beschloss ich etwas spazieren zu gehen.
Da es Februar war, zog ich mich wärmer an und band zuletzt den Schal um meinen Hals.
Schlüssel waren hier keine, doch bis dahin wäre meine Mutter bestimmt zu Hause.
Es war kein langer Weg bis zur Innenstadt, also
holte ich mir einen Kakao bei Backfactory, um meinen Durst zu stillen. Einsam setzte ich mich in irgendeiner Ecke vor einem großen Fenster hin. Heute waren viele Leute mit ihren Familien und Freunden unterwegs, wieso auch immer.
Automatisch zuckte ich zusammen, als mich jemand antippte und ich mich am heißen Kakao verschluckte.
"Sorry Yenge", sagte Tarik beschämt und klopfte mir auf dem Rücken.
Ein wenig erstarrt sah ich ihn an, während er sich neben mir setzte und lächelte.
"Wie gehts?"
"Gut dir?", fragte ich etwas schüchtern.
Ich hoffte einfach nur, dass er mich auf das Thema Erdem nicht anspricht oder gar davon Bescheid weiß, doch beste Freunde sind nunmal beste Freunde.
"Gut."
Kurz herrschte Stille.
"Was machst du hier?", fragte ich ihn, als nichts mehr von ihm kam.
"Treffe mich gleich mit paar Freunden", lächelte er immernoch höflich.
"Wie gehts Alicans Familie?"
Sein Lächeln sank ein wenig.
"Ganz okay, sie sind naja fertig."
"Yenge?", fragte er.
"Ja?"
"Was ist passiert?"
"Zwischen dir und Erdem", ergänzte er.
Nervös biss ich mir auf die Lippe.
"Er hat Bahar geküsst", antwortete ich schließlich.
Auch wenn ich mich tagelang in den Schlaf geweint hatte, konnten meine Augen ihre Tränen nicht zurückhalten.
"Ich weiß, es klingt bestimmt dämlich, aber Erdem ist ohne dich richtig am Ende. Er bereut es, aber so richtig."
"Wenn sich Erdem so scheiße fühlt, was denkst du wie ich mich gefühlt habe, Tarik? Wieso hat er sie dann geküsst?"
"Yenge, ihr könnt doch jetzt nicht einfach getrennte Wege gehen. Ja mein bester Freund war ein großer, okay nein, er war der größte Bastard, aber er liebt dich so sehr, ihr beide könntet es nicht ertragen."
"Ach ich soll ihm verzeihen?", fragte ich sarkastisch.
"Halte erstmal Abstand von ihm. Du brauchst sicherlich Zeit um nachzudenken und um alles zu verdauen, aber verlass ihn nicht."
"Ich kann jemandem, der mich betrogen hat, nicht so einfach verzeihen. Vorallem, weil ich mein Vertrauen gegenüber ihm verloren habe."
"Sag mir wenigstens, wo du dich aufhälst. Er wird sonst noch psychischkrank, weil er denkt, dass du irgendwo draußen schläfst."
"Ich bin bei meinen Eltern."
"Okay, ich sag dem das", schmunzelte er.
"Er soll mich aber nicht besuchen, sonst würde es Schwierigkeiten geben."
Kurz nickte er und sah mir beim Schlürfen meines Kakaos zu.
"Bahar ist so ein Misstück. Ich wette, dass es ihre volle Absicht war", zischte er.
Ich blieb nur stumm, denn es war einfach nur unangenehm.
"Ich rede nochmal mit Erdem. Es war sein Fehler, er hat es verkackt. Ich hoffe es wird alles zwischen euch gut. Ich bin auf keiner Seite", grinste er wie ein Kind.
Leise lachte ich.
"Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich meine, was ist, wenn ich ihm verzeihe und er den gleichen Fehler begeht?"
Leicht überrascht sah er zu mir. Anscheinend hatte er mit dieser Frage zugleich Hilfe nicht gerechnet.
"Um ehrlich zu sein, weiß ich es selbst nicht, aber ihr wollt euch eure Zukunft doch nicht wegen einem Mädchen versauen lassen?"
"Lass ihn bisschen leiden und danach verträgt ihr euch-
"Stell dir vor, deine Freundin betrügt dich. Ich wette, du hättest sie sofort verlassen."
"Yenge, aber du hast ein zu gutes Herz. Ihr passt zusammen wie eine Faust aufs Auge. Ich werde ihn aber noch fertig machen, damit er nicht denkt, dass du so schnell verzeihst."
"Ich muss jetzt los", log ich, stand auf und nahm meine Tasche.
"Man sieht sich", lächelte er und ließ mich gehen.
Seine Worte hatten mich durcheinander gebracht. Ich wollte Erdem niewieder mehr sehen, nie wieder mehr, doch jetzt erwartet Tarik, das ich ihm verzeihe? So schnell geht das nicht.
Eine ganze halbe Stunde spazierte ich im Park und dachte nach.
Wieder einmal stiegen mir Tränen in den Augen. Momentan lief alles den Bach runter. Was würde noch passieren? Ich selbst wusste nicht, ob ich ihm verzeihen würde oder nicht.
1 Monat später
Immernoch ist alles so, wie es war. Von Erdem hatte ich gestern nach Langem einen Anruf bekommen, doch ich bin nicht rangegangen. Nach wie vor wohne ich bei meiner Familie.
Die Bindung zwischen mir und meiner Mutter hat sich gebessert, doch ein wenig Distanz steckt noch dahinter. Mazlum Abi ignoriert mich. Wenn es Momente gibt, wo er mir seine Meinung sagen kann, dann macht er es auch und das nicht harmlos.
Kaan machte mich nebenbei fertig, wenn er Mazlum Abi besuchen kam. Ich verkrafte es, irgendwie. Er ist der Horror zu mir, doch sollte ich draußen unter Brücken schlafen oder es aushalten?
Mir war aufgefallen, dass mein Vater sehr schwach wirkte, doch alles sei gut, so mein Vater.
Er war öfters auf Geschäftsreisen, was mir die Sache nicht erleichterte, denn ohne ihn fühlte ich mich so fremd.
Gerade hatte mich meine Mutter regelrecht gezwungen mit Mazlum Abi was zu unternehmen.
Er nahm mich mit zur Shishabar. Ich war nicht der Typ für eine Bar, doch meine Meinung war ihm egal.
In der Shishabar war es stickig, zig Blicke waren auf mir, als würde ein neues Mädchen in die Klasse eintreten.
Nach langem bekam ich die Freunde meines Bruders zu Gesicht, die früher nicht einmal ein Haar im Gesicht hatten. Heute tragen sie volle Bärte, so erwachsen sind sie geworden. Ich mochte sie, denn sie gehörten damals zu unserer Familie. Damals, wo die Zeit noch so sorgenfrei ablief.
Plötzlich setzte sich jemand neben mich. Ängstlich sah ich in das Gesicht von Kaan und senkte sofort wieder meine Blicke.
"Alles klar Süße?", provozierte er mich, sodass es niemand jedoch hörte.
Hilfesuchend sah ich zu Mazlum Abi, der nur grinste und mit seinen Freunden quatschte.
"Weißt du was?"
Aufeinmal spürte ich seine Hand an meinem Arm. Fest drückte er rein, sodass ich mein Gesicht leicht verzog.
"Erdem ist hier. Schau mal rechts", lachte er und zog an seiner Shisha.
Sofort verdoppelten sich meine Herzschläge. Das war das Letzte, was ich jetzt ertragen könnte. Neben Erdem saß ein Mädchen. Wer war sie? Und Tarik saß ebenfalls am Tisch. Und er will mir erzählen, dass sein bester Freund alles bereut? Er sieht gesund und munter aus, lachte sogar ab und zu.
