Kapitel 45

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Genau dann, als ich abspülen wollte, entdeckte ich Erdem an der Türschwelle stehen, der mich mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah.
"Du willst mich verarschen oder?", fragte er, etwas zu laut.
"Was?", fragte ich ahnungslos und spülte meinen Mund aus.
Ich würde ihm keinen Blick würdigen.
"Hast du dir den Finger in den Hals gesteckt?", schrie er und kam auf mich zu.
Obwohl ich mir selbst versprochen hatte, ihn nicht anzuschauen, schoss mein Kopf in die Höhe und meine Gesichtszüge waren auf entsetzt gestellt. War das sein Ernst?
Aufgebracht sah ich ihn eine Weile an.
"Warum bist du gekommen? Von mir aus könntest du die Nacht bei Bahar verbringen. Hast du mal auf die Uhr geschaut?", spuckte ich wütend aus mir.
"Finger in den Hals gesteckt?", lachte ich sarkastisch.
"Was unterstellst du mir bitte? Bin ich in deinen Augen immernoch krank oder was?", schrie ich nun.
Lange hielt es nicht, denn meine Augen füllten sich.
"Özlem ich-
"Nein lass es. Ich will nicht mehr mit dir reden", wich ich ihm schnell aus, um nicht vor ihm zu weinen.
Auf dem Weg zu meinem Zimmer wusch ich mir meine Tränen weg und spürte Druck an meinem Arm.
"Warte doch", sprach er genervt und drehte mich zu ihm.
"Was?", fragte ich kühl.
"Was laberst du von Bahar? Du weißt, dass ich sie trösten war", sprach er zornig.
Im Moment sah ich einen ganz anderen Erdem vor mir.
Wir waren uns so fremd.
"Du bist seit Tagen bei ihr und das bis in die Nacht", gab ich kleinlaut.
Seine Gesichtszüge hatten mich eingeschüchtert und verängstigt.
"Vertraust du mir nicht?", schubste er mich an die Wand und hielt seine Hände jeweils links und rechts von mir.
Wieso war er nur so aggressiv zu mir? Sonst hatte ich ihn so noch nie erlebt.
Aylin hatte Recht. Er kriegt mich dauernd so weich und gibt mir keine Chance ihm die Meinung zu sagen.
"Özlem sag was", sprach er wutentbrannt und drückte mein Handgelenk.
"Lass mich los!", wurde ich laut und schubste ihn weg von mir. Halte durch und mach ihn fertig. Du hast noch so vieles zu sagen.
"Es geht nicht ums Vertrauen. Du bist bei Bahar, wieso sollte ich denken, dass du sie tröstest? So wie ich dich kenne bist du in meinen Augen immernoch ein Arschloch. Und eins sag ich dir, merk dir eins. Dass Bahar die Freundin deines verstorbenen Freundes war."
"Dann war ich eben bei Bahar. Wenigstens hattest du genug Zeit, um dein Essen rauszubrechen."
Kurz schloss ich meine Augen, da mich dieser Satz innerlich zerstörte. Abrupt zog sich mein Magen zusammen, was Qual in mir bereitete.
Länger konnte ich ihn nicht mehr ansehen, so ging ich auf mein Zimmer und knallte die Tür zu. Wieso machte er mich mit meiner Vergangenheit so fertig? Genau dann, als ich damit abgeschlossen hatte?
Von Trauer erfüllt lehnte ich mich an die Tür und zog meine Knie an meinen Oberkörper.
In seinen Augen war ich immernoch das kranke, abgemagerte und seelischschwache Mädchen.
Durch seine Art war ich am Boden zerstört. Dieser Vorurteil, dabei war mir nur übel nicht mehr.
[...]
Schmerzhaft stöhnte ich auf und bemerkte meine kalte Körpertemperatur, als ich meine Hand an meinen Oberarm legte. Ich war auf dem Boden neben der Tür wohl eingeschlafen.
Der erste Gedanke, als ich aufstand war, dass ich mir Fieber eingeholt hatte. Kraftlos ging ich ins Bad und machte mich frisch. Mein Kopf dröhnte. Das gestrige Ereignis tauchte in meinem Kopf auf und verschaffte mir umso mehr Schwerigkeiten. Stille war in der kompletten Wohnung angesagt. Ich wette, er ist draußen.
Hunger hatte ich nicht, also verkroch ich mich wieder in mein Zimmer und schloss meine brennenden Augen. Wann war ich gestern eingenickt?
Plötzlich öffnete sich die Tür und Erdem kam zum Vorschein.
Nicht wie gestern, nein, seine Mimik war viel sanfter.
"Willst du nicht frühstücken?", fragte er vorsichtig.
"Nein ich hab doch Bulimie", gab ich kalt von mir.
Er sollte es zu spüren bekommen, dass ich seine Worte von letzter Nacht niemals vergessen würde.
Unser erster Streit.
"Es tut mir Leid", seufzte er und nahm meine Hand.
Plötzlich zog er seine Augenbrauen zusammen und legte seine Hand auf meine Stirn.
"Hast du Fieber?", fragte er leicht schockiert, was ich neutral bejahte.
Seine große Hand auf meiner Stirn zu spüren verschaffte mir ein gutes Gefühl, sodass ich mir innerlich wünschte, dass er seine Hand nicht wegnimmt.
Sein Gesichtsaudruck wurde immer weicher und unerträglicher für mich. Er machte mich so weich.
Seine Hand gelang zu meinem Rücken. Mit einem Ruck setzte er mich aufrecht hin und schlang seine Arme um mich.
"Herseyim bitte", nuschelte er in meine nackte Schulter, da mein Shirt verrutscht war.
Mit seinen feuchten Lippen hinterließ er einen zarten Kuss auf meinem Nacken, was für unbeschreiblich enorme Gefühlsausbrüche in meinem Magen führte.
"Was hast du bei Bahar gemacht?"
Diese Frage ließ mich seit Tagen nicht mehr in Ruhe.
"Hattest du was mit ihr?", fragte ich ruhig, doch könnte glatt losweinen.
"Fast", sagte er plötzlich.
"Naja Alican hat sie ausgenutzt, das hatte er mir auch gesagt. Sie ist eine Schlampe für uns gewesen."
"Wir haben uns geküsst."
Abrupt fror mein Blut ein. Meine Gesichtszüge entgleisten, meine vom Fieber kommende Schwäche starb aus. Ich war seelisch geschwächt. Mein Verstand donnerte. Dieser Satz hatte mein Leben verändert.
Uns geküsst.
Uns.
Ist ein Kuss denn kein Zeichen des Fremdgehens? Allein, dass man eine andere Frau besucht ist schon in meinen Augen unmöglich zu akzeptieren. Von Anfang an wusste ich, dass Erdem sich bei ihr wegen seinem Vergnügen aufgehalten hatte.
Die Hoffnung war verschwunden. Mein Vertrauen zu ihm verlosch, genau wie die Hoffnung, das er mein Anker war und mich stützen würde. Meine zitternden Lippen konnten nichts aus sich bringen. Der Kloß in meinem Hals tat mir schrecklich weh. Ich will ihn nicht mehr sehen, nie wieder mehr. Ich wollte mich in Luft auflösen.
Auch wenn sie eine Schlampe war, schämte er sich nicht? Auch wenn Alican mit einer Schlampe zusammen war, schämte er sich nicht seinem eigenen Freund in den Rücken zu fallen?
Seinem nicht lange her verstorbenem Freund sowas anzutun? Wie naiv konnte ich nur sein und zu Hause sitzen? Ich saß zu Hause und hatte ihm vertraut, während er sich mit einer Schlange vergnügt hat. Vertrauen war mein Fehler. Ich hatte das Gute in ihm gesehen. Erst jetzt wusste ich, dass Aylin mich immer gewarnt hatte. Von Anfang an. Auch wenn sie mir unverständlich erzählt hatte, dass ihr Bruder ein Aufreißer ist wurde mir erst jetzt klar, dass Erdem den Ruf eines Players in sich trägt. Er nahm die Treue garnicht ernst.
Klar, er ging nicht jede Woche mit jedem ins Bett, doch er hatte mich verarscht. Meine Liebe wurde nicht ernst genommen.
Wie leichtgläubig war ich nur?
Dachte er ich nehme diese Sache hin?
Mir wurde bewusst, wieso ich ihn so vergöttert hatte. Er war der Einzige, der mich unterstützt hatte und mich zu sich aufgenommen hat. Das er mir seine Hilfsbereitschaft gezeigt hat, hat mich davon überzeugt, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Ich war blind vor Liebe.
Mit beiden Händen vor meinem Gesicht begann ich zu weinen. Ich war umgeben von seinen Lügen. Gerade dachte ich noch, dass wir uns vertragen würden, doch ich hatte mich geirrt. Er hat ein anderes Mädchen geküsst.
Energielos stand ich auf und holte den Koffer unter meinem Bett heraus.
"Wohin?", hielt er mich auf.
"Weg", gab ich trocken von mir und wusch meine Tränen weg.
Vor ihm wollte ich nicht weinen.
"Warte nein, lass uns reden", hielt er mich an beiden Handgelenken fest du sah mich flehend an.
"Verdammt konntest du dich nicht einfach benehmen? Es ist deine Schuld. Ich hatte zu niemandem vertrauen, nur zu dir Erdem! Du hast mich getötet", schrie ich laut und brach in Tränen aus.
"Wieso hast du das getan? Hast du nicht daran gedacht, dass zu Hause jemand auf dich wartet und auf dich gezählt hat, während du die Lippen einer anderen Frau berührst?!"
Nebenbei stopfte ich jedes meiner Kleiderstücke in den Koffer und schloss ihn.
"Du kannst nicht gehen. Du hast doch Fieber", hielt er mich erneut auf.
Die Liebe quälte mich in dem Moment einfach nur. Mein Herz war so geschwächt von seinen Taten. Diese Lage verdeutlichte mir, dass es Zeit wurde. Zeit, das Leben in den Griff zu bekommen.
"Ab heute hast du mir nichts mehr zu sagen. Nichts", sprach ich zerbrechlich und nahm zuletzt meine Schuhe.
"Özlem warte bitte", flehte er und nahm meine Hand, die ich sofort wegschlug.
"Lass mich gehen."
Nachdem er mich tatsächlich losgelassen hatte, ging ich und weinte draußen los. Es regnete dabei noch stark, was die Situation einfach nur verschlimmerte. Mit meinem Fieber musste ich in dieser Kälte eine trockene Stelle suchen, doch meine Beine führten mich woanders hin. Zum Ort, andem ich vor Jahren stand, als ich von der Psychiatrie geflohen war. Als mich an dem Tag mein eigener großer Bruder nicht erkannt hatte. Mein Zuhause, meine Heimat. Der Ort, andem ich aufgewachsen bin. Der Weg hatte lang gedauert. Woher ich den Weg kannte wusste ich selbst nicht, doch der Hauptgedanke war, was auf mich zukommen würde.
Unüberlegt klingelte ich und schluchzte, als mir Erinnerungen in den Sinn kamen.
"Baba", flüsterte ich und fiel meinem Vater weinend um den Hals.
"Kizim?", sprach er leicht geschockt, doch schlang ebenfalls seine Arme um mich, was für mich einer der bedeutendsten Momente im Leben war.
"Du bist ja richtig nass", merkte er an und strich meine Haare zur Seite.
"Baba", flüsterte ich erneut und küsste seine Hände.
"Es tut mir so Leid, ich kann nicht mehr. Bitte verzeih mir", hauchte ich weinend und sah zu Boden.
"Komm rein."
"Wer ist zu Hause?", fragte ich ängstlich und sah in seine Augen.
Mit seinen Händen wusch er über meine Wangen.
"Niemand", lächelte er schwach und nahm meinen Koffer.
Es wurde nicht viel in diesem Haus getan. Paar Dekorationen wurden durch andere ersetzt, Kommoden wurden verschoben, der Rest war gleich. Der Geruch aus der Küche, den ich vermisst hatte. Alles war wie früher.
"Setz dich. Ich hol dir ein Glas Wasser."
Nickend setzte ich mich auf dem modernen Sofa und sah mich um.
Als er mir das Glas überreichte, setzte er sich neben mich und blieb still.
"Baba ich will nicht denken, was du gerade von mir denkst, aber ich bin obdachlos."
"Er..er ist mir fremdgegangen", flüsterte ich und stoppte die Tränen.
"Er ist was? Wirklich?", fragte er verdutzt.
Leicht nickte ich.
"Dauernd will ich mein Leben in Griff bekommen, aber es geht nicht. Ich kann ohne meine Familie nichts anfangen."
"Deine Mutter kommt gleich. Wir werden es klären und entgültig vergessen. Ich hab dich vermisst."
Die Worte aus dem Mund meines Vaters zu hören waren für mich goldwert.
"Ich dich auch."
"Geh dich erstmal umziehen. Danach reden wir in Ruhe."
Eilig nahm ich meine Sachen, verschwand ins Bad und machte mich frisch. Zuletzt föhnte ich meine Haare und band meine Haare zu einem lockeren Dutt. Selbst das Badezimmer brachte mir Erinnerungen, wenn mein Bruder und ich uns stritten, weil niemand den kleineren Bad im unteren und kalten Geschoss benutzen wollte.
Nachdenklich öffnete ich die Tür meines alten Zimmers und bekam einen Stich im Herzen. Nicht eine Sache war noch zu erkennen. Mein altes Zimmer sah wie ein stinknormales Gästezimmer aus. Ich war Vergangenheit für meine Familie. Desto länger ich mich hier aufhielt, desto mehr Vorwürfe machte ich mir. Meine Angstbauchschmerzen hörten nicht auf.
Eine lachende Frauenstimme riss mich aus meinen Gedanken.
Langsam bewegte ich mich Richtung Wohnzimmer. Ihre Augen trafen meine.
"Özlem?!", fragte sie ein wenig verhasst.
Mein Vater sprach irgendetwas mit ihr, doch so ruhig würde sie sich in meiner Gegenwart nicht verhalten. Es hatte sie wütend gemacht, was ich hier zu suchen hatte.
"Lasst uns alle setzen", schlug mein Vater vor, was jeder von uns dreien tat.
"Was machst du hier?", presste meine Mutter aus sich.
"Anne, ich will mich bei dir entschuldigen."
Ich sah wie ein kleines Kind aus, das sich beschämt entschuldigte.
"Es tut mir Leid. Ich hätte euch nicht so in den Weg stehen soll. Ich h-hätte Kaan einfach heiraten sollen."
Schwer schluckte ich bei seinem Namen.
"Mein Freund hat mich betrogen. Ich will alles vergessen und von neu anfangen,verstehst du? Es..ist nicht leicht und ich weiß auch, dass du mich hasst, aber bitte schmeiß mich nicht raus."
Am besten würde ich sie in den Arm nehmen, ich vermisste ihre Mutterliebe.
"Bitte nehmt meine Entschuldigung wenigstens an, damit sich die Sache gerade biegt und ich euch nicht ganz verliere."
"Obwohl ich euch schon verloren hab", ergänzte ich und verlor eine Träne.
"Ich hab ihre Entschuldigung angenommen und sie wird bei uns wohnen."
Verdutzt starrte meine Mutter ihn an.
"Das ist nicht dein Ernst?"
"Hast du sie nicht genug gelitten sehen? So oft hat sie sich entschuldigt, aber wir haben sie liegen lassen. Es ist mir egal, was passiert ist. Es ist unser Fehler gewesen. Wir haben sie gezwungen, es war klar, dass sie sich dafür wehrt", unterstützte mich mein liebevoller Vater, dem ich unendlich dankbar war.
"Wir haben nur eine Tochter. Ich kann sie nicht hassen und vergessen und ich weiß auch, dass du sie liebst."
"Sie hat sovieles durchgemacht. Wir können sie nicht rausschmeißen. Auch wenn sie nicht unser Feind ist steht im Koran, das wenn der Feind jemandem um Entschuldigung bittet, man sie annehmen soll. Man soll nicht ein Leben lang mit Streit leben."
"Sie darf hier wohnen, aber so leicht kann ich ihr nicht verzeihen-
"Es ist okay. Danke."
Das meine Mutter so schwer zu verstehen war, war mir klar. Sie spielte eher die Dramatische, dabei war die Sache endlich geklärt. Ich dankte meinem Vater so, dass er mir geholfen hat und tatsächlich hab ich es geschafft, die Versöhnung mit meiner Familie.
Nur noch mein dickköpfiger Bruder fehlte.
Die Sache mit Erdem war lange nicht gegessen, doch vor meinen Eltern wegen ihm zu weinen, wäre überflüssig.
Der Tag verging damit, wie ich ihnen erzählte, was alles in Laufe der Jahre passiert ist. Was die Sache Erdem betrifft wurde auch erzählt.
Er hat mich betrogen.
Dieser Satz schwirrte jede Sekunde in meinem Kopf herum.
Meine Mutter war immernoch kalt und sprach distanziert, doch es würde sich in den nächsten Tagen legen.
Plötzlich sah ich meinen Bruder, der eine Niketasche um den Rücken trug und mich sah.
Seine Blicke waren so gefährlich, dass ich innerlich Angst bekam und dachte, dass er mir eine verpassen würde.
"Nimm deine Schwester mit auf dein Zimmer. Für euch ist es Zeit, zu reden", sprach mein Vater zu ihm.
"Und wehe du tust ihr was", warnte ihn mein Vater.
Das mein Vater so beschützerisch war, wusste ich, seit ich denken konnte. Ich war eben nunmal seine Tochter. Diesem Mann war ich etwas schuldig.
Laut seufzte mein Bruder und ging ignorant auf sein Zimmer, gefolgt von mir.
"Ich weiß zwar nicht, was du in unserem Haus zu suchen hast, aber ich hoffe, dass es wenigstens einen vernünftigen Grund hat. Ich kann dich hier länger nicht ertragen."
Autsch. Das war ein Tritt in die Magengrube.
"Setz dich", sprach er genervt.
"Mach es schnell, ich hab keine Zeit."
Ängstlich sah ich zu Boden.
"Abi", sprach ich zum ersten Mal nach Jahren.
"Erdem ist untreu zu mir gewesen", wiederholte ich seit dem dritten Mal heute.
"Ich hab ihn sofort verlassen."
Seine Gesichtszüge wurden etwas weicher.
"Er hat dich betrogen?"
Schmerzerfüllt nickte ich.
"Und jetzt wo du kein Zuhause mehr hast, kommst du bei uns angekrochen stimmts?"
Genau das ahnte ich. Es war aber wirklich so. Genau dann, als ich hilflos auf der Straße stand, bin ich hierhin gekommen.
"Es ist nicht deswegen."
"Findest du nicht auch, dass wir uns langsam versöhnen sollten?"
"Nein, weißt du warum? Weil in dir ein großes Glück Misstück steckt. Hast du dir deinen Vater mal angesehen? Er hat abgenommen und ist allein wegen dir so gekränkt!"
Mit seinem Finger zeigte er auf mir.
"Aber aus Liebe meines Vaters akzeptiere ich dich erstmal. Deine Entschuldigung ist für mich wie Dreck auf dem Boden. Sie ist es garnicht wert."
Betrübt wusch ich meine Tränen weg.
Ich hatte heute literweise geweint.
"Du bist naiv", lachte er.
"Ich hab dir gesagt, dass er ein falscher Mensch ist. Wusstest du nicht, dass dein ach so toller Freund Drogen vertickt hat?"
Mir blieb die Spucke im Hals stecken. Jetzt auch noch das?
"Aber sind wir mal ehrlich. Du hast ihm nichts bedeutet. Du bedeutest Niemandem was Özlem. Komm aus deiner Traumwelt raus."
"Du bist das Letzte", spuckte ich aus mir und wusste nicht wohin.
Ich war mit den Nerven am Ende.
"Ich tu so als hätte ich dir verziehen, also bilde dir nichts falsches ein, wenn ich vor unseren Eltern auf glücklich tue."
Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ausgerechnet mein Bruder mich am meisten verabscheuen würde. Seine Worte waren ernst gemeint.
"Und jetzt geh."
Gekränkt ging ich ins Wohnzimmer und sah meinen Vater Zeitung lesen.
Es war so komisch und vorallem war die Atmosphäre nicht mehr auszuhalten. Niemand von ihnen akzeptierte mich, doch ich schätzte es, dass sie mich nicht rausgeschmissen haben. Sie haben mich aufgenommen und allein das sollte schon ein Grund sein glücklich zu sein.
Die Sache mit Erdem verfolgte mich wie ein Horror den ganzen Tag.
Wir haben uns geküsst.
Wieso ist er auf diesen Kuss eingegangen? Wer weiß, vielleicht war sogar er derjenige, der den ersten Schritt gewagt hat. Schnell schüttelte ich meine Gedanken weg und widmete mich meinem Vater.
"Du bist blass. Alles gut?"
Nein Baba, dein Sohn hat mich aller ernstes fertig gemacht, sodass ich in Tränen ausgebrochen bin.
"Ja, er hat meine Entschuldigung angenommen."
"Eigentlich sollte er sich bei dir entschuldigen. Ich meine-
"Baba lass uns die Sache vergessen. Wir reden irgendwann alle in Ruhe. Ich glaube mein plötzliches Auftreten haben sie nicht ganz realisiert."
"Bist du krank?", fragte er und fasste an meine Stirn.
"Ich hab mir einen leichten Fieber eingeholt, aber es geht schon", sprach ich schnell.
"Wieso hast du mir nichts gesagt? Du bist im Regen in der Kälte hierhin gekommen und hast dich kein einziges Mal hingelegt", schimpfte er leicht und überreichte mir die Decke.
"Deck dich zu. Ich sage deiner Mutter, dass sie dir Suppe zubereiten soll."
"Nein Baba, es geht wirklich", widersprach ich ihm und bat ihn hier zu bleiben.
"Weißt du ich kann mir das nicht vorstellen, dass Erdem so einer ist. Er hatte mir versprochen, dass er dich nicht verletzen wird."
Stirnrunzelnd sah ich zu ihm. Sie hatten sich begegnet?
"Wann?", fragte ich.
"Als du in Köln angefahren wurdest."
"Du warst da?", fragte ich überrascht.
"Wann?", fragte ich weiter.
"Du warst am schlafen. Gizem hatte es uns erzählt gehabt. Danach haben Erdem und ich uns unterhalten. Er kam vernünftig rüber."
"Er ist auch vernünftig. Es war ein Ausrutscher."
"Ein dummer Ausrutschter", ergänzte mein Vater und ich nickte darauf.
"Ich hätte nicht gedacht, dass du mit helfen würdest. Ich danke dir", bedankte ich mich und lehnte mich an seine Schulter.
"Ich hoffe es wird zwischen uns wieder wie früher", erhoffte ich mir.
"Kommt Essen", rief meine Mutter aus der Küche.
Ich war ihr nicht oft unter die Augen getreten. Sie selbst versuchte sich von mir fern zu halten, was mir das Gefühl gab, dass sie mich hier nicht haben will. Sie hatte auch nicht mit mir gesprochen. Komischerweise taten beide es für meinen Vater.
Stumm folgte ich meinem Vater und bemerkte die schwarzen Punkte vor meinen Augen, die sich doppelt vergrößerten. Plötzlich fiel mir ein, dass ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte und verlor mein Selbstbewusstsein.
"Baba", sagte ich schweratmend und hielt mich an die Wand fest.
Alles spielte sich vor meinen Augen nochmal ab.
Unser erster Streit.
Das Verlassen seiner Wohnung.
Die Entschuldigung an meinem Vater.
Die hasserfüllten Blicke meiner Mutter auf mir.
Die schmerzhaften Worte meines Bruders.
Und zuletzt, dass mein eigener Anker, der Jenige, den ich am meisten liebte, mich mit einer anderen betrogen hat.
Und das an Valentinstag.

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