Tränen im Auto

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,,Aufstehen, Bailey, wir müssen uns beeilen", ruft Luke, wärend er sanft an meiner Schulter rüttelt.
Verschlafen sehe ich ihn an und brauche etwas Zeit, um mir klar zu werden, wo ich überhaupt bin. Tränen schießen mir in die Augen, als mir wieder einfällt, was gestern geschehen ist, doch ich blinzel sie weg. Müde rappel ich mich auf und reibe mir etwas Schlaf aus den Augen. Neben mir wird auch Harry langsam wach,, doch er ist schon viel energiegeladener als ich und springt auf, um Lenny beim Packen des Autos zu helfen. Als ich ihn da stehen sehe, durchfährt mich ein Stich und schnell drehe ich den Kopf weg, damit er meinen sehnsüchtigen Blick nicht bemerkt. Auffordernd streckt mir Luke die Hand hin und ich ergreife sie und lasse mir auf die Füße helfen. Dann packe ich mit an, die Decken zusammenzufalten und schnell haben wir unser Nachtlager wieder ins Auto geräumt. Ich krame mein Handy hervor und bemerke sechs entgangene Anrufe, die meisten davon von Stella, aber ich habe jetzt keine Lust mich zu erklären. Da fällt mein Blick auf die Uhrzeit. Es ist 5:23h am Morgen!
Verwundert frage ich Luke, warum wir schon so früh aufbrechen.
,,Aron hat mir eben eine SMS geschickt, die kann Joe nicht abfangen. Er hat es geschafft Tommy's Gastfamilie ausfindig zu machen und uns ihre Adresse geschickt. Wir müssen unter allen Umständen vor Joe in xxxx sein, um Tommy in Sicherheit zu bringen. Wir werden sicherlich einen kleinen Vorsprung haben, da Joe nicht weiß, dass wir wissen, wo Lenny's Bruder sich aufhält. Außerdem wird er errst noch versuchen uns hier zu finden. Noch ein Grund, warum wir schleunigst aufbrechen sollten" , erklärt er mir mit sanfter Stimme. Ich nicke und folge ihm in Richtung Wagen. Lenny sitzt schon schon am Steuer und tippt nervös auf dem Amaturenbrett herum. Jedes Mal wenn ich ihn jetzt ansehe durchfährt ein stechender Schmerz mein gebrochenes Herz und ich kann die Tränen nur unter Anstrengung zurüchhalten. Kurz treffen sich unsere Blicke durch die Fnsterscheibe, aber noch bevor ich irgendeine Regung auf seiner Seite erkennen kann, blicke ich schnell weg.
Ich steige in den Wagen zu dem grinsenden Harry, der sich über irgendeinen Witz von Luke amüsiert. Lächelnd sehe ich ihn an und er strahlt mit einer solchen Energie zurück, dass mir das Herz sofort etwas wärmer wird. Luke und Lenny haben davor gesorgt, dass wir hier hinten ein paar Decken haben, um gegebenenfalls zu schlafen, aber Harry scheint vor Energie nur so zu strotzen und ich glaube auch nicht, dass ich hier in SEINER direkten Gegenward zum schlafen komme, es fällt mir ja schon schwer, ihn nicht hier die ganze Zeit von hinten anzustarren. Das ist sowieso das Allerschlimmste. Dass ich Gewissheit habe, dass er mich von vorne bis hinten belogen hat, dass er für den Tod mehrer Mädchen verantwortlich ist, dass schon so viele Mädchen auf die gleichen Maschen hereingefallen sind und ich? Ich kann immer noch nicht anders, als ihm sabbernd, wie ein verliebtes Schaf hinterherzugucken. Aber was soll man machen? Das Herz will, wie das Herz will nur ich will einfach nicht. Ich will mit diesem Lügner nichts mehr zu tun haben und ich bin fest davon überzeugt, dass ich, wenn diese ganze Sache hier vorbei ist, es schaffen werde diese ungewollten Gefühle für ihn zu vergessen. Oder besser gesagt, ich überzeuge mich selbst, davon fest übrzeugt zu sein.
Traurig lehne ich mich ans Fenster und versuche mit aller Macht mich abzulenken und nicht daran zu denken, wie nah wir uns momentan sind.
Da höre ich eine leise Stimme von links.
,,Du bist Bailey, stimmts?", fragt mich der kleine blonde Wuschelkopf.
,,Genau, die bin ich", antworte ich mit sanfter Stimme, den Kopf jetzt zu ihm gedreht.
,,Bist du Lenny's Freundin?"
Diese Frage lässt mich unwillkürlich zusammenzucken. Tränen schießen mir wieder in die Augen, doch ich blinzel sie wieder weg, ich hab jetzt schon Übung darin. Alles im Auto ist still und wartet auf meine Antwort. Sogar Lenny's nervöses Tippen hat aufgehört, was erkennen lässt, dass auch er gespannt zuhört. Traurig sehe ich in Harry's großen Augen, als ich antworte.
,,Nein, ich bin nicht seine Freundin"
Erst als ich diese Worte wahrhaftig ausspreche, merke ich ihre niederschlagene Abgeschlossenheit und mein in zwei geteiltes Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Unbedingt will ich Lenny's Reaktion auf meine vernichtende Antwort sehenn, doch ich zwinge mich mir aller Kraft nicht nach vorne zu schauen, aber meine Augen wollen nicht gehorchen und im Rückspiegel erkenne ich seine schmerzerfüllten Augen und die weichen, schönen Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Bevor er sieht, dass ich ihn beobachte, blicke ich rasch wieder aus dem Fenster und spühre, wie mir trotz aller Bemühungen eine dicke Träne die Wange runterkullert. Schnell wische ich sie mit dem Ärmel meiner Strickjacke ab und blicje mich verstohlen um, doch alle scheinen mit sich selbst beschäftigt zu sein.
Wahrscheinlich um die Stimmung wieder etwas aufzulockern, erzählt Luke eine Geschichte, wie Harry ihn einmal mit einem Aprilscherz vollständig zum Narren gehalten hat. Ausfürlich erzählt er, wie er den ganzen Tag mit einem riesigen Loch hinten an der Hose herumgelaufen ist, weil er dachte, Harry und die anderen würden ihn verarschen, als sie sagten, es wäre dort. Harry kann die Einzelheiten nicht oft genug wiederholen und kringelt sich vor Lachen, als er sich an den Apriltag zurückerinnert. Auch ich muss unwillkürlich Grinsen als ich mir vorstelle, wie der große, selbstsichere Luke, der sich durch wirklich fast nichts aus der Ruhe bringen lässt, den Tag mit einem großen Loch in der Hose verbringt, immer der Meinung, dass es nicht existieren würde. Sofort ist meine Stimmung gleich viel besser und ich bin erleichtert, dass wir so schnell das Thema wechseln konnten.
Ich unterhalte mich eine weile mit Harry und finde es echt bemerkenswert, als ich rausfinde, dass Luke es geschafft hat, das ganze Unheil der Organisation, für die sie beide ja gezwungenermaßen arbeiten mussten, im großteil von Harry abzuschirmen, denn er versteht es wirklich noch aus der traurigsten Feststellung etwas witziges herauszuholen.
So spielen wir irgendwann ,,Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst" um uns noch etwas die Zeit zu vertreiben und ich komme bei bestem Willen nicht drauf, was Harry sich in der Farbe ,,dunkelblau so schön, wie das Meer" ausgesucht hat. Da ich schon ziemlich lange in der Gegend rumrate, hat sich auch Luke als helfende Hand dazgeschaltet, aber, obwohl er alle Tricks und Kniffe des kleinen Engels kennt, kommen wir einfach nicht auf die Lösung. Nur Lenny guckt die ganze Zeit starr geradeaus auf die Fahrbahn, fast so als wolle er jede noch so kleine verräterrische Regung seines Gesichts zurückhalten.
,,Deine Schnürsenkel?", frage ich hoffnungsvoll, doch Harry schüttelt nur grinsend den Kopf.
,,Der kleine Faden in der Decke?", ist Lukes Vorschlag, aber es ist wieder nicht richtig. Es ist echt zum Verrücktwerden.
,,Die Anzeige auf dem Navi", versucht es Luke wieder, doch diesmla schüttel ich den Kopf.
,,Das hab ich schon versucht"
So langsam gehen auch Luke die Ideen aus, aber Harry hat einen zu großen Spaß daran, und verzweifeln zu sehen, als dass er gewillt wäre uns des Rätselts Lösung zu nennen. Nach noch einigen weiteren Versuchen, die sich alle als falsch herausstellen, bin ich kurz davor Harry anzubetteln, uns zu verraten, was er denn sieht, als sich plötzlich Lenny dazuschaltet.
,,Wie war nochmal die Farbe?", fragt er Harry.
Bei dem Klang seiner Stimme fährt mir immer noch ein ein wohliger Schauer über den Rücken, den ich mit aller Kraft zu ignorieren versuche.
,,Dunkelblau, so schön wie das Meer" wiederholt der blonde Engel vergnügt.
,,Das ist doch ganz klar", meint Lenny, ohne zu zögern oder sich umzudrehen, ,, du meinst Bailey's Augen"
,,Richtig gerraten!", jubelt Harry.
Ich muss schlucken und drehe mich zum Fenster. Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals und am allerliebsten würde ich mich irgendwo verkriechen, mich eng zusammenrollen und einfach nur hemmungslos heulen, aber das ist mir ja leider nicht möglich. Also blicke ich mit von Tränen verschleiertem Blick aus dem Fenster und versuche einfach an nichts zu denken und meinen Kopf von allen Gedanken und Gefühlen abzukapseln. Neben mir hat Harry anscheinend verstanden, dass die Situation etwas angespannt ist und blickt, wie ich still aus dem Fenster.
Mittlerweile ist es früher Nschmittag und die Sonne steht scon etwas höher über xxx, dem Ort, den wir grade durchqueren. Ich sehe ein paar Häuser verstreut und frage mich , wer hier wohl wohnen mag, so mitten im Nirgendwo. Da sehe ich ein paar Kinder lachend auf einem Spielplatz turnen und ältere, die sich über das Verhalten der Kleinen amüsieren lässig daneben. Ich kann mir richtig vorstellen, hier morgns aufzuwachen und in die kleine Schule mit bestimmt nur ein, zwei Klassen zu gehen. Am liebsten würde ich jetzt mit einem von ihnen tauschen und einen ganz normalen, langweiligen Tag erleben, anstatt hier gehetzt und gejagt, neben einer Person, die mich Gefühle empfinden lässt, die mich innerlich zerfressen durchs ganze Land zu fahren.
Ein merkwürdiges Grummeln lässt mich erschrocken aus meinen Gedanken horschrecken und ich lausche konzentriert, was es gewesen sein könnte. Erst denke ich, dass ich mich wohl verhört haben muss, als es wieder ertönt, diesmal lauter.
Auch Luke scheint es gehört zu haben, denn er dreht sich mit fragendem Blick zu uns um. Ich zucke nur die Schultern und sehe zu Harry, der eine entschuldigende Miene macht.
,,Es tut mir Leid", nuschelt er verlgenen, ,,ich habe ein bisschen Hunger, schließlich habe ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen" Wie um das zu unterstreichen, gibt sein Bauch nochmal ein lautes Knurren von sich und ich muss mich beherrschen nicht loszuprusten. Auch Luke muss jetzt lachen und fragt in die Runde : ,,Alles klar. Hat sonst noch jemand Hunger?"
Jetzt, wo es angesprochen ist, merke ich auch das leere Gefühl im Bauch. Ich hatte vor lauter Herzschmerz und Liebeskummer gar nicht bemerkt, dass auch mein Magen schmerzhaft leer war. Ich hebe auch meine Hand und Luke nickt und gibt Lenny Anweisungen an den nächsten Schnellimbiss ranzufahren. Harry ist ganz aufgeregt, schließlich hat er, so erzählt er mir, ewig nicht mehr bei einer Fast Food Kette gegessen, da Luke es ihm nicht erlaubt hat und umso mehr freut er sich jetzt auf ein leckeres Essen. Ich für meinen Teil bin nicht so der Fast Food Fan, mir ist es immer etwas zu fettig und pampig, sage aber nichts dazu, um dem Kleinen nichts zu verderben.
Schließlich hat Lenny zu Harrys Zufriedenheit endlich einen McDonalds oder Burger King - ich kenne mich da nicht so gut aus - gefunden und fährt auf den Parkplatz, wo er dann zwischen vielen anderen Autos parkt.
,,Alles klar, dann wollen wir mal. Ich werde rein gehe, es scheint drinnen ziemlich voll zu sein. Was soll ich denn für euch mitbringen?", fragt Lenny in die Runde.
Ich bestelle einen einfachen Cheesburger und eine kleine Cola und Luke das gleiche, nur mit zwei Cheesburgern. Harry ist ganz aufgeregt und rutscht auf seinem Sitz herum, kann sich aber nicht entscheiden und ändert seine Bestellung immer wieder, bis es Lenny zu bunt wird.
,,Also Harry, so kann das ja nichts werden. Am besten, du kommst einfach mit mir rein und entscheidest dich da", schlägt er vor.
Es scheint, als hätte der Kleine nur darauf gewartet und springt fröhlich jauchzend aus dem Auto gefolgt von einem mit dem Kopf schüttelnden Lenny. Gedankenverloren sehe ich den beiden nach, bis sie in der großen Eingangstür verschwinden. Da reißt mich plötzlich Lukes Stimme aus meinen Gedanken.
,,Du Bailey", spricht er mich verlegen an und dreht sich zu mir um. Verwunder hebe ich eine Augenbraue. ,,Ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, aber ich wollte dich was fragen", murmelt er zögerlich.
,,Was denn?"
,,Naja, ich wollte nur sichergehen, dass du dir in deiner Entscheidung bezüglich dir und Lenny wirklich sicher bist"
Sofort wird mir kalt ums Herz und ich drehe mich von ihm weg. ,,Ich meine ja bloß, dass du jetzt vieleicht einfach zu überstürzt denkst. Ich kenne ihn, er ist mein Bester Freund und ich habe doch gesehen, was er für dich empfunden hat und immernoch empfindet. Als ihr zusammen wart, war er das erste Mal, seit ich ihn richtig kenne, wirklich glücklich. Er hat gelacht und war voller Energie, so habe ich ihn ewig nicht erlebt und jetzt, schau ihn dir doch an. Ich kann es kaum mit ansehen, wie er leidet und du hast sicher auch schon besser ausgesehen. Ich will dir da ja gar nichts vorschreiben und eigentlich geht es mich auch nicht wirklich was an..." ,,Genau", unterbreche ich ihn mit eiskalter Stimme, ,,es geht dich wirklich rein gar nichts an"
Hilflos zuckt er mit den Schultern und dreht sich wieder nach vorne. Ich spühre, dass mir bei seinen Worten schon wieder die Tränen gekommen sind und wische sie mir wütend von der Wange. Diese ständige Heulerei geht mir ziemlich auf die Nerven, aber ich bin halt schon immer nah am Wasser gebaut. Verzweifelt sehe ich nach draussen auf die kleinen Hügel hinter der Raststätte. Ich habe das Gefühl mich noch nie in meinem Leben so sehr nach etwas gesehnt zu haben wie jetzt. Ich könnte Luke und Lenny einfach glauben und mich zurück in seine Arme flüchten, wo es kein Problem auf der Welt gibt, was wir nicht gemeinsam lösen könnten. Doch so sehr ich mich auch danach verzehre, so sehr sträube ich mich auch mit jeder Faser meines Körpers dagegen. Ich kann einfach nicht aufhören daran zu denken, wie er mit ganzen zehn anderen Mädchen genau die gleiche Leier gespielt hat und will nicht einfach eine von Vielen sein, die er mit seinen Machen rumgekriegt hat. Es zerreißt mich und es zerreißt mein Herz.

Ich liebe lieber EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt