Der Knecht

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Als Ignatus die Amtsstube verließ, war es bereits später Vormittag. Die Scheibe Raden-Sur stand hoch am blauen, fast gänzlich wolkenlosen Himmel. Ein schöner Tag zum Genießen.

Der Wissenswahrer aus der Ordensburg nahm den Zwicker von seiner Nase und verstaute ihn in seiner Weste. Die erste Unterhaltung mit dem Bürgermeister war zu seiner vollsten Zufriedenheit abgelaufen. Seinem Ziel, möglichst schnell einen Erfolg vorzuweisen, fühlte er sich einen deutlichen Schritt nähergekommen.

Das Kräuterweib bot sich perfekt als willfähriges Bauernopfer an. Für Ignatus spielte es zwar letztendlich keine Rolle, inwieweit Cyriana tatsächlich eine Hexe war oder nicht, aber sein Ordensabt hatte sich auch noch weiterreichende Informationen über die Vorkommnisse gewünscht. Er war fest entschlossen, diese zu liefern. Sein Instinkt riet ihm, sich weiter mit der Kräuterkundigen zu beschäftigen. Sie kannte die giftige Frucht und das Hexenmyzel. Zweifellos war sie in die Ereignisse verwickelt. Er würde ihre Verstrickung aufdecken.

Mehr erhoffte er sich allerdings von den zwei Reisenden aus Fels Karabatos. Sollten sie zur Aufklärung beitragen können, wäre Tanat beeindruckt.

Zunächst hatte er mit dem Gedanken gespielt, den Bürgermeister als quasi höriges Opfer und Komplizen Cyrianas bloßzustellen, aber unerwarteterweise setzten die Bewohner Granitfurts ein großes Vertrauen in Torcaan. Überraschenderweise, denn derartige Ortsvorsteher waren zumeist unbeliebt, weswegen eine Amtsenthebung nebst Anklage bei den Bürgern häufig gut ankam. Es versprach zudem ein abwechslungsreiches Spektakel. Der Orden wusste, wie die Schafe zu füttern waren.

Bedauerlicherweise war es hier anders. Obgleich Torcaan ein ehemaliger Söldner war, ging ihm ein untadeliger Ruf voraus. Nichtsdestotrotz sah sich Ignatus bereits im Triumph zur Ordensburg zurückkehren. Damit kam er seinem Traum, Ordensabt zu werden, näher. Bliebe noch die Frage zu klären, wie er vermied, dass nicht zu viel des Lichts auf Dairos von Ordon entfiel. Der junge Ordensritter war ihm ohnehin viel zu fanatisch. Ja, der Glanz des Ordens mochte rein und klar sein, aber es waren nun einmal rational denkende Männer wie er, die zur Führung befähigt waren. Wie sollte denn ein vom Glanz geblendeter Eiferer auch den Weg finden?

Er betrat die Straße.

»Herr, wartet.«

Ignatus vom goldenen Turm betrachtete angewidert den ungepflegten Bauern, der es gewagt hatte, sich ihm so weit zu nähern, dass er ihn nicht nur sah, sondern sogar roch. Seine Eskorte drängte den Mann, dessen Bartflaum verriet, wie jung er unter der Schmutzschicht war, zurück auf die Straße. Sie gingen hierbei nicht gerade rücksichtsvoll zu Werke.

Aber Informationen gab es eben nicht nur in sauberen Amtsstuben, wie der, die er soeben verlassen hatte, sondern auch von den gewöhnlichen Leuten der Straße. Seufzend blieb er stehen und betrachtete das herumlaufende Gesinde. Einige waren stehengeblieben und beobachteten neugierig die Szene. Als Ignatus sie scharf anblickte, starrten sie betreten zu Boden und beeilten sich, Land zu gewinnen. Niemand wollte dem Orden auffallen.

Wie er es hasste, von diesen Leuten abhängig zu sein. Diesen Fluch teilten sich Orden und Krone, was es aber nicht besser machte. Ignatus nahm sich ein seidenes Tuch und hielt es vor die Nase.»Diese Torfbauern stinken erbärmlich«, hörte er einen aus seiner Eskorte seinem Kameraden gedämpft zuraunen. Sie hatten Recht.

»Lasst ihn sprechen«, befahl er widerwillig.