Ich könnte meinem Herz Luft machen, am besten einfach nur in Tränen zerfließen, doch nicht am falschen Ort und schon garnicht am falschen Zeitpunkt. Es würde nur Stress geben.
Da Abi neben mir saß, versteckte ich mich etwas, damit ich nicht auffalle.
Leise hustete ich, als ich ungewollt den Rauch der Shisha von Kaan einatmete.
"Arschloch", kam rasch aus mir.
Überrascht sah er mich an.
"Verdient", lächelte er und legte einen Arm um mich.
Auf Provokation konnte ich nie eingehen. Mir war Weinen zumute, denn Kaan trieb mich in den Wahnsinn.
Nach einer halben Stunde wurde es mir allmählich langweilig.
Zum Glück redeten wenigstens die Freunde ein wenig mit mir, doch ich wollte nichts wie nach Hause.
Meine Blicke huschten alle dreißig Sekunden zu Erdem, der vertieft in seinen Gesprächen war. Das Mädchen neben ihm flirtete mit ihm. Selbst von meterweiser Entfernung merkte man es ihr an, dass sie Interesse an ihn hat.
"Ich frag mich, was der an dir findet. Alles Knochen", raunte er mir ins Ohr.
Plötzlich rutschte er mit seiner Hand zu meiner Taille.
"Im Bett wärst du langweilig", lachte er, was mir den Rest gab und ich seine Hand von mir wegschlug.
"Es reicht, halt deinen Mund!", schrie ich laut und erweckte von jedem Aufmerksamkeit.
"Was ist denn passiert?", fragte mein Bruder und stand ebenfalls wie ich auf.
"Schon eine ganze Stunde macht er mich fertig, ohne Grund!", schrie ich brüchig und nahm meine Tasche.
Vom Blickwinkel sah ich Erdem, der genau in meine Richtung blickte, doch mein Wille war, auf ihn zu verzichten.
Wütend ging ich zur Tür, gefolgt von Keinem.
Innerlich hatte ich klitzekleine Hoffnung, das wenigstens mein Bruder mir hinterherkommt, doch anscheinend würde er erst zu mir kommen, wenn ich sterben würde.
Unverzüglich lehnte ich mich an die Wand einer Gasse und begann zu weinen. Ich weinte mir die Seele aus dem Leib, all den Schmerz meiner Familie, all der Schmerz von Erdem und Kaan, einfach über jedes Geschehen, was mich ein Stück trauriger gemacht hat.
Der leichte Nieselregen wurde aggressiver. Inzwischen wurde mir klar, dass es nicht nur in Bollywoodfilmen vorkam, dass es anfing zu regnen, wenn man weinte, sondern selbst in der Realität zufällig der Regen ins Spiel kommt, wenn man weint. Es war zwar reiner Zufall, doch durch den Regen wurde mein Weinen immer schlimmer.
Immer einsam, wenn ich weinte. Immer in Stich gelassen, wenn ich Hilfe brauchte. Wie lang soll das ein Mensch nur durchhalten? Ich war doch nur ein kleines Mädchen, was Rechtsanwältin werden wollte.
Aus diesen kleinen sorglosem Mädchen ist eine Frau mit zig Problemen geworden.
Jeden Tag habe ich nächtelang geweint, kein Auge zugedrückt. Trotz meiner Schluchzerei kam niemand in mein Zimmer, dabei war mein Bruder um diese Uhrzeiten wach und genau neben mir war sein Zimmer. Auch wenn sich Geschwister stritten, existiert im Hintergrund die Geschwisterliebe. Wenn die Eltern alt werden und sterben, hat man doch nur noch die Geschwister, nicht wahr?
Soviel Druck in mir, soviel seelische Belastung und dann kann man einen psychisch am Ende gewesenen Menschen nicht verstehen?
"Wieso ich?", flüsterte ich vor mich hin, immer wieder und immer wieder wie ein verzweifeltes Kind.
Bitte lieber Gott hör mit dieser schrecklichen Prüfung auf. Schaff Kaan aus meinem Leben, wenigstens er.
Hingekniet sah ich zum dunklen Himmel.
"Schaff ihn aus meinem Leben!", schrie ich weinend.
Das Schicksal misshandelt mich.
Wie oft soll ich mir das noch anhören?
Dauernd ändert sich nichts an meinem Leben, keinerlei Erfolge, nichts.
Plötzlich spürte ich Arme um mich und hektischen Atem an meinem Ohr.
"Ich hab dich die ganze Zeit gesucht", hauchte er, als wäre er einen Marathon gelaufen. Erdem.
Unbeabsichtigt zuckte ich zusammen und nahm meine Hände aus meinem Gesicht. Schnell stoßte ich ihn von mir und wusch mit meinen halbwegs trockenen Ärmel über mein Gesicht.
"Was willst du hier?", kam erledigt aus mir, weswegen meine Stimme in Heiserkeit geriet.
In Stillschweigen hüllte er sich und sah zu Boden.
"Was ist eben vorgefallen?", kam nach einer langen Pause, in der nur das Regen auf den Boden prasselte.
"Seit wann geht es dich an? Du brauchst nicht deinen Beschützerinstinkt auf mich zu hetzen. Wir beide wissen ganz genau, dass du mit dieser Aktion deine angebliche Liebe gestehen willst, aber einer deiner naiven Betthässchen bin ich nicht, die alles, was aus deinem Mund kommt, glaubt."
"Geh und frag Tarik, wie es mir in diesem Monat ging, wie krasse Schuldgefühle ich hatte und zu dir wollte, aber ich wusste, dass du mir nicht verzeihen würdest."
"Bahar hat mich geküsst-
"Halt deinen Mund! Hör auf dauernd diesen Satz zu wiederholen. Immer wieder Erdem!", schrie ich und hielt mir weinend die Ohren zu.
"Melegim, wein nicht, vorallem wegen mir", flehte er beinahe und nahm meine Hände von meinen Ohren.
"Jeden Tag hat sich dieser Satz in meinem Körper wie ein Tattoo eingeprägt und jetzt das", sagte ich entsetzt eher zu mir selbst, doch auch er bekam es mit.
"Geh, verzieh dich zu Bahar. Sie ist wenigstens so erfahren und nicht so verklemmt wie ich. Kann ich verstehen, euch Männer geht es doch nur um eurer scheiss Vergnügung."
Unerwartet drückte er mich an seine Brust und legte seinen Kinn an meinem Kopf ab.
"Sag sowas nicht Özlem. Ich kann nicht mehr ohne dich. Ich selbst weiß nicht, wie ich fast sechs Wochen ohne dich verbracht habe."
"Wie soll ich dir nach so einem Geschehen noch glauben?", fragte ich und löste mich.
Wenigstens hatte er mir gesagt, dass zwischen ihm und Bahar was vorgefallen ist, doch nur, weil er mutig war, mir ein Geheimnis zu beichten, konnte ich ihm doch nicht einfach verzeihen?
"Frag Tarik."
Seufzend strich er sich durch die Haare und ging hin und her.
"Lass uns in meinen Wagen setzen. Es regnet."
"Ich bleib hier", gab ich stur und verschränkte meine Arme vor die Brust.
"Du wirst wieder krank Özlem. Los", drückte er mich nach vorn, doch ich wich seiner Hand aus.
"Willst du in Regen mit mir diskutieren oder was?"
"Ich selbst frage mich, was ich hier mache. Ich gehe", gab ich getriezt von mir und wollte gerade die Gasse verlassen, als er mich am Handgelenk festhielt und ich fest gegen seine Brust prallte.
"Lass es uns klären. Hör mir einfach zu."
Nachdem er sah, dass von mir nichts kam, fuhr er fort.
"Dieser Kuss, ich weiß selbst nicht, wie ich das tun konnte. Irgendwie waren wir beide einfach nur am Ende-
"Ach ein Kuss ist eine Art Trost?"
"Warte doch, ich schwöre, ich hab mich in dem Moment so scheiße gefühlt. Mir bist du in den Sinn gekommen. Ich wusste, dass du mich verlassen würdest, aber dich anzulächeln, innerlich den Gedanken zu haben, dass ich dich betrogen habe man fuck!", zischte er und boxte gegen die Wand hinter mir.
"Wegen dieser Schlampe geht alles den Bach runter. Denkst du ich würde sie besser als dich finden? Ich liebe dich, egal was, deine Macken, alles. Du bist so wertvoll, aber gleichzeitig auch einfach so kompliziert für mich, was dich noch interessanter macht. Irgendwie komme ich bis heute auf dich nicht klar, du bist einfach anders, ich weiß nicht wie ich das sagen soll."
In dem Moment klang er so verzweifelt und ging hin und her. Er war wütend, auf höchster Stufe gestellt.
Neben ihm wirkte ich wie ein zierliches kleines Mädchen, weil er so breit und groß war, das totale  Gegenteil vom Körperbau her von mir.
"Ich weiß, ich hab es richtig verkackt, aber gib mir eine zweite Chance. Ich mach alles wieder gut."
Gänsehaut breitete sich an meinem Rücken aus. Daraufhin folgte ein kalter Schauer und eine Art Stromschlag lief durch meinen Körper.
Er sprach die Wahrheit, das merkte ich, denn ich kannte ihn lang genug, doch würde ich mir nicht mein eigenes Bild vor ihm ändern? Wäre ich nicht die Naive, wenn ich ihm sofort diesen großen Fehler verzeihen würde? Auch wenn, dieser Fehler war meiner Ansicht nach nicht zu verzeihen. Betrug strahlte sovieles aus. Durch nur einen Betrug hat man bis zum Tod nur noch Angst, das man wieder in so eine Situation kommt und genau das war meine Angst. Wieder enttäuscht zu werden, wie es meine Familie getan hat.
Kurz sah ich in seine Augen und sah auch wieder weg, denn diese dunklen Augen verführten meine.
"Ich überlegs mir", gab ich von mir, doch bereute diese Wortart.
Wie arrogant klang das bitte, auch wenn meine Stimme zitterte. Ich fühlte mich schuldig, ihn versehentlich verletzt zu haben, wieso reagierte ich plötzlich so anders?
"Ich geb dir auch Zeit", sprach er und nahm meine beiden kalten Hände in seinen lauwarmen. Mit seinen großen Armen wärmte er meine, während ich das Chaos in mir versuchte zu ordnen.
"Lass in mein Auto."
Kurz schüttelte ich meinen Kopf. Gleich würde ich fliehen.
Eine Frage, die mir auf der Zunge lag, doch der Mut, der mich aufhielt.
Ob Kaan oder Mazlum sich auf mir hetzen werden, wenn sie erfahren, dass ich mich mit Erdem vertragen habe?
Nicht direkt vertragen, doch wir waren doch auf dem Weg uns wieder zu versöhnen, es hing von mir ab.
"Erdem?"
Fragend sah er mir in die Augen.
Ich, mit meiner kleinen Größe, musste meinen Kopf in den Nacken legen, um hinauf zu sehen und stotterte leicht.
"Du hast sicherlich mitbekommen, was eben-
"Ja, was war überhaupt los? Warum warst du mit denen? Vorallem Kaan dieser Bastard", wurde er wütend.
"Ich-
"Hat er dich angefasst?!"
"Lass mich ausreden. Ich.. Ich weiß nicht, was du fühlst oder denkst, wie du von mir denkst, aber Kaan hat es mir so oft an den Kopf geworfen, dass es sich in mir eingeprägt hat und ich mich gefragt hab, ob nicht auch du so von mir denkst."
"Erzähl", sprach er sanft und strich nebenbei meine Strähnen hinter meinen Ohren.
"Findest du mich zu dünn?"

ÖzlemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt