Das Licht in der Garage geht an und ich erkenne durch die geöffnete Tür zur Mensa, dass die anderen mein Jubiläum leider nicht vergessen haben. Sie sind noch wach geblieben und haben schon alles vorbereitet. Die Tische und Bänke sind an den Rand geschoben und in der Mitte ist eine Art Tanzfläche. Es hängen zwei Discokugeln an der Decke und werden von buntem Licht angestrahlt. In jeder Ecke stehen jeweils zwei große Boxen. Max steht an einem großen Mischpult und versucht sich als DJ. Entnervt schaue ich Aron an.
,,Ehrlich jetzt? Muss das wirklich sein?"
Doch Aron lacht bloß und zieht mich hinter ihm in die Mensa. Als die anderen mich bemerken bildet sich eine Traube um Aron und mich. Von überall kommen Glückwünsche und Schulterklopfer. Langsam bekomme ich ein bisschen Angst erdrückt zu werden. Doch Aron ist, wie immer zur Stelle. ,,Hey Jungs, immer langsam! Doch nicht alle auf einmal! Lenny kriegt ja gar keine Luft mehr!"
Endlich gehen sie zurück. Die Musik wird leiser gedreht und Aron bekommt ein Mikro. Ich stöhne auf. Eine Rede hat mir gerade noch gefehlt. Doch Aron ist nicht zu bremsen. ,,Wir haben uns heute hier zusammengefunden um Jemanden zu feiern." Er sieht zu mir.
,,Unser Lenny hat heute sein 10. Auftrag erledigt! Er ist jetzt auf den Tag genau ein Jahr her, dass Lenny zu uns gestoßen ist. Wir hoffen, dass es ihm genau so viel Spaß macht mit uns zu arbeiten, wie es uns macht mit ihm zu arbeiten! Alles Gute zu deiner 10!"
Alle applaudieren und die Musik wird wieder lauter gedreht. Ich versuche noch ein paar Glückwünschern auszuweichen, da ich grade den Tisch mit dem ganzen Essen entdeckt habe, die irgendwer zusammengesucht hat . Fast habe ich das Essen erreicht, da wird plötzlich die Musik ausgemacht und es wird ganz still. Ohne mich umzudrehen kenne ich den Grund.
Joe ist da.
Ich drehe mich um und sehe wie Joe Aron zu sich heranwinkt. Er mag Aron mehr als Jim, weswegen Jim ziemlich sauer ist und deshalb auch immer auf den Jüngeren rumhackt. Langsam geht Aron auf Joe zu.
,,Ging alles glatt?", fragt Joe. Das ist schon zur Tradition geworden. Er fragt immer nur ob alles glatt ging. Nie wie es uns geht oder ob jemand verletzt ist.
Aron antwortet auch immer nur : ,,Ging alles glatt, Chef".
Dann gehen Joe, Aron und Jim in Joes Büro, wo er ihnen dann einen neuen Auftrag und die entsprechende Akte gibt. Keiner weiß, was sie da sonst noch machen, denn es dauert immer etwa eine halbe Stunde. Sie Reden nie darüber, aber es gibt viele Theorien. Viele glauben, dass Aron und Jim Joe da einfach alles genau erzählen. Andere sind überzeugt, dass sie überlegen ob man allen hier trauen kann und deshalb haben viele Angst, wenn sie
wiederkommen. Mir wurde erzählt, dass einer der letzten Koordinatoren von diesem Gespräch nicht mehr wiedergekommen ist. Einmal soll auch nach der Besprechung einer der besten Sucher von Joe vor den Augen der anderen erschossen worden sein.
Nach etwa 40 Minuten kommen Aron und Jim wieder. Jim geht zu Felix. Er ist einer der besten Sucher und ihr Chef. Er gibt ihm die Akte und beredet irgendwas mit ihm. Da kommt Aron auch schon zu mir.
,,Hier ist das nächste", sagt er und gibt mir die Akte. Als erstes sehe ich das Foto. Es haut mich fast um. Sie ist echt hübsch. Ich meine natürlich hübsch. Meist haben die Opfer getönte oder gefärbte Haare und Tonnen von Make-up im Gesicht. Doch dieses Mädchen trägt nur ein bisschen Mascara. Sie ist anders.
Das Foto wurde anscheinend im Zoo gemacht. Sie steht am Zaun des Erdmännchengeheges und lacht. Ich meine sie lacht richtig. Nicht so gekünstelt wie Ashley immer. Ihre kastanienbraune Locken fliegen in alle Richtungen.
Ich bin echt überrascht, dass Joe sie ausgesucht hat. Sie ist so anders als die übrigen Opfer. Fast erinnert sie mich an Maya.
Aron rempelt mich in die Seite.
,,Denk dran, sie ist das Opfer!" Warnend schaut er mir in die Augen. Ich senke den Blick. Er hat es gemerkt. Er wusste an wen ich dachte. Aron ist einer der wenigen der davon weiß. Wie könnte ich je vergessen, dass die Mädchen die Opfer sind. Dass sie immer die Opfer sind. Schnell versuche ich den Gedanken an Maya und an das, was passiert ist und was ich getan habe zu verdrängen. Es gelingt mir natürlich nicht.
Ich befinde mich wieder in Joes Büro und höre, was ich auch damals gehört habe. Ich bin wieder am Boden zerstört und voller Angst, weil... Stopp! Ich reiße mich aus den Erinnerungen. Ich wollte nie wieder daran denken! Nie wieder! Ich versuche erneut es zu verdrängen, aber es will einfach nicht funktionieren. Wieder tauchen Bilder aus der Vergangenheit auf, die ich schon längst vergessen haben sollte. Ich stehe wieder in ihrem Zimmer. Voller Wut und Trauer erkenne ich... Nein! Nicht weiter! Ich darf daran nicht mehr denken! Das ist Vergangenheit!
Ich muss mich irgendwie ablenken!