Der Knecht trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Einen Moment lang war Ignatus irritiert, doch dann verstand er. Informationen waren eine Ware, die letztlich bezahlt werden wollte. Er spielte mit dem Gedanken, den Torfstecher ob seiner Dreistigkeit zu züchtigen. Allerdings wäre dies ein fatales Signal an all jene, die weitere Antworten auf Fragen besaßen, gewesen.

Er reichte einem seiner Ordensgardisten eine Münze, die dieser dem Torfbauern mit von Ekel verzogenem Gesicht weiterreichte. Der Silberling verschwand im Gürtel des Mannes.»Ihr sucht doch Hexen hier?«

Natürlich hatte die Kunde von den aufmarschierenden Ordensleuten bereits ganz Granitfurt aufgescheucht. Zum Schluss zu kommen, der Orden suche hier Hexen, war naheliegend. Aber die Unternehmungen des Großmeisters und seiner Ordensäbte waren vielfältig.

»Auch wenn ein netter Plausch zuweilen ganz unterhaltsam ist, bitte ich euch, auf den Punkt zu kommen. Leider weht derzeit der Wind aus der falschen Richtung.«

Verwirrt hielt der junge Mann inne, dachte mit gefurchter Stirn über seine Worte nach, kam aber wohl zu keinem Ergebnis. Zu gerne hätte er mit seiner Münze das Weite, in diesem Fall wohl eine Wirtsstube gesucht, doch war er ihm noch die Information schuldig.

»Ich bin Knecht auf Garstons Hof.«

In Ignatus erwachte schlagartiges Interesse. »Garston? Dessen Kinder von diesem Kräuterweib gerettet wurden?«

Eifrig nickte der junge Mann. Sein Blick irrte umher. Er wollte wohl nicht gesehen werden. Nun war das aber nicht mehr zu ändern. Seine Unterhaltung mit dem Wissenswahrer würde nicht geheim bleiben.

»Ihr wisst etwas über Cyriana?«

Der junge Knecht schüttelte derart wild bejahend sein Haupt, dass Ignatus Angst bekam, der Mann würde sich verletzen.

»Sie war ja wegen der Kinder auf unserem Hof. Da ist mir etwas aufgefallen.«»Sprecht.«»Meine Großmutter erzählte immer, die alte Schachtel von der Hütte würde nie reiten.«Ignatus verlor den Faden.»Welche alte Schachtel? Ich dachte, Cyriana wäre jung.«»Na, die Alte, die vor Cyriana dort lebte.«»Klingt nicht wirklich spektakulär. Habt ihr noch meine Münze?«

Der Torfstecher schüttelte abwehrend seine Hand. »Nein. Ich bin nicht fertig. Großmutter sagte, die Neue sehe aus wie die Alte.«

Ignatus kniff die Augenlider zusammen. Der Bursche strengte ihn an. »Sie sind miteinander verwandt. Ich habe im Archiv darüber gelesen. Sie ist Cyrianas Tante.«

»Ja, aber Großmutter sagte, die Neue sehe so aus, wie die Alte, als sie jung war.«Ignatus seufzte auf. Er wollte gerade weitergehen, als die nächsten Worte des jungen Knechts schlagartig sein Interesse neu entfachten.

»Nicht nur ähnlich ... gleich ...«, stotterte der Bursche. »Wie hieß denn Cyrianas Tante?«

Der Torfbauer dachte kurz nach. Fast hätte Ignatus erwartet, dass der Knecht so dreist war, wieder Geld von ihm zu verlangen, doch schließlich leuchteten seine Augen auf.

»Ultiane. Ja, Ultiane hieß sie.«»Und die Tante verabscheute das Reiten, so wie Cyriana es hasst?«»Nein, nein, nein ...« Der Bursche suchte nach den richtigen Worten.»Die Pferde scheuten immerzu bei Ultiane ... und jetzt auch bei Cyriana.« »Das Pferd scheute?«»Ja. Das Pferd scheute.«

Der Knecht hieb sich auf die Stirn.

»Ach ja, Oma sagte auch, dass die Neue erst nach Granitfurt kam, als die Alte verstorben war. Sie meinte, dass dies sehr merkwürdig sei.«

»Sonst noch etwas?« Ignatus war sich nicht sicher, ob diese Informationen einen Wert hatten.Der junge Knecht schüttelte den Kopf und mit einem Wedeln entließ der Bucklige seinen Informanten, der aufatmend sofort davoneilte.

Ignatus hatte sich die Blutlinie der Cyriana ohnehin schon einmal angesehen. Er würde sie sich nun eingehender vornehmen.

Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe   (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt