„Denkst du wirklich, dass ich dich einfach aufgebe, Songül?"

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Flashbacks
Still sitzt das Mädchen auf ihrem Stuhl und schaut aus dem Fenster. Seit Tagen bewegt sie sich kaum einen Zentimeter, schaut starr aus dem Fenster, isst nichts, trinkt nichts, spricht auch kein Wort, wenn sie etwas gefragt wird. Ihre Eltern machen sich sehr große Sorgen und wissen nicht, was sie tun sollen. Vor ein paar Tagen haben sie erfahren, dass sie schwanger ist und beide Großeltern werden. Im ersten Moment haben sie sich sehr gefreut, aber im nach hinein wissen sie nicht, wie sie weiter reagieren sollen, denn anscheinend hat sie sich mit ihrem Ehemann gestritten. Songül hat nicht ein Wort darüber erwähnt.
Wieder stehen Beide an der Tür ihres Zimmers und beobachten sie, wie da sitzt und über ihren Bauch streicht. Das tut sie öfter und blickt dann gedankenverloren aus dem Fenster.
„Songül, mein Schatz, Möchtest du nicht etwas essen? Das braucht doch dein Baby gerade?", spricht die Mutter und macht ein paar Schritte in ihre Richtung. Wie zu erwarten bekommt sie keine Antwort und dreht sich enttäuscht zu ihrem Mann, bis eine traurige Stimme sie unterbricht.
„Es braucht kein Essen. Es braucht gar nichts. Es soll nicht einmal leben."
Erschrocken dreht sich das Ehepaar zu ihrer Tochter um. Was hat sie gerade gesagt? Das Baby soll nicht überleben? Was meint sie damit? Monoton schauen zwei ausdruckslose Augen über die Schulter zu ihren Eltern. In ihren Augen kann man keine einzige Regung erkennen.
„Was meinst du damit, Songül? Willst du etwa...", grob wird der Mann unterbrochen, als die Frau vom Stuhl aufsteht und sich umdreht.
„Ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Ich brauche so etwas gerade nicht."
„Was redest du da? Willst du uns gerade sagen, dass du euer Baby abtreiben möchtest? Samet und dein Fleisch und Blut, das kannst du ihm doch nicht antun, weiß er überhaupt davon?", ruft ihre Mutter aufgebracht und hätte ihre Tochter gerne geschüttelt. Hat sie denn nicht mehr alle Tassen im Schrank? Sie wollte doch schon so lange ein Kind haben, und jetzt möchte sie es abtreiben lassen?
Mit einem Mal wird Songül wütend.
„Mir ist es Scheiß Egal, was dieser Mann möchte oder nicht. Es ist mein Körper und meine Entscheidung, was ich damit mache. Keiner kann mir dazwischen reden.", faucht die Blauäugige und wird mit einem Mal zorniger. Sie möchte das Baby nicht, nichts was noch an diesen Mann erinnert, der sie einfach aus dem Haus geschmissen hat, wegen einem Verräter.
„Songül, Schatz...", versucht ihr Vater sie zu beruhigen, doch das regt sie noch mehr auf. Hier kann sie nicht bleiben, ihre Eltern würden ihr nur alles ausreden wollen. Sie muss hier weg, keiner versteht sie hier. Schnell schüttelt sie ihren Kopf und wendet sich zur Tür.
„Ich muss hier weg."
Ohne auf ihre Eltern zu achten, verlässt sie ihr Zimmer und läuft die Treppen herunter. Hinter ihr hört sie ihre Eltern nach ihr rufen, doch das beachtet sie nicht. An der Haustür läuft sie raus, geradewegs an Yusuf vorbei, der gerade auf die Klingel drücken wollte. Sie läuft einfach weg, sie möchte alleine sein. Ihre Gedanken machen sie fertig. Seine Worte hallen noch immer in ihren Ohren und brechen ihr Herz um Mal zu Mal mehr.
Das Kind, was unter ihrem Herzen wächst, ist ein Teil von ihm und wird sie immer wieder an ihn erinnern. Würde sie das für immer aushalten können? Dieser Gedanke treibt ihr wieder Tränen in die Augen. Sie hält es einfach nicht mehr aus.
„Was ist denn passiert?", fragt Yusuf die älteren Menschen und schaut Songül hinterher. Dabei wollte er sie eigentlich fragen, wie es ihr geht.
„Sie möchte ihr Baby abtreiben. Vielleicht kannst du sie überreden. Bitte, lauf ihr hinterher. Auf uns hört sie nicht mehr."
Panisch nickt Yusuf und läuft der Frau schnell hinterher. Das kann doch nicht wahr sein. Warum möchte Songül das machen? Liegt es noch an Samet? Dabei ist sie auch erst in der 10. Woche. Abtreiben würde also noch gehen. Suchend schaut er sich um, als er sie nirgendwo sehen kann und läuft dann weiter. Plötzlich bemerkt er einen Schwarzkopf auf einer Bank sitzen und läuft hoffnungslos rüber. Tatsächlich sitzt Songül dort im Park und hat ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. Ihre Schultern beben, sie scheint zu weinen. Seufzend lässt er sich neben sie fallen und legt seine Arme um ihre Schultern. Erschrocken schaut sie mit nassen Augen auf und blickt in Yusufs grüne, der sie traurig anschaut. Erst dann wirft sie sich in seine Arme und weint hemmungslos, während er seine Arme um sie schließt und sie fest an sich drückt.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll, Yusuf abi. Immer wieder höre ich die Worte in meinem Kopf und sehe ihre Blicke vor meinen Augen.", schluchzt sie an sein Hemd und schüttelt immer wieder ihren Kopf. Yusuf bleibt still, streicht ihr nur beruhigend über den Rücken.
„Ich möchte das Baby nicht, es würde mich nur an ihn erinnern. Die Erinnerungen würde immer wieder hoch kommen, ich kann nicht mehr."
„Hör auf so etwas zu sagen, Songül. Das Baby kann doch nichts dafür, was passiert ist. Du hast dir doch schon so lange ein Baby gewünscht."
Das ist ihr egal. Sie weiß nicht, ob sie damit leben kann. Auch wenn das Baby unschuldig ist und nichts für die Taten ihren Vaters kann, war sie überhaupt bereit für solch eine Verantwortung?
„Komm, ich bringe dich nach Hause, Songül."
„Nein, ich möchte nicht nach Hause, meine Eltern verstehen mich nicht. Sie wissen ja nicht einmal Bescheid."
Seufzend fährt der Grünäugige sich durch die Haare und überlegt, was er mit der sturen Frau tun soll. Zu ihren Eltern möchte sie ja nicht gehen.
„Komm, ich bringe dich erst einmal zu mir nach Hause."
Er hebt sie an ihren Schultern hoch und führt sie zurück zu ihrem Grundstück, wo das Auto von ihm noch steht Ohne ihre Eltern anzuschauen setzt sie sich in das Auto und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen.

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