Kapitel 50

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Es waren nurnoch ein und halb Stunden, bis wir ankommen würden. Özlem hatte die halbe Fahrt lang geschlafen, ich im Vergleich zu ihr nur eine Stunde. Zwischendurch hatten wir zwei Pausen eingelegt, dabei uns vieles zum Essen gekauft.
"Wie lange noch?", fragte Özlem erschöpft.
Ihr Hintern war eingeschlafen, weswegen sie sich nicht mehr hinsetzen konnte. Ich fragte mich, ob der Hintern wirklich einschlafen kann, anscheinend schon.
"Ein und halb Stunden", sagte Hilal und kicherte, als Özlems Kinnlade herunter fiel.
Mit einem Ruck zog ich sie zu mir auf meinem Schoß und drückte sie an mich. Die Beiden vorne würden nichts mitbekommen, da ich an der Seite saß.
Meine Beine streckte ich aus, da ich die ganze Zeit so verspannt wegen ihr sitzen musste, in Angst sie würde aufwachen.
"Ich freu mich so den Eiffeturm zu sehen", strahlte sie wie ein Kind und spielte mit meinen kurzen Barthaaren.
"Wirst du auch", sagte Tarik mit einem teuflischen Grinsen.
Lachend nahm sie einen Keks und stopfte sich diesen in ihren Mund. Ihr Gesicht war zu mir gedreht, sodass ich ihr dabei zusah und lächelte.
"Jogginghose beste Leben", grinste ich frech, doch sie verstand später erst woraus ich hinaus wollte und wurde rot.
"Schlaf ein wenig. Du siehst richtig müde aus", lenkte sie sofort und strich über meine brennenden Augen. Wir mussten auch morgens aufstehen, Schlaf hatte ich nur um die vier Stunden. Mit meinen Kopf lehnte ich mich nach hinten und sie legte ihren Kopf auf meine Brust.
[...]
Nachdem wir unsere Zimmer in den Hotels bekamen, machte sich jeder frisch. Özlem und ich hatten ein Zimmer, Tarik und seine Cousine beide ein getrenntes.
Özlem telefonierte ein wenig mit Aylin und berichtete ihr jedes Detail.
Nachdem wir beide uns vernünftige Kleidung anzogen, schlossen wir die Tür ab und spazierten zu viert um Paris herum. Den Eiffelturm betrachteten wir nur von der Ferne, da ich ihr den Heiratsantrag vor dem Eiffelturm machen würde und es dann noch schöner für sie wäre.
Während Tarik und Hilal alles organisierten, gingen Özlem und ich ein wenig shoppen.
Drei weitere Tage vergingen, an denen wir Özlem ablenken mussten. Sie war uns tatsächlich nicht auf der Spur gekommen, hatte nichts von unserem Plan bemerkt, doch wir hatten alles perfekt Geheim gehalten. Hilal hatte mir einen Zettel gegeben, worauf eine Predigt stand, die ich beim Antrag halten müsste, doch ich würde selbst sprechen, denn romantisch war ich sicherlich und zu dieser Zeit würde ich ihr mein Herz ausschütten.
Nach zwei weiteren Tagen war es soweit. Die Ringe wurden fertig gestellt, all unsere Bekannten wurden von uns besucht und eingekauft hatten die Mädels ohne Ende.
In der Nähe des Eiffelturms bereiteten Tarik und Hilal die Dekoration vor, während Özlem und ich uns fertig machten, da wir angeblich schick essen gehen würden. Sie zog sich ein schlichtes helles und etwas eng sitzendes Kleid an, ich einen eleganten Anzug. Dazu kombinierte ich meine Uhr und strich, föhnte und kämmte eine ganze Stunde an meinen Haaren herum, die ich gestern mir frisch schneiden lassen hatte. Zu meinem auffrischenden Undercut hatte ich meinen Bart gekürzt und perfekt formen lassen, sodass ich wie neugeboren aussah.
"Ich muss mit Tarik das Auto tanken gehen, okay?", sagte ich ihr Bescheid und verließ das Hotel. Draußen erwartete uns Tarik, der es kaum abwarten konnte. Er ebenfalls trug ein Hemd, ohne Sakko, und eine Hose.
"Hilal wird Özlem abholen ne?", fragte er und parkte. Ich bejahte.
Im Kofferraum nahm ich die Rosen heraus, für die ich mein halbes Guthaben opfern musste.
Kurz checkte ich meine Tasche durch, indem sich die rote Schachtel mit dem Ring befand.
"Ich komm mir so schwul vor. Stell dir vor ich fange an zu lachen, wenn ich deine Visage sehe", wurde ich nervös, denn es war riskant, ein weiterer Schritt nach vorn.
"Ich stell mich extra hinter dich, damit du nicht lachst", grinste er und nahm die Kamera.
Er würde alles aufnehmen, selbst meine Nervösität vor dem Antrag.
Angekommen sahen wir Hilal. Lauter verteilte Rosenblätter und Kerzen, die drohten auszugehen, doch mit der Luft kämpften, waren zusehen.
Luftballons um das Herz, was mit den Kerzen geformt wurde und indem wir stehen würden und eine Art Ständer, wo große einzelne Buchstaben drauf waren. Marry Me waren die Worte darauf.
"Ihr habt das gut hinbekommen", lobte ich beide.
Hilal schnappte sich meine Schlüssel und würde gleich Özlem abholen. Diesmal war die Ausrede, dass wir uns verlaufen haben und die beiden uns angeblich suchen müssten. Was besseres war uns nicht eingefallen.
Zeit zu Zeit fing die Nervösität in mir an, sich zu verbreiten und meine Hände schwitzten.
Hilal hatte rundherum Menschen aufgestellt, die Rosenblätter in die Hand hielten und aufgeregt auf die Braut warteten, typisch Hilal. Die Armen hatten sicherlich was Besseres zu tun.
Ich bereitete nochmal alles im Kopf vor, Tarik stellte die Kamera auf und die Menschenmenge wartete.
Nach zehn Minuten klingelte Tariks Handy, was hieße, dass sie in unserer Nähe waren.
Fest biss ich mir auf die Lippe.
"Los schnell, geh in dieses Herz rein", schubste mich Tarik ins Herz.
"Soll ich mich jetzt schon auf Knie gehen?"
"Dich auf Knie gehen?", fragte er laut lachend.
"Du hast ja die deutsche Sprache vergessen alter", lachte er weiter.
"Sag jetzt, ja oder nein?", fragte ich außer mir.
"Nein, wenn sie kommst nimmst du erst ihre Hand und alles. Danach, wenn ihr beide im Herz steht hälst du erst deine Rede und gehst dann auf die Knie, weil du Hundertprozent hinfallen wirst oder anfangen wirst zu lachen."
"Und dann?"
"Sagst du, ob sie deine Frau sein will. Wenn nein, dann springst du dort diese Brücke runter", zeigte er auf eine Art Brücke.
Ernst nickte ich und umarmte ihn brüderlich, bevor ich mich wieder ins Herz stellte.
"Ohne dich wäre ich so am Arsch", bedankte ich mich auf diese Weise.
"Da sind die!", rief er und schubste mich erneut ins Herz. All die Menschen folgten Tariks Finger und sahen zu Özlem, die erst garnichts erkannte.
Mit offenem Mund sah sie zu mir und dann zu Hilal. Sie war verwirrt, doch folgte dem langen Weg voller Kerzen, geschmückt mit einen roten Teppich, zu mir, während ich betete, dass sie Kerzen an bleiben, da es dunkel war. Naja nicht ganz dunkel.
Bei mir angekommen überreichte ich ihr meine Hand und zog sie zu mir ins aus Kerzen bestehende Herz. Danach gab ich ihr den großen Rosenstrauß. Meine Hand legte ich auf ihre Taille und umarmte sie fest, sie ebenfalls.
Sie kicherte und küsste heimlich meine Wange, während ich nach unten sah und die Umarmung in vollen Zügen genoss. Nach der Umarmung küsste ich ihre Stirn und nahm ihre beiden Hände in meine.
Die Menge applaudierte, ihre Augen füllten sich vor Freude, hoffentlich.
Mir wurde plötzlich heiß und sinnlose Fragen kreuzten auf. Ich wurde unsicher und verlor den Sauerstoff um mich. Kurz schluckte ich und sah ihr in die Augen.
"Özlem", lächelte ich und strich über ihren Handrücken.
"Mein Stolz, meine Ehre, meine Seele, ich hab mir gedacht, wie schön es wäre, dich an meiner Seite zu haben, neben dir aufzuwachen und zu wissen, dass du entgültig meins bist. Länger konnte ich diesen Gedanken nicht mehr behalten, sondern setzte diesen, heute, in die Tat um. Wir sind Anfangs zusammen nur durch Tiefen gegangen, doch haben den Weg zum Ziel gemeinsam gefunden. Ich danke dir so sehr, dass du für mich gekämpft hast, mich gestützt hast. Du bist die beste Frau, die beste Schwiegertochter und wirst eine wundervolle, fürsorgliche Mutter."
Ich wollte nicht um den heißen Brei reden, da ich es kaum erwarten konnte und ich vor ihr auf die Knie ging.
Geschockt hielt sie ihre Hand vor ihrem Mund und ließ einen Freudesschrei aus sich heraus.
"Erdem", hauchte sie mit Tränen in den Augen und grinste dabei wie eine Verrückte.
Auch ich grinste charmant und kratzte mich verlegen am Nacken.
"Die Liebe ist unerklärbar, ich finde die Worte passend dazu garnicht, denn Wörter, die besser als perfekt sind gibt es nicht. Die Liebe ist unbeschreiblich, du bist unbeschreiblich. Willst du meine Frau werden, mich jeden Tag ertragen und bis zum letzten Atemzug meins sein?", fragte ich, als ich die Schachtel herausholte und diese öffnete.
"Ja!", schrie sie und fiel mir um den Hals.
Nachdem wir uns voneinander lösten, nahm ich ihre Hand und steckte den Ring in ihrem Finger. Ich bekam fürchterlich krasse Gänsehaut. Schauer liefen mir über meinem heißen Rücken. Sie hat Ja gesagt. Sie ist meins.
All die Menschen klatschten laut, pfiffen und bejubelten uns, während wir unser Glück genossen und ich sie fest in die Arme nahm.
"Ich liebe dich", flüsterte ich in ihre Schulter.
"Ich dich auch", drückte sie mich fester.
Das Publikum warf Rosenblätter auf uns und Hilal und Tarik gaben uns die Luftballons, die wir zusammen nach oben zu den Sternen fliegen ließen.
"Ich schlage vor wir gehen das fett feiern!", schrie Hilal zu uns. Wir lachten nur und wieder sah Özlem zu mir. Wir umarmten Tarik und Hilal.
"Oh Gott das ist so süß", küsste sie mich unzählige Male auf die Wange und ich genoss diese Küsse nur.
Tarik nickte mir zu, als Zeichen, das ich dies nun ohne einen Fehler begannen zu haben, hinter mir hatte. Sie sah pausenlos zum Ring und grinste vor sich hin.
Nun hatte ich auch dieses ohne Angst überwindet, schließlich war es eine Entscheidung, die bis zu unserem Lebensende mit uns gehen würde.
Einer meiner glücklichsten Momenten meines Lebens, diesen erlebte ich gerade hautnah mit der Frau meines Lebens.
Ihre kleinen Finger verschränkte ich mit meinen und gingen, nachdem wir Tarik und Hilal kurz Bescheid gaben. Sie würden alles weg räumen, während wir schick Essen gehen würden. Es war in der Nähe des Eiffelturms, was die Atmosphäre mehr in Romantik pumpte.
Sie sah dauernd zu ihrem Ring und war glücklich ohne Ende und genau das war mein Ziel. Aus dem zerbrechlichem Mädchen eines der glücklichsten zu machen.
Nachdem wir stundenlang in einem Restaurant vebrachteten, spazierten wir die lebenden Straßen entlang. Zwischendurch kauften wir uns Sachen oder auch Zuckerwatte.
Wir hatten uns auch verlaufen, doch konnten uns anhand des Eiffelturms orientieren. Im Hotel angekommen begegneten wir eine aufgedrehte Hilal, die frech grinste und es kaum abwarten konnte, Özlem auszufragen. Doch sie würde erst mit Tarik Essen gehen, während wir beide uns unsere Schlafanzüge anzogen.
Özlem kam aus ihrem Kleid nicht raus, also ärgerte ich sie erst, aber half ihr dann ihren Reißverschluss aufzubekommen. Es war stickig im Raum, weshalb ich mir mein Shirt auszog und mich ins Bett legte. Wenig später kam sie dazu und rief Aylin an. Sie berichtete von A-Z, während ich sie nur angrinste und sie ebenfalls.
An ihrem Hals erkannte ich die Kette, die ich ihr in der Psychiatrie geschenkt hatte. Eine schlichte Silberkette mit einem eleganten Diamanten. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie es öfters getragen hatte, was mich zum schmunzeln brachte.
Özlems Sicht:
Wir verbrachten jeden Tag draußen und hatten sogar Disneyland besucht. Wir würden nur noch drei Tage hier in Paris bleiben und danach wieder zurück nach Deutschland fahren, was echt traurig war.
Wir machten uns alle fertig, um Tariks Tante zu besuchen, da sie uns alle herzlich eingeladen hatte. Plötzlich klingelte Erdems Handy, doch er föhnte sich im Bad die Haare.
"Deine Mama ruft an", rief ich laut.
"Geh dran, bin gleich fertig", rief er zurück.
"Hallo?", fragte ich in den Hörer.
"Özlem?", fragte sie mich. Sie klang krank. Wahrscheinlich hatte die schnupfen.
"Ja ich bin es. Erdem macht sich gerade fertig", beantwortete ich ihre Frage, wieso ich ans Handy gehe.
"Geht es dir gut?", fragte sie leise.
"Ja", lächelte ich.
Stille. Unerwartet hörte ich ein Schluchzen aus dem Hörer.
In dem Moment kam Erdem raus.
"Ist was?", fragte er.
"Sie weint", zeigte ich zittrig mit den Fingern auf sein Handy.
"Anne?", fragte er erschrocken.
Währenddessen lehnte ich mich an die Wand und sah ihm zu, wie er wie ein Verrückter durch den Raum hin und her ging und sich dauerhaft durch seine Haare strich. Es war etwas passiert, denn er wurde blass und wütend.
"Ja hab ich", sagte er und legte auf.
"Was ist passiert?", fragte ich ihn und klammerte mich leicht an seinem Oberarm, den er angespannt hatte.
"Du willst nicht wissen was passiert ist. Aylin ist abgehauen", zischte er und wurde laut.
"Ich fahre dahin. Sie wird sowas von sehen", sah er zum Boden und hatte beide Hände an seiner Stirn.
"Sie ist schwanger", ertönte plötzlich wie aus heiterem Himmel. Seine Stimme zitterte, er zitterte, er zitterte vor Wut.
War es der Zeitpunkt, andem ich ihm sagen sollte, dass ich es von Anfang an wusste? Dass ich nach Serhat die zweite Person war, die davon erfuhr?
"Bleib hier. Es sind nurnoch drei Tage bis zur Abfahrt", versuchte ich ihn zu beruhigen.
Er schüttelte seinen Kopf.
"Ich sage meinen Jungs, dass sie sich  Serhat schnappen sollen. Ich werde mir Aylin vorknöpfen", sprach er wütend.
"Gewalt ist keine Lösung", sprach ich idiotisch.
Mehr fiel mir nicht ein?
"Das interessiert mich nicht. Allein der Gedanke, das", wütend stand er auf und fluchte.
"Sie war blind vor Liebe und hat daran garnicht gedacht", versuchte ich ihm klar zu machen.
Irgendwie musste ich sie beschützen, denn Erdem war wütender denn je. Langsam bekam ich sogar Angst.
"Özlem würdest du dich unter mir legen, auch wenn du mich liebst? Sogar, wenn ich die Lust dazu hätte, würde ich dich niemals flachlegen, sogar, wenn ich im Hinterkopf wüsste, dass du mich heiraten wirst. Weißt du wieso? Weil nicht nur dir, sondern auch mir deine Ehre was bedeutet. Hast du Ehre, bist du ein ganz anderer Mensch, als wenn du keine Ehre hättest. Aylin hat diesen Fehler getan und wird dafür büßen. Die Heirat mit Serhat kann sie streichen!", schrie er laut durch das Zimmer.
"Wie dumm muss man sein, um nicht zu verhüten, wenn man schon auf so eine Idee kommt? Wie kann man nur so hohl sein? Dieser Hurensohn", brüllte er aggressiv.
Ich traute mich nicht, was zu sagen, denn seine Fäuste zitterten. Er ließ seine Wut heraus.
"Sie hat sich so eine gute Erziehung gegönnt, ich versteh nicht, wie sie ihre Ehre wie aus dem Nichts verlieren konnte. Sie kann stolz sein, dass ich Serhat überhaupt akzeptiert habe. Ich schäme mich so, diesen Bastard in unserer Wohnung gelassen zu haben. Meine Eltern weinen bestimmt, weil sie ihre einzige Tochter nicht mehr wieder erkennen. Sie fragen sich, was sie in ihrer Erziehung falsch gemacht haben, dabei haben sie sowas nicht verdient, auf diese Art verletzt zu werden."
"Lass uns sie anrufen", umarmte ich ihn und strich beruhigend über seine Brust, damit er sich beruhigt, denn er war auf 180.
Ich nahm mein Handy heraus und wählte ihre Nummer.
"Lass mich erstmal reden, okay?", fragte ich ihn.
Er seufzte laut, aber nickte schließlich.
Unsicher lächelte ich, als er meine Hand nahm, damit ich ihn wieder beruhige, was ziemlich süß von ihm war.
"Aylin?", fragte ich, als ich ein Rauschen hörte.
"Özlem ich hab Scheiße gebaut", weinte sie darauf.
"Ich weiß grad garnicht, was ich tun soll. Meine Eltern haben es erfahren und ich konnte nicht anders, als abzuhauen", schluchzte sie.
"Wo bist du gerade?", fragte ich ein wenig besorgt.
Schließlich war sie meine beste Freundin und steckte gerade in einer schlimmen Lage.
"Mit Serhat. Ich bin im Auto. Er tankt gerade."
"Wohin fährt ihr?"
"Ich weiß es nicht."
Kurz sah ich zu Erdem, der mit zusammengezogenen Augenbrauen zu unseren Händen sah, deren Finger miteinander verschränkt waren.
"Erdem und ich fahren gleich nach Deutschland. Wie fahren gleich los. In der Zeit will ich euch beide dort erwarten. Serhats Familie soll ebenfalls da sein, damit wir die Sache klären, okay?", versuchte ich zu schlichten.
"Ich hab so Angst-
Rasch riss mir Erdem das Handy aus der Hand.
"Was lässt du dich dann ficken? Hattest du da nicht Angst? Angst, das du den größten Fehler deines Lebens begehst?", sagte er laut ins Telefon.
Sie legte auf.
"Erdem was hatte ich dir gesagt?", sprach ich hoffnungslos und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
"Klärt das unter eurer Familie, bevor ihr es unabsichtlich verbreitet. Es ist besser, wenn nur zwei Familien von der Schwangerschaft wissen, nicht der komplette Stammbaum."
"Willst du hier bleiben oder kommst du mit?"
"Ich komme mit", lächelte ich ihn an.
"Eigentlich wollte ich nicht, dass es so abläuft. Tut mir Leid Herseyim."
"Egal, hautptsache habe ich den schönsten Antrag bekommen", zeigte ich ihm meine Zähne.
Sanft küsste er meine Stirn und rief Tarik an, der schneller als gedacht kam.
"Was ist los?", fragte er, als er unsere ernsten Gesichter sah.
"Ich muss zurück nach Frankfurt."
"Wieso?", fragte er verwundert.
"Aylin hat Scheiße gebaut. Ich klär dich auf dem Weg auf, grüß deine Tante von uns Beiden."
"Müssen wir dann mit dem Zug kommen?", seufzte er genervt.
"Nein Tarik, ihr fliegt mit Engelsflügel. Ruf Hilal, wir verabschieden uns schnell und fahren los. Die Fahrt wird noch dauern."
"Ach und wenn du mein bester Bruder bist, kannst du unsere Koffer nach unten tragen und uns vom Hotel abmelden", sagte Erdem ernstklingend.
Er wusste nicht, wie er handeln soll, wie er reagieren soll und was er als nächstes tun soll. Wie er mit Aylin handeln soll und umgehen soll. Wie er all dies verarbeiten soll.
Alles ging schnell. Flüchtig verabschiedeten wir uns von Hilal und Tarik und stiegen in den Wagen. Erdem rauchte schnell eine und Tarik gab ihm zwei Redbulldosen, falls Erdem müde wird.
Es herrschte eine angespannte Stimmung. Ich traute mich nicht, ihn darauf anzusprechen.
"Wusstest du davon?", fragte er unerwartet.
"Ja, sie dachte, dass sie es verbergen kann, also bis zur Hochzeit."
"Falsch gedacht, wieso hast du mir nichts gesagt?"
"Ich wollte nicht, dass du sie verletzt und andersrum", piepste ich nervös.
"Trotzdem. Ich hab dir doch auch von Bahar erzählt und es hat mich monatelang Beziehungsstress gekostet. Ich wusste, dass du wegen dieser Sache am Ende wärst und trotzdem hatte ich es dir gesagt, also wieso konntest du es mir nicht einfach sagen?"
Ich schwieg, denn er hatte Recht. Er erzählte mir alles und ich hatte ihm so ein großes Geheimnis verschwiegen.
"Tut mir Leid", sagte ich leise.
"Fällt dir aber schnell ein", sagte er genervt.
Ich fühlte mich schlecht und schuldig. Auch ich war für seine Laune zuständig und daran beteiligt.
"Ich wollte sie in Schutz nehmen."
"Sei einfach ruhig", sagte er gestresst.
Die Art, wie er mit mir sprach verschaffte mir unzählig schmerzhafte Schläge. Meine Tränen blinzelte ich rechtzeitig weg und sah fast eine ganze Stunde nur aus dem Fenster. Niemand redete in dieser Stunde.
Ich schlief danach ganze zwei Stunden. Es waren nur noch gerundete drei Stunden bis wir angekommen sind. Ich musste dringend auf Toilette, doch weil er so wütend war versuchte ich es auszuhalten.
Wir hatten zwar eine Pause eingelegt und trotzdem war ich nicht auf Toilette gegangen, da es mir erst danach eingefallen war.
Mazlum schrieb mir. Ich würde ihm eine Überraschung machen und nicht verraten, dass ich auf dem Weg war. Er wusste von Anfang an, dass Erdem mir einen Heiratsantrag machen wollte. Erdem hatte sich schließlich eine Art Erlaubnis von meiner Familie genommen, um später nicht in Schwerigkeiten zu kommen.
Ich hielt es nicht mehr aus.
"Ich muss pinkeln Erdem", sagte ich peinlich berührt.
"Sind in wenigen Sekunden an einem Rastplatz."
Ich nickte und wartete. Angekommen stieg ich aus und erwartete, dass er auch mitkommen würde, doch er rührte sich nicht.
"Kannst du mitkommen?"
"Wieso?"
Laut knallte ich die Tür zu und ging in die Gastronomie. Ist ja nicht so, dass ich Angst habe.
"Entschuldigen Sie? Wo sind die Toiletten?", fragte ich den Kassierer.
"Unten die Treppe runter gehen."
Ich bedankte mich und ging die Treppen runter. Erst später bemerkte ich den Mann, der vor den Toiletten saß und Geld sammelte. Er sah nicht gerade nett aus, denn er beobachtete mich pausenlos.
Ich schluckte und las innerlich Suren, denn es war bis auf uns nur eine Frau da, die ihre Hände wusch und gleich verschwinden würde.
Schnell entleerte ich meine Blase und wusch flüchtig meine Hände. Plötzlich stand er auf und bewegte sich in meine Richtung, doch ich konnte rechtzeitig entkommen. Ich hatte Höllenangst. Erdem machte irgendwas im Kofferraum und ging wieder nach vorn.
Ich stieg ebenfalls ein und schnallte mich an.
Nach langer Fahrt kamen wir endlich an, vor seiner Haustür. Ich hatte ihm gesagt, dass er mich nach Hause fahren soll, aber wieso auch immer, hatte er mal wieder nicht auf mich gehört.
Ausgestiegen streckte ich mich erstmal so richtig.
Ohne jegliche Vorwarnung umarmte er mich fest. Ich verstand nicht recht, erwidern tat ich auch nicht.
"Ich komme nicht mit rein", murmelte ich in seiner Brust.
"Lüften(bitte)."
"Ich gehöre nichteinmal zur Familie und habe nichts zu suchen. Ihr klärt das unter euch. Deine Eltern werden es nicht gern haben, wenn eine dritte Person mithört."
"Du bist aber meine Familie", hauchte er verführerisch gespielt.

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