30. Babyblue

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Unsere herzzerreißende Verabschiedung wurde von Cho Chang, einer älteren Ravenclaw, gestört. Sie entriss mir Jonna förmlich, um sie wegen eines dringenden Notfalls, welchen sie vor mir offenbar nicht Bennen wollte, mitzunehmen.

Alleine rauschte ich wieder hinab in den Kerker. Es schien einer dieser Tage zu sein, an dem die lebendigen Treppen von Hogwarts mal wieder völlig durchdrehten. Grade so schaffte ich es von Treppe zu Treppe, um auf kürzestem Wege und ohne Wartezeiten zu meinem Gemeinschaftsraum zu gelangen. Doch die letzte fiese Treppe wurde mir unerwartet zum Verhängnis. Beinahe fiel ich zwischen den Absatz und der ersten Stufe, die sich keine Sekunde vorher weg gedreht hatte, in die Tiefe. Panisch griff ich geistesgegenwärtig schon an meinen Zauberstab, doch ich musste mich nicht selbst retten. Kaum fiel ich mit den Füßen voran, hielt mich auch schon jemand an der Hüfte fest.

Langsam wurde ich wieder auf festen Boden gezogen und traute meinen Augen kaum, als ich das Gesicht meines Retters sah. Seine Augen wie zartschmelzendes Karamell, seine Sommersprossen so beflügelnd, wie die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings, seine Haare wild und rot, wie das verbotene Höllenfeuer. Selbst der Teufel hätte Achtung vor seinem üblichen verschmitzt-schelmischen Grinsen gehabt. Doch in diesem Moment war sein Blick viel weicher, verträumter und gleichzeitig aufgeregter, als ich ihn je gesehen hatte. Er war nicht wie sonst, nicht unbeschwert oder unpassend lustig. Er war besorgt und tief in einen Gedanken versunken, welcher ihn nicht mehr aus seinem Bann ließ.

„Pass auf, Kleines", flüsterte er, seine Hände noch immer an meinen Hüften. „Fred", flüstere ich ebenso leise, während mein Herz noch immer raste und mein gesamter Körper unter Adrenalin stand. Ich war nicht sicher, ob der Sturz oder Freds Hände mich so fühlen ließen. Nie zuvor hatte er oder ein anderer Junge mich so berührt, geschweige denn mich so angesehen. „Da war es wieder", sagte ich, „du hast mich wieder so genannt. Dieses Mal kannst du es nicht leugnen, Freddie." Langsam ließ er mich los und fuhr sich verlegen durchs Haar. „Mag sein", nuschelte er mehr als er sprach und schabte unruhig mit dem Fuß über den Boden. Er war süß, wenn er nervös war. Doch in diesem Moment schossen mir noch so viel mehr Gedanken durch den Kopf. „Warm bist du hier unten?", fragte ich, „Es ist Wochenende, wir haben keinen Zaubertränke-Unterricht." Wieder fuhr er sich verlegen durchs Haar und blickte sich hilfesuchend um. Doch niemand war hier, wir waren ganz alleine.

„Ich wollte mit dir sprechen", gab er zu, „Und da musst du mir ausgerechnet so einen Schrecken einjagen. Mein Herz rast immer noch, du kannst dich doch nicht einfach die Treppe runter stürzen." Sanft lachte ich und schlug ihm gegen den Oberarm, „Du bist ein Idiot, Weasley. Das war doch nicht mit Absicht. So lebensmüde bin ich noch nicht."

„Idiot?", Fred war entsetzt aber grinste über beide Ohren, „Hast du mich gerade wirklich einen Idioten genannt?" Er war der Meister des theatralischen Schauspiels und fasst sich an die Brust, als würde er in diesem Moment einen mittelschweren Herzinfarkt erleiden.

Beiläufig nickte ich und schaute auf meine Armbanduhr, da ich unter keinen Umständen das Abendessen verpassen wollte. „Ja, das habe ich. Oder willst du ernsthaft behaupten, du wärst keiner? Denn dann bewegst du dich auf dünnem Eis."

Er trat einen Schritt näher an mich heran und schaute von oben auf mich herab. „Ich bin ein großer Idiot, Mar. Das weiß ich, aber gerade habe ich dir das Leben gerettet und ich warte noch immer auf ein Dankeschön."

Leider sprach er die Wahrheit und ich war ihm, wenn auch widerwillig, tatsächlich eine Danksagung schuldig. „Du hast recht. Danke, Fred!", sagte ich und umarmte ihn kurz, wobei ich wieder einen kleinen Adrenalin-Schwung ihn mir verspürte.

„Immer gerne, Kleines."

Später am Abend saß ich neben Draco und Blaise beim Essen. Der Ausflug hatte alle offenbar sehr hungrig gemacht, denn keiner von uns sprach, sondern schaufelte sich nur zufrieden den Bauch voll.

Ich stellte fest, dass der Schokoladenpudding mal wieder hervorragend schmeckte und beobachtete dabei unauffällig den Tisch der Gryffindors. Ich sah wie Fred und George leise miteinander tuschelten, doch zu lange konnte ich sie nicht anstarren, aus Angst Draco oder Blaise würden es bemerken.

„Was habt ihr heute in Hogsmeade gemacht?", fragte ich meine Slytherin-Jungs, doch beobachtete heimlich lieber wieder zwei Andere. Aufgeregt begann Blaise zu erzählen, während Draco nur leise lachte, um sich über Blaise euphorische Art lustig zu machen. „Wir haben uns alles angeschaut und waren neue Hemden einkaufen. Ich habe ein babyblaues und ein babyrosanes gekauft. Unser Bestatter hier natürlich alle in schwarz." In dem Moment verging Draco das Lachen und er schlug ihm voll gegen den Arm.

Auch zwei andere Jungs, begannen in diesem Moment sich zu schlagen. Besser gesagt schlug Fred mit voller Wucht seinen Zwilling, ebenfalls auf den Arm. George rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Stelle und schaute seinen Bruder dabei so schuldbewusst an, wie ein Hund der seinem Herrchen die letzte Wurst geklaut hat.

Sehnlichst wünschte ich mir den Blick eines Weasley-Zwillings zu erhaschen, doch es geschah nicht. Später alleine in der Bibliothek fragte ich mich, ob es unsere Freundschaft überhaupt noch gab oder ob sie überhaupt jemals existiert hatte.

Die trüben Gedanken verpufften, als ich mich durch zwei Hände auf meinen Schultern erschreckte. „Hey Mar, schreibst du auch den Aufsatz für Kräuterkunde?", meine beste Freundin hatte mich ziemlich erschreckt. Still schweigend saßen wir an einem verstecken Tisch zwischen den deckenhohen Regalen, welche komplett mit verstaubten Büchern vollgestopft waren. Das Thema war europäische Wasserpflanzen, welches mir sehr leicht fiel, da ich viel Zeit meines Lebens als Meerjungfrau unter Wasser verbracht hatte. Doch gleichzeitig lag es mir schwer auf der Brust. Immer wieder quälte mich der Gedanke, meiner besten Freundin bisher nicht davon erzählt zu haben. Mein innerer Schweinehund kämpfte gegen mein Gewissen und meine Überwindung, doch ich wusste nicht, wer dieses Duell gewinnen würde.

„Jojo, ich muss dir", platze es aus mir heraus, doch als ich meinen Blick vom Pergament anhob, war sie gar nicht mehr da. Hinter einem Regal hörte ich es rascheln, „Hast du was gesagt, Mar? Ich bin hier hinten. Brauchst du auch noch ein Buch?", rief Jojo etwas zu laut, weswegen die stets schlechtgelaunte Bibliothekarin Mrs. Prince sie umgehend ermahnte. „Mit Mona Meerjungfrau auf Wanderschaft soll sehr hilfreich sein hat Parvati gesagt", flüsterte die Ravenclaw nun, um nicht wieder ins Visier der Bibliotheks-Polizei zu geraten. Meerjungfrau, da war es wieder. „Nein, Danke!", sagte ich leise, „Ich komm schon klar."

Mit besagtem Buch, über und von Mona der waschechten Meerjungrau, kam Jojo wieder zu Tisch und stöberte drin rum. Ab und zu brach sie unser bisheriges Schweigen, um mir erstaunliche Fakten über Wassermenschen vorzulesen.

„Wusstest du, dass sie bis zu 100 Kilometer pro Stunde schwimmen können?", Jojo war ganz begeistert, doch ich tat so, als hätte ich sie nicht gehört.

„Wahnsinn, Wahnsinn", brabbelte sie nach einigen Minuten wieder, „Sie sind nicht nur extrem schnell sondern auch sehr stark." Wieder sagte ich nichts und hoffte, dass wir bald das Thema wechseln würden. Doch weit gefehlt mit einer Jojo, die sich an etwas Spannendem festgebissen hatte.

„Schau mal," forderte sie mich auf und hielt mir das Buch direkt vor die Nase, „Ich dachte die sehen alle fürchterlich schrecklich aus... aber die hier, sieht wunderschön aus." Sie zeigte auf die Zeichnung einer typischen Halb-Halb-Meerjungfrau. Halb Wassermensch, halb Muggel oder Hexe. Idealerweise besaßen sie den Oberkörper eines Menschen und die kräftige Flosse eines Fisches, genau wie ich. Ich hatte zu meinem Bedauern jedoch auch schon genau das Gegenteil gesehen und war bis heute zu tiefst verstört durch diesen Anblick.

„Ja, wirklich schön", krächzte ich, während mir ziemlich heiß wurde. Schnell schrieb ich meinen Aufsatz zu Ende und rollte das Pergament ein, bevor Jojo mich weiter in Verlegenheit bringen konnte. Im Flur rang ich nach Luft und war froh, der Unterhaltung entkommen zu sein. Doch mir war auch klar, dass ich es ihr sagen musste und zwar bald. 

Venom - Mar Black (Weasley twins FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt