Stärken sind Schwächen

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Draco Malfoy hatte kein einfaches Leben gehabt. Der Druck seines Vaters und die wenige Liebe, die er von ihm bekommen haben musste, waren vermutlich die Grundlage für sein großes Ego. Und genau das war es, was ich jahrelang an ihm bewundert hatte. Es war ihm immer egal gewesen was andere von ihm dachten. Er war selbstsicher und stand hinter all seinen Entscheidungen und hielt diese immer für richtig. Das hatte sich auch nicht an dem Tag geändert als er sich für die Todesser entschieden hatte und die Aufgabe annahm Dumbledore umzubringen. Erst als die Schlacht verloren war, änderte sich etwas. Ein Angsthase war er in meinen Augen schon immer gewesen. Wenn ich mich zum Beispiel an die Situation im verbotenen Wald im ersten Schuljahr erinnere, wo er panisch davongelaufen ist. Aber auch wenn er in Hogwarts geärgert wurde und immer negative Schlagzeilen über ihn geschrieben wurden, trotzdem behielt er sein Ego und erkämpfte sich eine Familie und einen akzeptablen Status in der Gesellschaft zurück.

Ich weiß, dass meine Stärken immer mein Mut und mein Durchhaltevermögen waren. Ganz zu schweigen von meiner Neugier. Allerdings können die größten Stärken genauso die Schwäche einer Person sein. So war ich mir bewusst, dass diese Neugierde mich oft in sehr gefährliche Situationen gebracht hatte und auch wenn man mutig war, hätte Angst einen vor diesen Situationen bewahrt.

Die größte Stärke des Slytherins war sein Stolz. Teil einer reichen, traditionellen Familie der Zauberwelt zu sein, die noch dazu eine große Macht und Einfluss hatte, waren etwas worauf man zurecht stolz sein konnte. Nicht ohne Grund war er, wie die Malfoys davor, ein Slytherin gewesen. Stolz, Gerissenheit, Entschlossenheit und Macht waren Eigenschaften die auch Draco Malfoy zu dem gemacht haben, der er war.
Aber auch hier gibt es Schwächen. Stolze Menschen wirken auf andere oft arrogant. Es ist nicht immer gut, wenn jemanden egal ist, was andere denken, denn dies schützt einen vor falschen Entscheidungen.
Aber eines war ich mir schon immer bewusst gewesen: Draco Malfoy würde einmal ein Geschäftsmann werden und eine Führungsposition besitzen, in der er den Besserwisser raushängen lassen konnte. Das würde ihm garantiert liegen und um so erschreckender war es, dass er grade gar keinen Job hatte und erst gekündigt wurde.

Stärken sind Schwächen.
Schwächen sind Stärken.

Ich zupfte unsicher an dem Ärmel meines Pullovers, während ich auf eine Reaktion von Draco wartete. Allerdings saß er nur da und schaute mit leerem Blick an mir vorbei. Körperlich war er zwar anwesend, aber es wirkte so, als wäre er sonst ganz weit weg.
Es war, als wäre gerade etwas in ihm gestorben.

Es war sein Stolz.
Der Draco der neben mir saß, hatte in dieser Sekunde das letzte bisschen Stolz was ihn die Jahre über getröstet hatte, was ihn weitermachen ließ, trotz seiner Vergangenheit, trotz dass er als Mörder beschimpft wurde, seinen Vater verloren hatte, sein Ruf in den Dreck gezogen wurde, seine Frau verstorben war, trotzdem ist er jeden Tag aufgestanden und hatte sein Leben gelebt, weil er Stolz gewesen war, ein Malfoy zu sein.
Ich konnte fast spüren, wie der letzte Funke Stolz in seinen Augen einfach verschwand.

Es vergingen Minuten, in denen er apathisch dasaß und es zerriss mir mein Herz ihn so zu sehen. Warum schrie er mich nicht einfach an und behauptete einfach das, dass nicht stimmen konnte und seine Mutter so etwas nicht tun könnte? Wieso warf er mich nicht vor die Tür? Oder wieso weinte er nicht einfach?

Zu gerne hätte ich ihn in den Arm genommen. Ihn getröstet. Am liebsten hätte ich ihn nie mehr losgelassen und ihm gesagt, dass er das auch schaffen wird. Das wir das schaffen werden und das ich ihn nie mehr gehen lassen werde.

„Draco...", versuchte ich es ruhig und musterte die Hülle seines Selbst. Doch er reagierte erst als ich nach ein paar Minuten tröstend freundschaftlich die Hand auf seine Schulter legte. So schaute er mich wenigstens wieder an, ohne dass seine Augen hätten irgendetwas aussagen können.

„Also, wir werden ein Gerichtstermin vereinbaren und dann werdet ihr beide befragt werden...".
Ich nahm meinen Arm wieder von seiner Schulter, da mir diese Berührung zu befremdlich erschien, doch sein Blick fixierte mich weiter nichtssagend.

„Warum denkst du hat deine Mutter das getan?"

Ich hasste mich dafür ihm das sagen zu müssen, ich hasste es das es seine Mutter war, die meinen Kunden eingeredet hatte, dass sie von Dementoren oder Todessern verfolgt würden. Ich hasste es, dass es ihn nicht kalt ließ. Wäre Draco Malfoy derselbe Mensch wie damals in der Schule, vor der Schlacht und Voldemord, dann wäre er zu Stolz zu akzeptieren, dass seine Mutter das getan hatte. Oder zumindest wäre er zu Stolz mir zu zeigen, dass es ihm etwas ausmachte. Ich hasste es. Die gesamte Situation.

Der ehemalige Slytherin schaute nun wieder emotionslos von mir weg. Sein ganzer Körper hatte sich verkrampft und sofort kam mir der Gedanke an seinen Unterarm. Bevor er sich eben etwas übergezogen hatte, konnte ich die blutigen frischen Wunden sehen. Es waren eindeutig mehr, als noch vor ein paar Wochen auf dem Ball.

Er hatte sich wochenlang nicht bei mir gemeldet, nachdem er, nach dieser Nacht, einfach aus dem Schloss verschwunden war. Erst hatte ich mit jedem Brief den Swoops gebracht hatte gehofft, er wäre von ihm, doch schnell wurde mir bewusst, dass es besser war, wenn wir uns nicht mehr sehen würden. Ginny und ich hatten ein paar Tage danach gesprochen, um die Situation mit dem Spiegel zu klären, doch statt des Lösens des Problems wurde dieses eher vertagt und sie hatte gewollt das wir für Lilly versuchen sollen die Feiertage gemeinsam als Familie zu verbringen. So wurden aus Tagen schnell Wochen und nun arbeitete ich noch mehr als vorher und gesprochen hatten wir bisher nicht nochmal über unsere Ehe.

„Wieso bist du einfach verschwunden?", platzte es mir dann heraus, obwohl ich wusste, dass er sicher nicht über irgendwelche belanglosen einmaligen Ausfälle sprechen wollte. Neugierde eben.

Plötzlich hörte ich, wie die Haustüre seiner hellen freundlichen Villa zuschlug, offenbar war jemand gekommen. Ich hatte es mir hier immer ganz anders vorgestellt. Eben mehr so, wie es im Malfoy Manor ausgesehen hatte. So dunkel und kalt. Allerdings konnte ich mir auch vorstellen, dass es nicht sein verdienst war, wie hier eingerichtet worden war, sondern seine ehemalige Frau dies entschieden hatte.

Ein paar Sekunden später trat Mrs Malfoy ins Wohnzimmer und musterte mich irritiert während Draco noch immer stumm auf den Boden vor sich starrte. Sie sah noch sehr ähnlich aus wie vor 18 Jahren. Bei der Schlacht von Hogwarts hatte ich sie zuletzt gesehen. Ihre Haare waren nun Grau gemischt mit einem sehr hellen weiß. Ihr Gesicht, alt, zerfallen. Sie müsste grade Anfang 60 sein, denn sie war jünger gewesen als Molly und Arthur. Allerdings sah sie um einiges älter aus als die beiden. Sie war extrem schlank. Anders als früher, schien sie zerbrechlich und die starke Aura, die sie damals ausgestrahlt hatte, war nun von Unsicherheit geprägt.

Automatisch lächelte ich freundlich und stellte mich hin.
„Mrs. Malfoy", grüßte ich sie. Sie war eine der wenigen die mich nie wirklich gehasst hatte. Zumindest hatte ich nie das Gefühl gehabt. Anders als Dracos Vater, der mich abgrundtief verachtet hatte und mir das immer wieder aufs neuste bewiesen hatte.

In ihren Augen konnte ich Verwirrtheit sehen.
„James Potter, der Freund von meinem Bruder Sirius. Was machen Sie in meinem Haus?"

Irritiert schaute ich sie an. Dracos Mutter war verwirrt. Sie war... krank?

„Das ist Harry Potter, Mutter. Sein Sohn.", kam dann genervt von Draco, der ebenfalls vom Sofa aufstand. „Und er wollte sich gerade verabschieden.", fügte er noch hinzu und schaute mich an.

Ich spürte ein Stechen in meinem Herzen und fühlte mich gar nicht wohl damit, Draco allein zu lassen doch genauso unwohl fühlte ich mich in der Situation zwischen ihm und seiner verwirrten Mutter zu stehen und deshalb entschied ich mich dazu seinen Wunsch zu respektieren. Vielleicht war da doch noch Stolz in ihm, der mich davon abhalten sollte, seine Mutter so zu sehen.

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Den Gerichtsaal im Ministerium kannte ich schon fast so gut wie mein eigenes Wohnzimmer Zuhause. Als Auror und eigentlich auch schon davor, hatte ich schon in jeder Ecke gesessen. Als Angeklagter, als Zeuge, oder als Zuschauer.
Heute war ich genau so wie Malfoy als Zeuge geladen, um über die Zukunft seiner Mutter zu entscheiden und das hatte mir schon heute Morgen die ein oder andere Panikattacke beschert. Ich wusste genau wie das ganze ausgehen könnte, denn die aktuelle Zaubereiministerin war noch nie eine gutmütige Frau gewesen. Es hatte sich mittlerweile der Ruf etabliert, sie würde immer zu den höheren Strafen tendieren. Selten war sie auf Strafmilderung eingegangen, was mich noch Nervöser machte.
Sie saß bereits an dem Richterpult, fast wie eine Königin auf ihrem Thron. Allerdings wusste ich, dass Hermine sich ebenfalls für die Stelle als Zaubereiministerin interessierte und so hoffte ich, dass die Zeiten der unfairen Verhandlungen eventuell bald ein Ende haben würde.

Die Trümmer der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt