Treffen der Hexen

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»Yenraven!« Aratica sprang auf. Zwei Wurfdolche schnitten durch die Luft, blieben direkt vor der Hexe vibrierend in der Luft stecken, als wären sie in eine Wand geflogen.

Die Bluthexe hatte zuvor nur auf Cyriana geschielt, nahm nun aber die junge schwarzgewandete Assassine wahr. Etwas widerwillig wandte sie den Blick.

»Euch kenne ich. Ihr seid die junge Frau, die mir einen Dolch in die Schulter gerammt hat. Ich dachte, mein Feuerelementar hätte euch verbrannt.«

Cyriana stand auf und trat der rothaarigen Frau in den Weg. Aratica hatte keine Chance gegen die Bluthexe, so schnell sie mit ihrem Messer auch sein mochte. Der einzige Weg zu überleben, war, an Yenravens Vernunft zu appellieren. Diese Gelegenheit war einmalig. Sie musste sie nutzen.»Ihr werdet getäuscht, Yenraven. Der Hexenstein steht nicht an eurer Seite, er lenkt euch. Halikarnosa wird euch ins Verderben stürzen. Denkt nach.«

Aratica drückte sich an ihr vorbei und baute sich vor ihr auf. Cyriana war überrascht, hatte es doch den Anschein, die Assassine wolle sie schützen.

»Bleibt zurück, Cyriana. Ihr seid ihr nicht gewachsen. Ich habe gesehen, zu was sie mit ihrer Magie und ihrem Feuerelementar in der Lage ist.«

Die Basilisken züngelten und beäugten Cyriana und Aratica wachsam.

»Ach ja? Der Hexenstein hat mir etwas anderes erzählt. Anscheinend habt ihr und Halikarnosa eine gemeinsame Geschichte, Cyriana.«

Yenraven breitete ihre Hände aus und drehte ihr die Handflächen zu. Cyriana wurde von einer unglaublichen Wucht getroffen und zurückgeschleudert. Schwer krachte sie gegen den fauligen Baumstumpf, auf dem zuvor noch Aratica gesessen hatte. Vor ihren Augen drehte sich die Welt.»Das kommt unerwartet. Ich hatte gedacht, ihr würdet euch wehren«, höhnte die Bluthexe.Über Cyrianas Kopf bildete sich ein Luftwirbel und mehrere mächtige Blitze jagten in ihren Körper. Sie spürte die magischen Energien und leitete sie automatisch in den Boden ab.»Erstaunlich«, knurrte Yenraven. »Dann erst einmal das Gör mit den Messern.«

Die beiden Dolche wendeten sich um 180 Grad und schossen auf Aratica zu. Die war zunächst zu verdutzt, um zu reagieren. Ausgerechnet Zurolon war es, der sie ansprang und zur Seite riss. Die Dolche blieben zitternd im Stamm eines Baums hinter ihr stecken.

Die Assassine holte ihren magischen Dolch hervor. Cyriana sah, wie sie ihn prüfend in der Hand hielt. Mit einer geweihten Ordensklinge konnte sie den Schild Yenravens vielleicht durchdringen. Aber sie würde nicht darauf wetten.

Mühsam rappelte sich Cyriana auf. Der Rücken schmerzte und knisternd entluden sich arkane Energien in der Erde. Sie musste versuchen, Yenraven zu erreichen, sie zu überzeugen, dass Halikarnosa ein falsches Spiel trieb, bevor Aratica angriff.

»Verschwindet, Cyriana. Ich halte sie auf.«

Sie schüttelte den Kopf. Die Gelegenheit war einzigartig. Es bestand die Chance dem ganzen Alptraum ein Ende zu machen. »Hört mir zu, Yenraven. Der Hexenstein nutzt euch nur aus. Es geht immerzu nur um Halikarnosa. Es ging nie um etwas anderes.«

Die Bluthexe gab den Basilisken einen Wink und trat vor. Die beiden Reptilien blieben zurück, warteten ab. »Ihr werdet keinen Keil zwischen mich und meine Mutter treiben, Cyriana«, flüsterte sie leise. In ihrer Stimme lag eine tödliche Entschlossenheit. Sie war viel zu verblendet, um zuzuhören, verführt von Mächten, denen sie nicht im Ansatz gewachsen war. Weniger Feind, denn Opfer.

»Ihr seid einst durch den Wald geirrt, Yenraven. Dann habt ihr ihre Stimme gehört. Hat jemand eure Eltern umgebracht? Seit ihr deshalb in den Schattenwald geflohen?«

Abrupt blieb Yenraven stehen. »Woher wisst ihr das ...« Sie verhielt kurz. Ihre Augen leuchteten auf. »Ihr seid eine Hexe. Oder? Ihr neidet mir die Liebe Halikarnosas und möchtet selbst das Blutritual durchführen. Deshalb hat mich meine Mutter auch vor euch gewarnt. Ihr seid das Böse.«

Cyriana sah, wie sich die Augen der Bluthexe zu zwei dunklen Schlitzen verengten. Sie hört meine Worte, aber sie hört nicht zu ...

»Ihr wollt nur die Macht, Cyriana, wollt herrschen und mich von meiner Mutter trennen. Das wird euch niemals gelingen. Der Bund mit Halikarnosa ist heilig. Ich bin die wiedergeborene Yenraven. Ich werde aufsteigen.«

»Nein, ihr seid nur ein Werkzeug, mehr nicht«, rief Cyriana.

»Schweigt«, brüllte die Bluthexe erbost und ein unsichtbarer Schlag wischte sie von den Beinen. Sie durfte nicht aufgeben, stemmte sich in die Höhe und trat der Rothaarigen erneut entgegen.»Sie hat eure Eltern getötet ... und wenn ihr in euch horcht, wisst ihr, dass ich Recht habe.«

In den Augen Yenravens loderte der Zorn. »Versprüht euer Gift andernorts. Bauern, denen meine Mutter stets zugetan war, ihnen half, ermordeten sie grundlos, weil sie eine Hexe war.«

»Grundlos? Sie wurden von einer verdorbenen Göttin dazu aufgestachelt. Ihre Stimme ist wie das Flüstern des Winds. Man glaubt, es nicht zu hören, doch es vergiftet die Seele.«

»Ihr seid eine Hexe, Cyriana und habt eure Schwestern verraten. Halikarnosa hat es mir erzählt. Ihr habt sie, die Güte des Lebens, die wahrhaftige Stimme der Gerechtigkeit und der Gnade, einst betrogen.«

Cyriana schluckte. Das Gift Halikarnosas hatte den Geist Yenravens vernebelt. Niemals würde sie sie durch Worte aufrütteln, nicht einmal Zweifel säen. Nur der Anblick der grausamen Wahrheit konnte ihr vielleicht noch die Augen öffnen. Aber hier und jetzt war das unmöglich.Aus ihren Augenwinkeln gewahrte sie, dass sich Aratica zur Seite drehte. Sie wollte die Armbewegung, mit der sie den Dolch warf so lange wie möglich vor der Bluthexe verbergen. Aber sie hatte keine Chance. Yenraven war auf alles vorbereitet, behielt die Assassine stets im Auge.

Zurolon huschte an Cyrianas Seite. Sie sah auf ihren kleinen Freund herab und schüttelte den Kopf. »Wir müssen fliehen.«

»Stell dich ihr, Cyriana.«»Das kann ich nicht. Die Armbänder verhindern das.«

Wütend starrte sie auf ihre beiden Armschienen. Sie hatte geschworen, ihre Hexenkräfte niemals wieder einzusetzen. Sie hatten nur Tod und Verderben gebracht. Ein Artefaktschmied hatte sie gefertigt und keine Macht auf Erden konnte sie entfernen, ohne sie zu töten. Sie dämmten ihre Kräfte, verhinderten die Entfaltung ihres vollen Potentials.

Zurolon sprang auf ihre linke Schulter, beugte sich über ihr Ohr.

»Du hast den Moab gerufen. Du kannst die Magie der Schiene überwinden. Kämpfe!«

Yenraven begann zu lachen. Aratica versuchte den Moment zu nutzen und schleuderte den Dolch. Dieser flog eine unmögliche Kurve, zurück zur Nichte des Königs und blieb zitternd in ihrem Oberschenkel stecken. Der Dolch war nicht weit eingedrungen, dennoch ging sie ächzend in die Knie.

Yenraven hatte nur Augen für die kräuterkundige Druidin.

»Unglaublich.« Sie schüttelte den Kopf. »Und vor euch soll ich mich in Acht nehmen? Ihr seid eine Lachnummer, eine unbedeutende Randerscheinung. Euer Weg endet hier.«

Die Bluthexe gab ihren beiden Basilisken einen Wink. Diese hatten begierig auf diesen Augenblick gewartet, schlängelten sich mordlüstern heran.

»Mögt ihr meinen Blitzen auch standhalten, meine kleinen Freunde hier werden euch zerreißen.«

Cyriana wich unwillkürlich einen Schritt zurück, war versucht, vor dem herannahenden Basilisken davonzulaufen. Im dichten Gebüsch mochte ihr die Flucht gelingen. Aber Aratica würde zurückbleiben. Sie griff sich an die Halskettchen. Nein, niemals wieder.

Ein Riesenreptil verhielt und spannte seine kräftigen Vorderbeine an. Es wollte sich auf die Assassine werfen, die mit weit aufgerissenen Augen ihren Tod erwartete, während das zweite Untier sich auf sie fokussierte.

Voller Verzweiflung schrie Cyriana auf, schlug die Armbänder krachend aufeinander, die daraufhin sofort rot aufleuchteten. Ein furchtbarer Schmerz peitschte durch ihren Köper, als die Magie, die sie wirken wollte, von den Armbändern zurück in ihren Körper geschleudert wurde. Wie Aratica klappte auch Cyriana zusammen und fiel auf ihre Knie.

Yenravens Gelächter überschlug sich. Sie wähnte sich ihrem Triumph nahe.

»Kämpfe!«, flüsterte Zurolon eindringlich. Die kleine Drachenschlange glitt an die Seite der Druidin, ließ dabei die Bluthexe aber nicht einen Moment lang aus den Augen.

Erneut schlug Cyriana die Armbänder gegeneinander. Ein rotleuchtender Sog bildete sich, zog Blätter und loses Astwerk an. Die Schienen glühten unheilvoll auf, begannen zu pulsieren. Mit grimmiger Entschlossenheit ignorierte sie den Schmerz an den Unterarmen.

Der erste Basilisk beugte sich über Aratica, der Nichte des Königs und wollte zubeißen. Die Assassine ließ sich gedankenschnell auf den Rücken fallen. Die Kiefer schnappten ins Leere. Enttäuscht schnaubte das gewaltige Reptil, lehnte sich weit nach vorne. Seine Zunge zuckte zischelnd heran und ertastete das Gesicht der Assassine. Die Schnauze der Bestie öffnete sich zum tödlichen Biss.

Cyriana spürte, wie sich ihre Hexenmagie durch die Armschienen ins Freie kämpfte, dunkel jubelnd in einer energiegeladenen Aura um sie herum tanzte. Sie streckte ihre Hand aus.Das Monsterreptil schnappte nach der Assassine.

Eine gewaltige Kraft packte jäh die Bestie, schleuderte sie in die Höhe, zerriss den schuppigen Leib in tausend Einzelteile. Verblüfft, mit schreckgeweiteten Augen, sah Aratica zu, wie um sie herum große Fleischbrocken auf die Erde schlugen.

Der zweite Basilisk sprang vom Boden ab und schnellte auf die Druidin zu.Geistesgegenwärtig streckte sie ihm ihre offene Handfläche entgegen, wob einen Strom gewaltiger Energie, der sich dem Untier in den Weg warf.

Als wäre der Basilisk in eine Mauer gesprungen, blieb das Reptil in der Luft hängen und krachte zischelnd auf den Waldboden.

Sie ballte ihre Handfläche. Eine unsichtbare Hand packte die Bestie und presste sie zusammen. Knackend brachen Knochen.

Yenravens Lachen erstarb abrupt.

»Unmöglich.« Sie hob ihre Hände in den Himmel. Äste der Bäume brachen ab, verhielten schwebend in der Luft und schlugen Cyriana wie Speere entgegen.

Aus dem Dickicht heraus schnellte ein gewaltiger Körper, warf sich zwischen die Bluthexe und der Kräuterkundigen. Mit einer unglaublichen Wucht trafen die Geschosse den Moab an der Seite, drangen tief in seinen Leib ein.

Der Moab erzitterte und ging in die Knie, richtete sich aber gleich darauf wieder auf.Cyriana lief zu Aratica, zog sie vom Boden hoch und half ihr auf den Rücken der Drachenschlange.

Der Moab wandte sich der Bluthexe zu, brüllte sie voller Schmerz und Verachtung an. Yenraven wich erschreckt zurück. Kaum saß die junge Nichte des Königs auf dem Rücken der großen Drachenschlange, als sie ihr Bewusstsein verlor und nach vorne kippte. Gerade noch konnte Cyriana verhindern, dass die junge Frau vom Rücken herabrutschte.

Der Moab nahm Geschwindigkeit auf und lief in hohem Tempo durch das Dickicht. Krachend knickten Äste, Zweige peitschten Cyriana ins Gesicht, die sich mit einer Hand am Rückenkamm der Drachenschlange festklammerte und mit der anderen den regungslosen Körper Araticas hielt.

Yenraven hatte inzwischen die überraschende Wendung verdaut und brach in wildes Gezeter aus. Hinter ihr stürmten Waldaffen aus dem Dickicht und nahmen die Verfolgung des Moabs auf.»Ich werde euch töten.«

Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe   (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt