Angst, Potter?

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„Harry wo bist du? Du bist nicht im Büro. Wir waren doch zum Essen verabredet?", hörte ich die besorgte Stimme von Hermine am anderen Ende der Leitung.

„Ich melde mich später.", flüsterte ich monoton ins Telefon.

„Harry...was ist...".
Ich legte auf und starrte auf den hellen Linoleum Boden vor mir. Um mich herum hörte ich ein Gewusel aus Stimmen. Personen mit weißen Kitteln und Schwestern mit Schürzen liefen immer wieder hektisch an mir vorbei. In der Ferne hörte ich ein Telefon klingeln und die Antwort der Schwester: „St. Mungo-Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen, wie kann ich Ihnen helfen?". Es roch nach Desinfektionsmittel und Gummi.

Mit dem Fuß wippend, saß ich nach vorne gebeugt auf einem unbequemen Plastikstuhl mitten in einem der vielen Gänge des Hospitals und wartete darauf das man mir Auskunft geben würde.

Währenddessen schwebte eine Menge unbeantwortbarer Fragen in meinem Kopf.
Wieso hatte er das getan? Sah er keinen anderen Ausweg? Was war mit Scoripus, er konnte ihn doch nicht allein lassen? Und was war mit mir? Bedeutete ich ihm denn gar nichts? Was sollte ich nur tun? Was war mit meiner Ehe und was genau war das zwischen Malfoy und mir? Und was war, wenn Draco nicht mehr aufwachen würde?

Wenn ich mich auf etwas in meinem Leben immer verlassen konnte, dann war es mein Bauchgefühl. Nachdem das Urteil für Narzissa Malfoy gestern Verbannung lautete, hatte ich mir sofort starke Sorgen um Draco gemacht. Als ich ihm allerdings meine Hilfe nach der Verhandlung angeboten und er mich nur eiskalt abgewunken hatte, dachte ich, er würde erstmal Zeit für sich brauchen, um das Ganze zu verarbeiten. Doch ich hätte darauf bestehen sollen bei ihm zu bleiben. Ich hätte ihn damit nicht allein lassen dürfen, dann wäre es nicht so weit gekommen.

„Potter?".
Aus den Gedanken gerissen blickte ich nun vor mir auf zwei braune Lederschuhe und als ich meinen Blick hob, stand ein Mann in einem weißen Kittel vor mir und schaute mich erwartungsvoll an.

„Ja?" ich stand auf und hoffe nun endlich zu erfahren, wie es Draco ging.

„Harry?", kam nun von dem Heiler. Er war etwas kleiner als ich, hatte rot blondes, lichtes Haar und einen kurzen Bart. Irgendwie kam er mir bekannt vor und offenbar kannte er mich. Allerdings taten das leider auch noch heute viel zu viele Menschen.

„Ja? Kennen wir uns?", innerlich immer noch unruhig musterte ich ihn, obwohl ich grade weniger Interesse daran hatte irgendwelche belanglosen Unterhaltungen derart zu führen.
Schließlich lag grade Malfoy irgendwo und mit aufgeschlitztem Arm und ich wusste nicht, ob er noch lebte oder ich die letzten 3 Stunden vergebens wartete.

„Seamus. Seamus Finnigan.", stolz grinsend zog er mich in eine Umarmung ohne, dass ich etwas dagegen hätte tun können. Zugegeben, war ich trotzdem etwas überrascht Seamus hier zu treffen, da ich ihn das letzte Mal auf meiner Hochzeit gesehen hatte.

„Du bist Heiler geworden?". Ich zwang mir ein stumpfes lächeln ab und klopfte ihn gegen den Oberarm, um meinen Respekt auszudrücken, woraufhin er nur wieder stolz grinste und nickte.
Als mein kurzes Lächeln wieder verschwand, hörte auch er auf zu grinsen und aus seiner vorher stolz zufriedenen Miene wurde nun eine sehr ernste.

„Du hast Draco Malfoy hergebracht?".

Ich nickte nur besorgt und in einer kurzen Sekunde hatte ich Angst, er würde mich dafür verurteilen, dass ich offensichtlich Kontakt zu Draco hatte, doch er ließ sich nichts anmerken und schaute ganz professionell auf ein Klemmbrett welches er in seiner Hand hielt.

„Er hat sich das selbst angetan?"

Wieder nickte ich.
„Wie geht es ihm? Kann ich zu ihm?"

Seamus blickte nachdenklich von dem Klemmbrett hoch. „Du bist eigentlich kein Familienangehöriger...deshalb...".

Innerlich verdrehte ich die Augen. Ich wusste, dass diese Leier kommen würde.
„Aber ich... ich muss zu ihm."

Seamus blickte mich ein paar lange Sekunden an, als würde er doch verstehen, worum es hier ging. Das es nicht einfach nur Draco Malfoy der Todesser und Eisprinz für mich war, sondern dass ich wirklich zu ihm wollte und musste.

„Verstehe. Komm mit."
Mit einem Satz drehte er sich um und lief vor mir die hellen sterilen Krankenhausgänge entlang.
„Sein Zustand ist kritisch, er hat viel Blut verloren.", sprach er leise aber ohne sich zu mir umzudrehen.

Ich spürte mein Herz mit jedem Schritt noch stärker schlagen und nach ein paar weiteren schier endlosen Gängen des Hospitals bleib Seamus vor einer weißen Tür stehen.
„Er ist noch nicht aufgewacht aber so weit stabil. Bitte gib einem Pfleger oder einer Schwester Bescheid, wenn er aufgewacht ist. Ich glaube, es macht keinen Sinn zu fragen, ob ich jemanden verständigen muss, nachdem was ich im Propheten gelesen habe...oder?"

Unruhig schüttelte ich den Kopf und legte meine zittrige Hand auf die Türklinke.
„Ja ich meine nein."
Scorpius musste davon noch nichts erfahren.

Seamus nickte nur und ging dann davon.

Bevor ich die Tür öffnete, atmete ich nochmals tief durch. Wieder und wieder schwebten Bilder in meinem Kopf. Draco, wie er in einer Blutpfütze auf dem Boden lag. Alles war voll Blut. Er war blass und leblos. Eiskalt, noch kälter als sonst.
Wer weiß, wie lange er da so gelegen hatte, bevor ich nach mehrmaligen Klingeln in sein Wohnzimmer appariert war. Vielleicht nur Minuten, vielleicht mehr? Aber er lebte.

Es war ein Zimmer auf der Intensivstation und dementsprechend sah es auch aus. Boden und Wände waren steril weiß. Es unterschied sich nicht von den Krankenhäusern der Muggel, außer, dass die Muggel Maschinen und Geräte brauchten, um Menschen am Leben zu erhalten. Da dies ein Krankenhaus für Zauberer und Hexen war stand in der Mitte des Raumes nur ein Bett. Darin lag er. Fast, als würde er friedlich schlafen war er mit einer Decke zugedeckt und in einem Krankenhauskittel bekleidet. Auf einem Tischchen neben ihm stand eine Flasche mit einer roten Flüssigkeit. Ein blutbildender Trank, vermutete ich. Dieser wurde immer verabreicht, wenn Zauberer zu viel Blut verloren hatten.

Zögerlich musterte ich den schlafenden Slytherin und gleichzeitig spürte ich einen Stich in meiner Brust. Wieder waren in meinem Kopf die Bilder von seinem leblosen Körper.

Ich ließ mich langsam auf einem Stuhl am Rand des Raumes nieder, ohne meinen Blick von ihm abzuwenden. Minuten und Stunden der Stille begannen, in denen ich mir vorkam, als wäre ich in einem Albtraum gefangen. Der Raum war leise. Man hörte vor der Zimmertüre hin und wieder dumpfe Stimmen von dem Krankenhauspersonal. Es war still, wären da nicht die wirren Gedanken gewesen, die mich innerlich zusammen schrien.

Am Abend spürte ich das Telefon in meiner Hosentasche vibrieren. Ginny versuchte mich seit Stunden zu erreichen. Sicher wunderte sie sich, wo ich war und wann ich nach Hause käme. Aber wie sollte ich ihr das erklären? Ich konnte sie nicht wieder und wieder belügen, deshalb beschloss ich nicht dran zu gehen.

Nach einer ganzen Weile in denen ich versucht hatte diese Gedanken zu ignorieren, kam mir eine Erkenntnis. Ich musste Ginny verlassen. Die Ehe, die ich führte, war nicht länger gut für uns. Weder für mich noch für Ginny noch für die Kinder, die nur dabei zusehen konnten, wie wir uns voneinander entfernten. Unabhängig von dem was ich für Draco empfand, musste ich endlich mit ihr sprechen und wir mussten endlich das aussprechen, was wir beide schon lange wussten.
Allerdings hatte ich Angst davor, was das alles mit sich bringen würde. Was wäre mit James, Albus und Lily? Wo würden sie leben, wo würde ich leben? Was wäre mit Molly und Arthur? Sie waren immer schon wie Eltern für mich gewesen. Was wäre mit Ron, mit Hermine? Sie würden mich dafür hassen, dass ich Ginny weh getan habe...

Aber es half nichts... ich musste es beenden.

Panik stieg in mir hoch und ich spürte meinen Herzschlag noch deutlicher als zuvor. Ich durfte jetzt nicht wieder durchdrehen. Ich konnte hier nicht weg. Meine Kehle schnürte sich zu und ich bekam deutlich schlechter Luft. Ich kann jetzt nicht hier weg. Was wäre, wenn Draco aufwacht und ich nicht da wäre? Dann wäre er allein. Unkontrolliert begann ich am ganzen Körper zu zittern.
Angestrengt versuchte ich kontrolliert zu atmen und dann fiel mir die Übung ein, die Hermine mit mir gemacht hatte, als ich das letzte Mal Panik verspürte.
Dinge, die ich sehe: ein Bett, ein Tisch, Vorhänge...Ich spüre den Stuhl unter mir, den Boden unter meinen Füßen, den Schweiß an meinen Händen und ich rieche Desinfektionsmittel und Gummi.

Nach weiteren Minuten der Panik, beruhigte ich mich wieder und spürte wie meine verkrampfte Haltung sich löste und ich wieder besser Luft bekam. Die Unruhe allerdings blieb.


Ich zuckte zusammen und knallte mit meinem Kopf gegen die Wand hinter mir. Ich hatte nicht bemerkt, dass mir die Augen zu gefallen waren. Es war derweil spät in der Nacht gewesen und nur der Mond schien in das kleine Zimmer.
Irritiert blickte ich zum Bett und zwei graue Augen schauten mich aus der Entfernung an.

„Draco!", kam es mir sofort über die Lippen, während ich augenblicklich hellwach war. Ich stand auf und bewegte mich auf das Bett zu.

„Bist du schon lange wach? ...Ich... ich bin eingeschlafen...wie geht's dir?", stotterte ich unsicher.

Der Blonde schaute mir noch immer direkt in die Augen, dann formte er seine Lippen zu einem schwachen Lächeln.
Vor dem Bett blieb ich stehen und musterte ihn besorgt. Aber noch ehe ich mehr sagen konnte, hob er seinen rechten Arm und deutete mir sich an die Bettkante zu setzen.

Von den Gefühlen überwältigt spürte ich Tränen in mir aufsteigen als ich mich an seine Seite setzte. Der Versuch die Tränen zurückzuhalten scheiterte sofort. Draco fixierte mich weiter mit seinem Blick und lächelte mich erneut an als ich seine Hand auf meiner spürte.

„Angst, Potter?", scherzte er woraufhin ich schmunzelte. Dann nahm er seine Hand von meiner und legte sie auf meine Wange, an der gerade eine Träne herunterlief.
Wenn er nur wüsste...

Die Trümmer der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt