Das Monster

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„Lucius?", erschrocken schaute Mutter mich an, als sie mich auf den Fluren der Heilanstalt entdeckte.

„Nein Mutter. Ich bin Draco.", antwortete ich ihr lautstark, zähneknirschend erneut. Zu oft hatte sie mich die letzten Tage mit ihm verwechselt. Und niemand wird gerne für eine Person gehalten, die man abgrundtief hasst und verachtet.

Zusammen mit einem Mann in einem weißen Kittel lief die blond-brünette Frau weiter auf mich zu.
„Nun der Zustand ihrer Mutter wird von Tag zu Tag schlechter. Fast von Stunde zu Stunde könnte man sagen. Ich habe keine Spur von einem Fluch oder dunkler Magie entdecken können.", wand der Herr sich nun direkt an mich, als sie vor mir zum Stehen kamen.

Ich hatte Mutter vor ein paar Tagen hier eingewiesen. Sie sollten sie nochmals untersuchen. Prüfen, ob sie verzaubert oder verflucht wurde und wieso sich ihr Zustand gerade jetzt so unglaublich stark verschlechterte. Vor drei Tagen war mir der Geduldsfaden gerissen, als sie erst versucht hatte Vater und anschließend Lord Voldemort persönlich zu kontaktieren. Aus irgendeinem Grund sprach sie seitdem nur noch davon, dass der Dunkle Lord Harry Potter töten wollte und ich Dumbledore umbringen müsste. Also entschied ich, dass ich es keine Sekunde mehr mit ihr Zuhause aushalten würde und brachte sie in diese Heilklinik. Hier wurden Zauberer und Hexen untersucht, wenn sie unter magischem Einfluss standen.

„Das haben Sie vor einem Monat auch schon gesagt und da war es bei weitem nicht so schlimm. Sie lebt in der Vergangenheit. Sie muss doch besessen sein.", energisch und wütend musterte ich den Arzt vor mir der Mutter in der Hand hielt und mir diese langsam überreichte.

„Leider Mister Malfoy vermute ich, dass dies nichts mit Zauberei zutun hat. Wir können ihrer Mutter leider nicht helfen. Sie sollten einen Arzt außerhalb der magischen Welt aufsuchen. Dort sind diese Symptome sehr eindeutig."

„Lucius? Wo ist Bellatrix?", verwirrt griff die Hand meiner Mutter meine und fragend schaute sie mich an.

„Sie meinen diese Symptome sind eindeutig? Was soll das sein? Sie wurde nie obliviert oder so etwas.", entschied ich mich dazu meine verwirrte Mutter zu ignorieren und schaute erneut den Mann vor mir an.

„Ich bin kein Arzt in diesem Fachgebiet. Aber vermutlich leidet ihre Mutter unter Demenz. Entschuldigen Sie Mr. Malfoy. Ich kann Ihnen da leider nicht helfen. Ich wünsche Ihnen nur das Beste Mrs. Malfoy.", eilig lächelte er meine Mutter nochmal an, bevor er sich einfach umdrehte und den langen Gang der Anstalt hinunter stolzierte. Ärzte eben. Danke für gar nichts.

„Wir müssen nach Hause Draco, dein Vater wartet.", hörte ich dann wieder leise neben mir.

Natürlich kannte ich den Begriff der Demenz. Ich hatte es mal aufgeschnappt, als ich damals unter Muggeln leben musste. Allerdings musste ich mich nie wirklich mit dem Thema auseinandersetzen.

Nachdenklich apparierte ich mit Mutter an der Hand nach Hause. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Nur wusste ich, dass ich es nicht schaffen würde mich tagtäglich ihren Fragen zu stellen. Diese Fragen nach Vater, nach dem Dunklen Lord oder noch schlimmer... nach Harry Potter. Ich konnte diese Fragen einfach nicht ertragen.

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Am Abend lag ich in meinem Bett und starrte auf meinen vernarbten und verkrusteten Unterarm. Ich hatte heute versucht mich nicht zu verletzen was bedeutete, dass der Arm gerade mal nicht blutete. Allerdings drängte mich mein Kopf trotzdem dazu mir weh zu tun und das schreckliche Gefühl der Hoffnungslosigkeit verankerte sich in meinen Gedanken, welches normalerweise mit dem Schnitt der Klinge wie weggeblasen wäre.
Meine immer kranker werdende Mutter, mein Sohn, der es in Hogwarts schwer hatte und der Job, den ich verloren hatte, weil ich wegen Blaise ausgerastet war, Astoria...
Ich wusste nicht, wieso ich mich heute dazu entschieden hatte, nicht zur Klinge zu greifen... vielleicht, weil ich Angst hatte, es würde nichts bringen und die Gedanken würden weiter in meinem Kopf rumschweben.

Immer wieder war ich den Nachmittag durchgegangen, bei dem Hagrid mich nach Hogwarts beordert hatte und ich letztlich mit Potter auf dem Quidditch Feld gelandet war. Ich hatte jeden Satz, jede Gestik und jede Mimik von dem Gryffindor analysiert und mich so von den anderen Problemen abgelenkt. Stundenlang konnte ich die Gedanken so verdrängen.

Stumm richtete ich mich auf und lenkte meinen Blick vom Unterarm weg auf das Nachtschränkchen neben mir.
In ein paar Tagen war der Ball des Wiederaufbaus und immer noch war ich mir unsicher, ob ich an diesem teilnehmen sollte oder nicht. Potter hatte so zufrieden ausgesehen. Er war glücklich und so sehr mich dies innerlich betrübte, desto mehr freute es mich für ihn. Offenbar hat er das Leben bekommen, welches er sich so sehr erträumt hatte. Eine große glückliche Familie, ein toller Job und inneren Frieden.

Ich seufzte leise und öffnete die Schublade, in der der Brief mit der Einladung lag. Würde ich zu dem Ball gehen, würde ich viele spöttische Blicke erhalten. So, wie damals als ich nach der Schlacht wieder nach Hogwarts musste. Schlimmer konnte es also kaum werden. Vielleicht hätten ein paar jüngere Schüler sogar noch Respekt oder sogar Angst vor mir, das wäre vermutlich noch am besten.
Schließlich musste ich mir die Frage stellen, wieso ich überhaupt daran dachte, die Einladung anzunehmen und etwas unaussprechliches in mir wusste genau, warum ich nach Hogwarts wollte. Die Lehrer, die Schüler, und das alte Gemäuer waren wohl kaum ein Grund dafür.

Vorsichtig stand ich aus dem Bett auf und mit der Einladung ging ich hinüber zu dem alten Frisiertisch von Astoria, der gegenüber von dem Bett stand. Der Tisch hatte mehrere kleine Schubladen, die noch immer mit Astorias Kosmetik gefüllt waren. Pinsel, Farbpaletten und Lippenstift in jedem Rotton der existierte. Und jede menge anderes, wovon ich keine Ahnung hatte.

Stumm ließ ich mich auf dem hellgrünen Stoffhocker an dem Tisch nieder und zündete die moderne Lampe, die auf dem Tisch stand, an, die das Schlafzimmer in ein gemütliches Licht hüllte. Anschließend betrachtete ich das Elend, welches mein Spiegelbild sein musste.

Ich trug nur eine Boxer Short, weshalb mein Oberkörper frei war. Auf den Schultern waren viele feinere, aber ältere Narben, die sich über die Jahre angesammelt hatten. Wodurch, wusste ich teilweise gar nicht mehr. Die meisten Narben an meinem Körper, außer die, an meinem linken Unterarm, waren vermutlich durch die Schläge meines Vaters entstanden.
Dann schaute ich in mein Gesicht. Ich hatte mich seit dem Besuch in Hogwarts nicht mehr rasiert, weshalb ein hellblonder Flaum meine Wangen bedeckte. Selten war ich in den letzten Tagen aus dem Haus gegangen. Wozu also der Aufwand?
Augenringe zierten ebenfalls mein Gesicht. Kein Wunder- ich schlief seit Astorias Tod von Nacht zu Nacht weniger. Kurz wand ich meinen Blick von dem Spiegel ab und schaute auf die Uhr, die über einer Kommode hing.

4.18 Uhr

Ich legte meine kalten Fingerspitzen auf meine geschlossenen Augenlieder und spürte meine Augen darunter zucken. Irgendwann würde ich vermutlich gar nicht mehr schlafen können, also sollte ich doch froh über drei Stunden pro Nacht sein, oder?

Nach einigen Momenten in denen ich mich weiter im Spiegel bemitleidend anschaute öffnete ich eine der Schubladen des Tischs. Ich suchte gezielt nach einem Blatt Pergament, um Hagrid mitzuteilen, ob ich zu dem Fest kommen würde. Eigentlich waren in dieser Schublade immer Papier und Feder gewesen- dachte ich zumindest- allerdings fand ich dort etwas anderes.

Sofort verkrampfte sich mein Magen und wie erstarrt musterte ich den Inhalt der Schublade.
Darin befand sich eine schwarze kleine Schachtel aus Samt.

Schweren Herzens nahm ich diese und drehte sie erstmal langsam nachdenklich in der Hand, bevor ich sie vorsichtig öffnete.
Dunkelroter Stoff schützte einen silbernen Ring, der mit vielen kleinen Kristallen umrandet war. In der Mitte befand sich ein großer grüner Diamant. Astorias Ehering.

Ich schluckte schwer. Ich hatte ganz vergessen, dass ich den Ring nach ihrem Tod dort hineingelegt hatte. Vermutlich war ich zu diesem Zeitpunkt nicht Herr meiner Sinne gewesen. Seitdem hatte ich die Schublade nicht mehr geöffnet, bis jetzt.

Gefühlt verging eine Ewigkeit, in der ich den Ring musterte und es wäre nicht möglich gewesen, jemandem zu beschreiben, was dieser alles in mir auslöste. Trauer, Wut, Hass, Liebe, Einsamkeit. Vermutlich war von jeder Emotion etwas dabei.

Schließlich sah ich erneut mein Spiegelbild.

Nichts. Keine Emotion. Nur das Monster, was die Jahre über erschaffen wurde.

Die Trümmer der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt